Yoga im Jahreskreis – Teil 2: Sommer

Von Janine Schneider

Im Sommer stehen alle Zeichen auf Lebendigkeit und Bewegung. Die Tage sind wunderbar lang, die Sonne wärmt die Haut und streichelt die Gemüter. Der Sommer ist mit seiner Yang-Energie für viele Menschen eine besonders aktive Zeit – mit Lust auf Kontakt und Zeit draußen unter freiem Himmel. Grandios, diese Leichtigkeit! Aber Achtung: Schnell kann die (innere) Hitze und Trockenheit auch anstrengend werden.

Mit einer regulierenden Sommer-Yogapraxis, die du auf deine Bedürfnisse abstimmst, kannst du gegensteuern und bleibst auch in dieser High-Energy-Zeit in Balance. Wenn du achtsam durch die Sommermonate gehst, wird es dir gelingen rechtzeitig einen Gang runterzuschalten – bevor dein sommerlicher Tatendrang dich in leicht-sinnige Hyperaktivität versetzt. 

Wie die verschiedenen Jahreszeiten generell die Stimmung, das Energielevel, das körperliche Wohlbefinden und vieles mehr beeinflussen können, liest du in Teil 1 dieser Serie zu Yoga im Jahreskreis – in dem du außerdem mehr über die Qualitäten des Frühlings erfährst. Während die Frühlingszeit im Zeichen von Erwachen und Reinigung steht, steigt die Energie im Sommer immer weiter an, und beginnt mehr nach außen zu streben.

Sommersonnenwende – der längste Tag des Jahres

Die Sonne steht im Zenit. Der nächste Wendepunkt im Jahreskreis steht bevor. Der Sommer kommt nicht von heute auf morgen, sondern kündigt sich über Wochen an. Gerade deshalb ist es wichtig, sich bewusst einen Moment zu schenken, um dem Sommer und dem Einfluss seiner Qualitäten in uns auf die Spur zu kommen. Die Sommersonnenwende am 21. Juni ist dafür ein perfekter Zeitpunkt. Dieser Tag markiert in unserem Kulturkreis auch den astronomischen Sommeranfang.

Die Sommersonnenwende wird als eines der acht großen Feste im Jahreskreis gefeiert und ist auch als Litha oder Johanni bekannt. Es ist der längste Tag des Jahres, an dem die Sonne auf der Nordhalbkugel ihren höchsten Stand erreicht. Themen sind Fruchtbarkeit, Wachstum, Schönheit, Fülle, die erste Ernte – aber auch der wieder anklopfende Wandel und das natürliche Ende. Die Tage werden jetzt schon wieder kürzer. Ein schönes und weit verbreitetes Ritual zur Sommersonnenden ist das Sonnenwendfeuer. Vielleicht lädst du dir am 21. Juni deine Liebsten ein und ihr entzündet ein rituelles Feuer. Bei einem solchen „Mittsommerfest“ – das in Skandinavien und im Baltikum weit verbreitet ist – stehen Lebensfreude und Leichtigkeit im Zentrum.

Der Sommer aus ayurvedischer Sicht



Wenn wir aus der Perspektive der indischen Heilkunst Ayurveda auf den Sommer blicken, werden seine Qualitäten noch greifbarer. Von Juni bis September ist Pitta-Zeit. Das Pitta-Dosha setzt sich aus den Elementen Feuer und Wasser zusammen, wobei das Feuer dominiert. Gerade Menschen mit Pitta-Konstitution können jetzt leicht aus der Balance geraten. Der Ayurveda rät, im Hochsommer übermäßige körperliche Aktivität zu meiden und von innen und außen für Frische und Kühle zu sorgen. 

Im Sommer ist außerdem das Verdauungsfeuer Agni verringert, weshalb wir weniger Appetit verspüren. Leicht verdauliche Nahrungsmittel und Speisen mit kühlender Qualität – zum Beispiel frische Kräuter wie Koriander oder Minze, frisches Obst und grünes Gemüse (optimalerweise gedünstet), Kokosöl und Reis – wirken jetzt ausgleichend. Eisgekühlte Getränke solltest du laut Ayurveda dagegen vermeiden, weil sie den Körper dazu bringen, innerlich noch mehr Hitze zu entwickeln. Ein lauwarmer Minz-Tee dagegen gilt als perfektes Sommergetränk. 

Deine Yogapraxis im Sommer

Wenn wir in die Natur blicken können wir Qualitäten für unsere Yogapraxis im Sommer ableiten. So wie im Außen alle Zeichen auf Leben stehen, spüren viele Menschen auch in sich jetzt mehr Vitalität, Lebensfreude und Unbeschwertheit. Das übersetzt sich im Frühsommer bei dir auf der Yogamatte vielleicht in Verspieltheit, großer Bewegungsfreude oder Kreativität. Du kannst dich ausprobieren und dein sommerliches Ich auf der Matte genießen, hast mehr Power und kannst aus der Fülle deiner Kapazitäten schöpfen. 

Anders sieht es vielleicht im Spätsommer aus: Mit den steigenden Temperaturen sinkt bei vielen die Motivation und der innere Antrieb. Hitze und Trockenheit machen nicht nur körperlich zu schaffen, sondern können neben Trägheit auch zu einem hitzigen Gemüt führen. 

