
Yoga im Jahreskreis – Teil 3: Herbst
Ob golden oder doch eher grau, geliebt oder gefürchtet: Nach dem Yang-orientierten Sommer voller Tatendrang und Leichtigkeit steht im Herbst der Slow Down an. Der Beginn der dunkleren Jahreshälfte lockt uns wieder nach innen und erinnert uns mit seinen fallenden Blättern und unberechenbarem Wetter an die Konstanz des Wandels.
Im Jahreskreis betrachtet ist der Herbst die Zeit tiefer Dankbarkeit – für die Fülle des Sommers, die Ernte in Form von vielen Geschenken: Nahrung, Begegnungen, Licht und Sonne, inneres Wachstum oder Unterstützung in unterschiedlichen Facetten.
Natürlich reagiert auch unser Körper auf den Wechsel der Jahreszeiten. Kälte und Wind machen vielen Menschen zu schaffen, wie auch die zunehmende Dunkelheit. Was das in energetischer Hinsicht bedeutet und wie du deine Yogapraxis dieser Jahreszeit anpassen kannst, verraten wir dir in diesem Artikel.
Dein Slow Down in den Herbst
Wie ist deine Beziehung zum Herbst? Wenn du so wie ich im Sommer zur Höchstform aufläufst und voller Energie durch die langen Tage springst, fällt dir der Übergang in den Herbst vielleicht eher schwer. Der Urlaub ist plötzlich vorbei, das Leben findet wieder mehr drinnen statt, das Immunsystem macht seltsame Sachen. Gerade der Übergang vom Sommer in den Herbst ist für viele Menschen herausfordernd. Denn mit dem Wechsel der Jahreszeiten wandelt sich auch viel im Menschen, gerade in den Übergangsphasen. Als Teil der Natur sind je nach Jahreszeit andere Qualitäten in uns lebendiger – physisch, psychisch, emotional und energetisch.
Doch wenn du dich auf seine Qualitäten einlassen kannst, kann dein Herbst auch mit Regenwolken golden sein. Jenseits von einer heißen Tasse Tee und farbenfrohen Herbstspaziergängen: Diese Zeit im Jahreskreis ist genauso wertvoll wie die lichtvollen Phasen und bereitet uns auf die Stille und Regenerationszeit des Winters vor. Step by Step schalten wir von Gang 5 runter auf 4, dann 3 … Yang braucht auch immer seinen Gegenpol im Yin. In der Natur – und auch in dir.
Lese-Tipp: Dieser Artikel ist Teil einer Serie – lies hier unsere Artikel zu Yoga im Frühling, Sommer und Winter!
Die besondere Qualität der Herbst-Tagundnachtgleiche
Bei uns auf der Nordhalbkugel fällt der astronomische Herbstanfang in diesem Jahr auf den 23. September 2023. Es ist der Moment der Herbst-Tagundnachtgleiche, ein wichtiger energetischer Wendepunkt. Tag und Nacht sind mit jeweils zwölf Stunden gleich lang. Ab jetzt werden die Nächte wieder länger als die Tage und wir verabschieden uns von der lichtvollen Jahreszeit. Die Energie geht wieder mehr nach innen. Das Herbstäquinoktium wird als Erntedank (Mabon) als eines von acht bedeutsamen Jahreskreisfesten gefeiert und ist der Gegenpol zu Ostara im Frühling.
Das Herbstäquinoktium ist die Zeit zum...
- ...reflektieren und Resümee ziehen: Sind die Samen, die ich im Frühling gesät habe, gereift und erblüht?
- ...ausloten und vielleicht loslassen: Was auf meinem (spirituellen) Weg hat mich weitergebracht und was kann ich für das nächste Jahr gehen lassen?
- ...danken, danken und nochmals danken: Wo sehe ich Fülle in meinem Leben? Welche Schätze habe ich bisher in diesem Jahr bekommen? Wofür bin ich besonders dankbar?
- ...teilen und sich mitteilen: Was kann ich geben als Dank für die Dinge, die ich erhalten habe? Wie kann ich den Menschen oder Kräften, die mich unterstützt haben, etwas zurückgeben?
