Yoga im Jahreskreis – Teil 4: Winter

Von Janine Schneider

Dunkelheit, Stille und Einkehr

Mit dem Winter öffnet sich eine Tür in deine inneren Räume. Wenn sich die erste Schneedecke funkelnd über den Boden und die kahlen Bäume breitet, ist es Zeit, zur Ruhe zu kommen. Selbstfürsorge und die Besinnung auf das Wesentliche helfen dir, deine Energiespeicher wieder aufzuladen und zu regenerieren. So, wie das Leben jetzt mehr drinnen stattfindet – eingemuckelt mit Wolldecke, Kerzenlicht und heißem Tee – sind wir im Winter eingeladen, auch in uns nach Hause zu kommen. Deshalb ist die kalte Jahreszeit auch optimal, um in deiner Yoga-Praxis tiefer zu gehen. Denn wenn es um dich herum dunkel ist, kannst du dein inneres Licht deutlicher wahrnehmen. Wenn es still wird um dich, deine innere Stimme klarer hören.

Anna Rech auf dem Sofa

Dafür braucht es aber oft erst einmal einen Perspektivwechsel. Zu schnell lassen wir uns den Winter vermiesen von Vorweihnachtsstress, der Antriebslosigkeit, die uns überfällt, wenn es schon um 17 Uhr stockfinster ist, und der Kälte, die uns in die Knochen kriecht. Dabei liegt die Ursache unseres Unbehagens nicht in der Jahreszeit selbst. Vielmehr haben wir es verlernt, still zu werden und bewusst innezuhalten. Im Vergleich zu einem Sommer-Flow klingt das auch erst mal nicht besonders attraktiv. Wenn wir aber das Jahr über in Balance bleiben wollen, sind Phasen, in denen wir unsere Kräfte nach innen zurückziehen, von entscheidender Bedeutung. 

Dein Yoga in der Winterzeit

Mit deiner Winter-Yoga-Praxis und Ritualen, die Herz und Seele wärmen, kannst du dich mit der Magie des Winters einhüllen. Frag dich: Was nährt mich in der Zeit der Stille und Dunkelheit?

Geh mit den Qualitäten der vier Jahreszeiten – im Leben und bei deiner Yoga-Praxis:

  • Frühling: Neubeginn, Reinigung, Wachstum
  • Sommer: Lebendigkeit, Bewegung, Fruchtbarkeit
  • Herbst: Ernte, Wandel, Fülle
  • Winter: Einkehr, Stille, Dunkelheit

Wenn du willst, kannst du zusätzlich zu deiner Asana-Praxis im Winter andere Aspekte des traditionellen Yoga mehr einbinden, um dich vor dem Neubeginn im Frühling klar auszurichten und aufzutanken. Wie du bestimmt weißt, sind Asanas nur ein Aspekt des Yoga. Es gibt so viel zu entdecken im yogischen Kosmos. Warum nicht jetzt? Zurück zu den Wurzeln und über die Wurzeln ganz tief zu deinem Kern...

Hier ein paar Ideen für dich:

1. Yogaphilosophie – Balsam für den Geist

Wie wäre es zum Beispiel, wenn du dir die Klassiker der Yogaphilosophie zum Lesen ranholst? Patanjalis Yoga-Sutra, die Bhagavadgita, die Upanishaden oder die Hatha Yoga Pradipika sind Quellentexte der Yogatradition. Oder du schnappst dir dein spirituelles Lieblingsbuch, das dich inspiriert und in dir etwas zum Leuchten bringt und liest noch einmal neu.


Yogaphilosophie-Fortbildung: Yogasutra von Patanjali


2. Weite fürs Herz mit Mantras und Kirtan

Singen und Tönen bringen das Herz-Chakra zum Schwingen. Gerade wenn deine Stimmung im Winter tendenziell eher trüb ist, können dir Mantras und Kirtan helfen, aus grauen Gedankenschleifen auszusteigen. Klang ist echte Medizin fürs Herz. Ein Vorschlag ist das Gayatri-Mantra, die Anrufung des inneren Lichts.


Chante das Gayatri-Mantra:


3. Mehr bewusste Zeit mit deiner Sangha

Innere Einkehr heißt nicht Alleinsein. „Sangha“ ist ein Begriff für die spirituelle Gemeinschaft. Wie wäre es, wenn du dich mit Leuten aus deiner Community zum wöchentlichen Meditieren verabredest? Oder wenn ihr zusammen einen Sharing-Circle oder regelmäßige Winterspaziergänge einberuft?

4. Einheizen mit Pranayama

Damit dir im Winter warm bleibt, helfen yogische Atemtechniken dein inneres Feuer anzuheizen. Ein Klassiker ist Kapalabhati, der das Feuer schon im Namen trägt („Feueratem“). Auch Bhastrika, die Blasebalg-Atmung, und Agnisara, die Feuerübung (genau genommen eine Reinigungsübung) wirken erhitzend und aktivierend.


