
Womb Yoga – die Kraft der Gebärmutter
Nicht nur aus physiologischer Sicht ist die Gebärmutter ein faszinierendes Organ. Auch energetisch ist sie ein essentieller Kraftort – und damit besonders bedeutend für Yoginis und ihre spirituelle Praxis. Denn ähnlich wie wir unsere Aufmerksamkeit beim Yoga zum Raum des Herzens als wichtigem Dreh- und Angelpunkt lenken, können wir das auch mit der Gebärmutter praktizieren.
Beim Womb Yoga („Womb” ist das englische Wort für Uterus) verbindest du dich als Yogini bewusst mit dem Unterleib, um das kreative Potenzial, das hier liegt, zu entfalten und die feminine Kraft in dir zu stärken – und dann mit dieser Kraft die Welt zu bereichern. Womb Yoga meint in diesem Text also nicht einen Yogastil wie Vinyasa oder Yin Yoga. Vielmehr soll der Begriff als Inspiration dienen, mehr Bewusstheit, Respekt und liebevolle Annahme in den Unterleib zu lenken. Für eine Praxis, die du mit einer bestimmten inneren Haltung und mit Fokus auf die weibliche Anatomie übst, und damit die Energien der Gebärmutter (oder des Raums der Gebärmutter) ins Fließen bringst.
Die energetische Bedeutung der Gebärmutter
Die Gebärmutter sitzt im unteren Zentrum des weiblichen Beckens. Sie ist einer der stärksten Muskeln im menschlichen Körper und dabei erstaunlich dehnbar. Von hier wurden wir alle in die Welt geboren. Wusstest du, dass sich die Gebärmutter während einer Schwangerschaft um das etwa 20-fache ausdehnt? Schon in der Gebärmutter deiner Großmutter, genau: Im Fötus deiner Mutter, wuchs die Eizelle, aus der du einmal entstanden bist. Jeden Monat finden in einem komplexen Zusammenspiel mit anderen Organen und verschiedenen Körpersystemen rund um die Gebärmutter tiefgreifende Veränderungen statt. Diese Bewegung, Ebbe und Flut, wirkt sich auch auf die Emotionen und das körperliche Wohlbefinden aus.
Der Blick auf den Uterus sollte aber nicht allein auf Fruchtbarkeit und Fortpflanzung beschränkt sein. Energetisch betrachtet ist die Gebärmutter Sitz von Kreativität und Lebenslust. Sie ist „mit dem tiefen Selbstgefühl von Frauen und ihrer inneren Welt verbunden“, schreibt Dr. med. Christiane Northrup in ihrem Buch „Frauenkörper, Frauenweisheit”: „Sie ist ein Symbol für ihre Träume und für das Selbst, das sie ‚gebären‘ möchten. Ihr Gesundheitszustand ist ein Spiegel der tiefen emotionalen Realität und des Selbstvertrauens“. Christiane Northrup nennt die Gebärmutter auch „Möglichkeitsraum“. Hier liegt das Potenzial für unsere Wünsche und Ziele. Wir erschaffen aus der Kraft dieses Zentrums – nicht allein Kinder, sondern auch kreative Projekte, Beziehungen, Karrieren. Unabhängig davon, ob die Gebärmutter als Organ vorhanden ist oder vielleicht entfernt wurde. Ein Buch, ein Bild oder ein Gemüsegarten entsteht bei Frauen mit der Kraft aus diesem Raum.
Und doch ist der Unterleib für viele Frauen mit Schmerz und Scham belegt. So ist beispielsweise die Menstruation ein gesellschaftliches Tabu – das glücklicherweise langsam gebrochen wird. Wenn wir genau hinschauen, wird zudem sichtbar, wie sehr auch die westliche Yogawelt von der Yang-Energie dominiert und von patriarchalen Strukturen beeinflusst wird, mit übermäßigem Fokus auf Disziplin, Kraft oder Zielorientierung.
Das Bewusstsein für die Bedeutung des Zyklus findet erst seit kurzem seinen Weg in die Yogastudios. Dabei ist es für Gesundheit und Wohlbefinden einer Frau zentral, mit zyklischen Veränderungen mitzuschwingen und auch die Yoga-Praxis darauf auszurichten. Ein Grund hierfür ist, dass Frauen traditionell vom Hatha Yoga ausgeschlossen waren und die Praxis von Männern für Männer konzeptualisiert wurde. Viele Praktiken werden der spirituellen Anatomie einer Frau darum nicht gerecht. Ein Teil davon ist es auch, einem wichtigen Chakra im weiblichen Körper mehr Achtsamkeit zu schenken, von dem wir eher selten lesen.
Yonisthana Chakra: Wo sich Erde und Wasser vereinen
Die Gebärmutter und die weiteren weiblichen Geschlechtsorgane im kleinen Becken (Eierstöcke, Eileiter, Vagina, Vulva) – energetisch unter dem schönen Wort Yoni zusammengefasst, das oft auch als „Quelle“ oder „Ursprung“ übersetzt wird – werden meist dem zweiten Chakra, Svadhisthana, zugeordnet. Das Sakral-Chakra ist mit dem Element Wasser verbunden. Und wenn wir an Ebbe und Flut, das Fließen der Körperflüssigkeiten im Menstruationszyklus oder auch bei sexueller Erregung und Orgasmus denken, ist die Brücke hier schnell geschlagen.