Unser Video-Tipp ist diese wunderbare „ChiYoga-Sonnengruß-Sequenz für den Herbst” von Luna Schmidt:
Die perfekte Zeit für Dankbarkeit
Ein Ritual kann dir helfen, den Wechsel gelassener und vielleicht mit weniger Widerstand einzuleiten. Besonders passend ist hier eine Dankbarkeitsmeditation. Denn im Herbst schauen wir auf die Ernte des Jahres und sagen aus tiefem Herzen „Danke“ für all die Schätze, die wir empfangen haben. Ein perfekter Tag dazu ist die Tagundnachtgleiche, auch Äquinoktium genannt. Eine Dankbarkeitsmeditation verbindet dich mit deinem Herzen und rückt Dinge ins Licht. Dankbarkeit lässt uns erkennen, wie reich uns das Leben beschenkt – nicht nur im Urlaub und zu anderen besonderen Gelegenheiten, sondern jeden Tag, bei jedem Wetter, in den unscheinbarsten Momenten des Alltags.
Die folgende Dankbarkeitsmeditation mit Fokus auf dem Herzchakra eignet sich wunderbar für den Herbst:
- Setz dich in einen aufrechten und bequemen Meditationssitz. Leg die Hände in Yoga Mudra, auch Jnana oder Chin Mudra genannt, – dabei sind die Daumen und Zeigefinger in Kontakt (der Zeigefinger wird dem Herzchakra zugeordnet) – auf deinen Oberschenkeln ab.
- Nimm dich für einen Moment ganz absichtslos in dieser Haltung wahr. Die Wirbelsäule ist aufrecht. Deine Gesichtszüge sind weich. Die Schultern und Hüften entspannt. Der Atem fließt mühelos.
- Bring deinen Fokus jetzt zu deinem Herzen und nimm deinen Herzschlag wahr. Dein Herz ist der Sitz von Dankbarkeit, Freude und Liebe.
- Atme für einige Atemzüge tief in deinen Herzraum und schaff dadurch mehr Weite und Offenheit. Lass hier die Farbe Grün wie einen Energieball aufleuchten und visualisiere, wie die grüne Farbe mit jeder Einatmung weiter nach außen strömt. Einatmend wird der pulsierende Energieball größer, ausatmend wieder kleiner.
- Mit deiner Achtsamkeit im Herzraum verankert stell dir nun nacheinander drei Dinge vor, für die du in deinem Leben gerade dankbar bist. Das können Menschen sein, Situationen, äußere Umstände wie ein sicheres Zuhause oder dein grüner Garten. Hol dir jeden Aspekt vor dein inneres Auge und lass diesen Impuls deiner Dankbarkeit jetzt im Innern lebendig werden.
- Für jeden dieser drei Punkte sprich entweder laut oder im Geiste aus: Ich bin aus tiefem Herzen dankbar für dieses Geschenk des Lebens. Wenn dir dieser Satz nicht entspricht, finde einen anderen Ausdruck der Dankbarkeit, vielleicht auch ein simples Danke.
- Spüre die Vibration der Dankbarkeit in deinem Herzraum. Wie fühlt sie sich an? Warm? Weich? Weit? Offen? Nährend? Kribbelnd? Freudvoll? Bade für einige Atemzüge in dieser Vibration.
- Lass die Vibration zusammen mit der grünen Farbe des Herzchakras über dein Herz hinaus in jede Zelle deines Körpers fließen. Du bist erfüllt von Dankbarkeit.
- Bring abschließend deine Hände in Anjali Mudra, der Gebetshaltung, vor dein Herz. Neig die Stirn zu deinen Fingerkuppen und schenk dir selbst ein „Danke“ für deine Meditationspraxis.
Oder gehe mit Christiane Wolff auf eine Entspannungsreise für mehr Dankbarkeit:
Der Herbst aus ayurvedischer Sicht
Die Herbst-Zeit wird in der alten indischen Heilkunst Ayurveda als Vata-Zeit eingeordnet. Vata ist eines der drei „Doshas”, also der drei Bio-Energien oder Qualitäten, die der Ayurveda allem Leben zuschreibt. Das Vata-Dosha dominiert im Jahreszyklus von Oktober bis Januar, also bis in unseren Winter hinein. Es entspricht den Elementen Luft und Äther und seine Eigenschaften sind trocken, kühl, windig, klar, rau, leicht und zusammenziehend. Typische Beschwerden in der Herbstzeit sind Erkältungen, Rastlosigkeit, Gelenkschmerzen, Energielosigkeit, kalte Hände und Füße oder auch Verdauungsprobleme. Das Immunsystem ist jetzt bei vielen Menschen geschwächt, die Sommer-Energie lässt nach. Besonders Menschen, die selbst schon viel Vata in sich tragen, können jetzt leicht in ein Vata-Übergewicht kippen.