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5. Meditation: Verbinde dich mit deinem inneren Licht

Meditation ist die Tür in deine Innenwelt. Gerade jetzt im Winter kannst du tiefer sinken, denn die Qualitäten der Jahreszeit unterstützen dich dabei, die Stille in dir zu finden. Wie wäre es, wenn du dich committest, jeden Tag im Winter elf Minuten zu meditieren? Such dir dabei eine Meditationsform, die dir wirklich entspricht. Das kann eine Atemmeditation sein, Vipassana oder eine Meditation mit einem Mantra. Oder vielleicht diese Meditation von Osho, die ich für den Winter besonders schön finde.

Meditation: „Warten auf den Sonnenaufgang“

  1. Setz dich eine Viertelstunde vor Sonnenaufgang hin, wenn der Himmel langsam heller wird. Warte und halte Ausschau, so als ob du auf einen geliebten Menschen warten würdest – so gespannt, voller Erwartung, Hoffnung und Aufregung – und trotzdem ganz still.
  2. Lass die Sonne langsam aufgehen. Beobachte. Du brauchst nicht zu starren, du kannst ruhig die Augenlider bewegen.
  3. Fühle, wie gleichzeitig auch etwas in dir aufgeht.
  4. Wenn die Sonne am Horizont erscheint, fühle sie in deinem Bauchnabel: Dort drüben geht sie auf, und auch hier, innerhalb deines Bauchnabels, geht sie ganz langsam auf. Die Sonne geht dort draußen auf. Und hier in dir steigt ein innerer Lichtpunkt auf.
  5. Beobachte weiter. Zehn Minuten sind genug. Dann schließ die Augen.
  6. Wenn du die Augen schließt, visualisiere die helle Sonne in deinem Inneren.

Nun bist du eingestimmt für einen wunderbaren Wintertag!

Hallo, liebes Licht! Die Wintersonnenwende

Räucherritual mit Anna Rech

Die Nacht der Wintersonnenwende ist die längste des Jahres. Unsere Vorfahren feierten diesen Wendepunkt im Jahreskreis mit dem Julfest und besonderen Bräuchen. Der Anlass der Feierlichkeiten ist die Rückkehr des Lichts: Jetzt werden die Tage langsam wieder länger. Mit einem Ritual zur Wintersonnenwende kannst auch du dich bewusst einschwingen auf die Magie dieser besonderen Zeit. 

Die Wintersonnenwende fällt 2023 auf Freitag, den 22. Dezember, am frühen Morgen um 4:27 Uhr Mitteleuropäische Zeit (die Wintersonnenwende ist immer am 21. oder 22. Dezember eines Jahres). Das ist auch der astronomische Winteranfang. Wenn du Lust hast, begrüße das Licht in der Nacht vom 21. auf den 22. Dezember mit einem Räucherritual. Traditionell wurden hierzu Harze und Kräuter mit Sonnensignatur genutzt, zum Beispiel Johanniskraut oder Alantwurzel. Sie bringen die Kraft der Sonne in die dunkle Jahreszeit. Johanniskraut etwa hat eine stimmungsaufhellende und antidepressive Wirkung. Nimm dir Zeit, hüll dich in den Nebel deiner Räucherpflanze und heiße das Licht Willkommen. Vielleicht nutzt du dabei zusätzlich eine der Inspirationen der Liste (siehe oben) für deine Winter-Yoga-Praxis, singst zum Beispiel ein Mantra oder sitzt für eine Meditation in Stille.

So schließt sich der Kreis der vier Jahreszeiten mit dem Winter – auf dass wieder Neues entspringen kann im Frühling. Lass dich von den Kräften des Lebens tragen und von deiner Yoga-Praxis unterstützen, in Balance und Verbundenheit deinen Weg zu gehen.

Ich wünsche dir einen magischen Winter!


Du willst dich durch Yoga mit den Jahreszeiten verbinden? Janine Schneider bietet Anfang Dezember 2024 das „Rest & Recharge“-Winter-Yoga-Retreat in Brandenburg an. Alle Infos findest du auf www.yoursoulspace.org/yoga-retreats.


Quellen:

  • Roswitha Stark: Rituale im Jahreskreis. Harmonisierung und Selbstheilung im Rhythmus der Natur. Mankau Verlag 2020.
  • Osho: Das Orangene Buch. Die Osho Meditationen für das 21. Jahrhundert. Innenwelt Verlag 2016.
Janine Schneider
Janine Schneider

Janine Schneider ist freie Journalistin und Yoga-Lehrerin verwurzelt im Grünen bei Berlin. Sie liebt Themen rund um weibliche Spiritualität, ganzheitliche Gesundheit, emotionale Intelligenz und achtsame Nachhaltigkeit. In ihren Texten und Yogastunden versucht sie Brücken zu bauen zwischen den Tantra- und Yogatraditionen und modern gelebter Spiritualität.
Mehr über Janine erfährst du unter www.yoursoulspace.org und www.wortschaetze.org.