Apropos Hitze: Die Sonne wird im Yoga mit dem Feuer-Element aussoziiert. Das Feuer steht für Licht und Wärme, für Transformation und Wandel. Unkontrolliertes Feuer kann aber auch zerstören. Wo ist deine Mitte? Wo ist der Sweet-Spot zwischen Nach-Draußen-Gehen und Bei-Mir-Bleiben? Wo pendelt sich deine Lebenskraft zwischen Bewegung und Erdung in ein optimales Gleichgewicht ein? Nur du kennst die Antworten.

Asanas und Pranayama für heiße Sommertage

Wenn es im Sommer heiß wird, kannst du über eine kühlende und entspannende Yogapraxis gegensteuern. Das hilft dir außerdem, die aktive Yang-Energie des Sommers zu erden und trotz einer größeren Orientierung nach außen die innere Ruhe nicht zu verlieren.

Generell sind jetzt die frühen Morgen- und späten Abendstunden, wenn es noch etwas kühler ist, die beste Zeit für deine Praxis. Vielleicht suchst du dir auch ein schattiges Plätzchen in der Natur für dein Sommeryoga.

Dann könnte deine Praxis zum Beispiel so aussehen:

1. Kühlende Vorbeugen


Starte in der Haltung des Kindes, Balasana, um im Moment anzukommen und dich zu erden. Dein tiefer Atem zentriert dich im Moment und holt die Achtsamkeit in deine Innenwelt.

In diesem Video erklärt dir Anna Trökes die Kindhaltung:

Tipp: Generell wirken Vorbeugen wie die stehende Vorbeuge, Uttanasana, oder die Kopf-zum-Knie-Haltung, Janu Shirshasana, kühlend auf den Körper und beruhigend auf den Geist. Du kannst gerne länger in den Haltungen verweilen, vielleicht gerade dann, wenn du innere Unruhe spürst.

2. Yin stärken mit dem Mondgruß

Chandra Namaskar ist das Pendant zum Sonnengruß, der mehr Yang-orientiert ist. Der Mondgruß harmonisiert den Energiekanal Ida-Nadi, der mit dem Parasympathikus in Verbindung steht und beruhigend auf unsere Systeme einwirkt. Symbolisch steht der Mond für Yin und damit das Fühlen und Feminine. Die fließende Bewegungsabfolge – mit Göttin, Dreieck, Pyramide und mehr – schult außerdem die Balance und Konzentration. Lass dir gerne Zeit und beweg dich bewusst langsam durch den Flow.

Hier zeigt dir Christina Lobe, wie du den Mondgruß ausführst:

3. Viparita Karani zum Landen


Im Anschluss komm im unterstützten Schulterstand zum Boden. Leg dir für Viparita Karani ein Bolster unter das Kreuzbein, damit du die Beine ohne Anstrengung in der Luft halten kannst. In dieser sanften Umkehrhaltung wird die Blutzirkulation angeregt und schwere Beine werden wieder leichter. Bleib gerne drei bis fünf Minuten mit geschlossenen Augen in der Haltung. Die Übung wirkt beruhigend und fördert einen gesunden Schlaf. 

Nicole Bongartz zeigt dir, wie du Viparita Karani korrekt übst: 

4. Sitali – der kühlende Atem


Sitali Pranayama ist die Sommer-Atemübung schlechthin. Durch die eingerollte Zunge saugst du die Luft wie durch einen Strohhalm langsam ein. Dabei wird die Luft gekühlt und der Einatem verlängert sich. Mit der Ausatmung durch die Nase lässt du Anspannung los und sinkst tiefer in deinen Sitz. 

Tipp: Lies unseren „Kühlende Atemtechniken für heiße Tage”, in dem auch Sitali ausführlich erklärt wird!

5. Shavasana  – Zeit für Entspannung


Dein Shavasana darf im Sommer einen Ehrenplatz einnehmen. Eine bewusste Endentspannung – idealerweise mit einer Yoga-Nidra-Anleitung – wirkt Nervosität und übertriebenem Tatendrang auf die sanfte Art entgegen. Gerade wenn du im Sommer auf der Matte körperlich sehr kräftigend und Yang-orientiert übst oder zu den Pitta-Typen gehörst, gibt dir ein ausgedehntes Shavasana die Möglichkeit in deiner Mitte zu ruhen. 

Hier führt dich Christina Lobe durch eine kurze Yoga-Nidra-Einheit:


Dieser Artikel ist Teil einer Serie – lies hier unsere Artikel zu Yoga im FrühlingHerbst und Winter


Literatur-Tipps:

  • Roswitha Stark: Rituale im Jahreskreis. Harmonisierung und Selbstheilung im Rhythmus der Natur. Mankau Verlag 2020.
  • Kerstin Rosenberg, Lea Johanning: Ritucarya. Mit Ayurveda durch das Jahr. Königsfurt Urania 2019.
Janine Schneider
Janine Schneider

Janine Schneider ist freie Journalistin und Yoga-Lehrerin verwurzelt im Grünen bei Berlin. Sie liebt Themen rund um weibliche Spiritualität, ganzheitliche Gesundheit, emotionale Intelligenz und achtsame Nachhaltigkeit. In ihren Texten und Yogastunden versucht sie Brücken zu bauen zwischen den Tantra- und Yogatraditionen und modern gelebter Spiritualität.
Mehr über Janine erfährst du unter www.yoursoulspace.org und www.wortschaetze.org.

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