Einer der wichtigsten ayurvedischen Tipps für die Herbstzeit: Warm essen! Um der Kälte und Trockenheit entgegenzuwirken, sind warme, breiige Speisen mit etwas gutem Öl ideal, wie Porridge, Kitchari, Eintopf oder Suppen. Auch Tees mit Gewürzen und Kräutern wie Zimt, Süßholz, Ingwer oder Fenchel wärmen wunderbar von innen.
Vata ist das Dosha der Bewegung (Hallo Herbst-Wind!). Viel Schlaf und regelmäßige Ruhepausen tun jetzt besonders gut. Um geistiger Unruhe und Rastlosigkeit zu begegnen, ist ein fester Tagesrhythmus besonders hilfreich. Und auch die Yogapraxis kann nun als Ruhepol dienen und den Herbst-Slow Down ausgleichend unterstützen.
Diese erdende Sequenz von Dr. Janna Scharfenberg hilft dir, übermäßiges Vata auszugleichen:
Asanas & Pranayama im Herbst
Eine regelmäßige Yoga-Praxis unterstützt nicht nur dein Immunsystem und steigert die Hitze im Körper, sondern beruhigt auch deinen herbstlich bewegten Geist. Damit ist dein Yoga gerade im Herbst ein echter Schatz. Gerade, wenn du Vata-Typ bist, darfst du jetzt besonders Ruhe, Erdung und Wärme in den Fokus rücken, um die ayurvedischen Besonderheiten dieser Jahreszeit mit deiner Praxis einzufangen. Hier ein paar konkrete Anregungen für dich.
Sanfter Flow durch den Sonnengruß
In der kälteren Jahreszeit kannst du deine Yogapraxis zum Aufwärmen mit ein paar langsamen Sonnengrüßen beginnen. Die Betonung liegt hier auf „langsam”: Bewege dich bewusst und sanft durch die Asanas, statt eine eventuelle Rastlosigkeit durch flottes Tempo noch zu verstärken. Wenn du zum Ende einer Runde die Hände in Anjali Mudra vor dem Herzen zusammenführst, sprich gerne ein bewusstes „Danke“ in den Raum.
Rückbeugen, die dich wärmen
Wenn dir die Kälte in die Knochen kriecht, wärme dich von innen mit Asanas, die dein inneres Feuer stärken. Dazu eignen sich besonders aktivierende Rückbeugen wie etwa die Kobra, Bhujangasana, das Kamel, Ustrasana, oder der Bogen, Dhanurasana.
Diese Rückbeugen-Sequenz von Moritz Ulrich entfacht nicht nur dein inneres Feuer, sondern öffnet auch dein Herz:
Stabilität und Erdung im Krieger
Im Herbst braucht es Stabilität, wenn das Vata-Prinzip 'Bewegung' uns um die Ohren saust. Krieger I und II (Virabhadrasana I und I) verankern und erden dich mit starken Beinen im Moment und helfen dir, eine positive Ausrichtung zu finden.
Ankommen und Fokus in Vorbeugen
Lang gehaltene Vorbeugen mit Fokus auf der Ausatmung sind ideal, um einen unsteten Geist einzufangen. Schöne Herbst-Vorbeugen sind die stehende Vorbeuge, Uttanasana, bei der du den Nacken entspannst und den Kopf frei machst, die sitzende Vorbeuge, Paschimottanasana, oder auch die Kind-Haltung, Balasana. Als unterstützende Affirmation kannst du im Geiste etwa folgende Sätze sagen: „Ich bin stabil in Zeiten des Wandels“, „Ich komme an“ oder „Ich ruhe in meiner Mitte“.
Wärmendes Pranayama
Die Ujjayi-Atmung kannst du in einzelnen Asanas oder auch als eigenständige Atemübung nutzen, um dich von innen heraus zu wärmen und dein inneres Feuer, Agni, zu stärken. Ujjayi wirkt außerdem energetisierend und fokussierend und ist damit das perfekte Herbst-Pranayama – auch mal zwischendurch am Schreibtisch oder in der U-Bahn.
Du willst dich durch Yoga mit den Jahreszeiten verbinden? Janine Schneider bietet Anfang Dezember 2024 das „Rest & Recharge“-Winter-Yoga-Retreat in Brandenburg an. Alle Infos findest du auf www.yoursoulspace.org/yoga-retreats.
Literatur:
- Roswitha Stark: Rituale im Jahreskreis. Harmonisierung und Selbstheilung im Rhythmus der Natur. Mankau Verlag 2020.
- Kerstin Rosenberg, Lea Johanning: Ritucarya. Mit Ayurveda durch das Jahr. Königsfurt Urania 2019.