Aber es ist nicht allein das Wasserelement, das im Uterus wirkt: Mit Blick auf die weibliche Anatomie sehen wir, dass die Vulva, das Tor oder die Öffnung zur Gebärmutter, im Bereich des ersten Chakras liegt, der Basis, Muladhara. Das Wurzel-Chakra ist dem Erdelement zugeschrieben. Damit vereinen sich die Qualitäten von Wasser und Erde im Kreativraum der Gebärmutter, wie Uma Dinsmore-Tuli in ihrem Buch „Yoni Shakti” schreibt: „Um unser Bewusstsein für die Verschmelzung von Erde und Wasser in den Energien der Gebärmutter zu stärken, ist es wertvoll anzuerkennen, dass sie tatsächlich ihren ganz eigenen Platz in der Anatomie des Energiekörpers hat. Dieser Ort ist mehr als ein einfacher ‚Knotenpunkt‘ zwischen Muladhara und Svadhisthana“, so Dinsmore-Tuli. „Der Ort in Beziehung zu den anderen Chakras kann als Yonisthana Chakra identifiziert werden, was buchstäblich ‚besonderes Land der Gebärmutter‘ oder ‚der Ort der kosmischen Pforte‘ bedeutet.“ (eigene Übersetzung)
Energie folgt der Achtsamkeit: Bei der Yoga-Praxis im Mikrokosmos des weiblichen Körpers mit diesen Energien bewusst zu arbeiten und den Fokus auf Yonisthana Chakra zwischen dem Wurzel- und Sakral-Chakra zu lenken, stärkt unsere Fähigkeit, geerdet und stabil zu sein, und gleichzeitig kreativ und im Flow.
Womb Yoga als Praxis
Was heißt das nun konkret für deine Yoga-Praxis?
- Bestimmte Asanas, Mudras, Meditationen, Atemübungen oder Visualisationen bringen die Energien im Unterleib zum Fließen und können helfen, Blockaden in diesem sensiblen Bereich zu lösen. Orientiere dich dabei an Übungen für das erste und zweite Chakra und leg den Fokus auf das Erd- und Wasserelement.
Tipp: Diese fließende Sequenz von Nicole Bongartz für das zweite Chakra, Svadishtana, eignet sich wunderbar für eine Praxis mit Fokus auf die Gebärmutter:
- Spür bewusst auch immer wieder den Kontakt der Füße zu Mutter Erde, um das erste Chakra zu aktivieren.
- Kreisende, fließende Bewegungen mit dem Becken oder die Beckenschaukel stimulieren das zweite Chakra.
- Unterstützend kannst du die Hände in Yoni Mudra – einem nach unten zeigenden Dreieck mit Daumen und Zeigefinger in Kontakt (s. Bild oben) – immer wieder auf den Unterleib legen und bewusst in diesen Bereich atmen. Visualisiere hier Yonisthana Chakra, „das Land der Gebärmutter“.
- Ein weiterer zentraler Aspekt für Yoginis ist es, bei der Yoga-Praxis mit den hormonellen und energetischen Veränderungen im weiblichen Zyklus zu gehen, statt sie zu ignorieren – sowohl innerhalb der Phasen des Menstruationszyklus (Menstruation, Follikelphase, Eisprung und Lutealphase) als auch der verschiedenen Phasen im gesamten Leben einer Frau, wie in der Zeit der Menopause oder Post-Menopause oder vielleicht einer Schwangerschaft).
- Zudem geht es besonders um deine innere Ausrichtung und deine Beziehung zur Gebärmutter und deinem „Möglichkeitsraum“: Vielleicht kannst du dich dem Raum deiner Gebärmutter auf der Yogamatte mit Liebe und Respekt zuwenden. Dabei gilt es, die Qualitäten der Yin-Energie zu stärken – Annahme, Hingabe, Sanftheit, Körper und Geist nähren und bewusst fühlen. Folge in deiner persönlichen Praxis deiner Intuition, anstatt dich in ein starres Korsett an Haltungen oder einen bestimmten vorgefertigten Ablauf zu pressen.
Und schließlich: Nimm diese Qualitäten von der Matte mit in deinen Alltag! Denn wenn du aus der Kraft deines Schöpferinnen-Zentrums heraus lebst, stärkst du dein weibliches intuitives Wissen und kannst mit Selbstvertrauen dein kreatives Potenzial entfalten.
Tipp: Falls du deiner weiblichen Kraft mehr Raum geben möchtest, komm mit auf Janine Schneiders Yoga-Retreat für Frauen vom 9. bis 25. August 2023 an der Westküste Schwedens!
Literatur
- Dr. med. Christiane Northrup: Frauenkörper, Frauenweisheit. ZS Verlag 2017.
- Uma Dinsmore-Tuli: Yoni Shakti. YogaWords 2014.
- Sonia Emilia Rainbow: Frauenheilkraft. Das vergessene Wissen um die Urkraft der Gebärmutter. Ansata Verlag 2019.