Yoga und Feminismus
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Yoga & Feminismus: Die Freiheit der Frau

Von Janine Schneider

Die moderne Yogawelt ist eine Welt der Frauen. Egal, wo wir hinschauen: Es sind vor allem Yoginis (also weibliche Yogis), die heute praktizieren – und es werden immer mehr. Vor dem Hintergrund der Geschichte des Hatha Yoga ist dieser Fakt besonders spannend. Denn es ist noch nicht lange her, dass Frauen von der Praxis ausgeschlossen waren. Hatha Yoga war ein exklusiver Männer-Club.

Im 21. Jahrhundert sieht es anders aus. Yoga – und viele moderne Yogastile, die sich daraus entwickelt haben – steht für Millionen von Frauen, mich eingeschlossen, synonym für Selbstermächtigung und Freiheit – zentrale Worte auch im Kontext des Feminismus. Da überrascht es nicht, dass viele der Grundgedanken des Feminismus essenzieller Bestandteil der Yogaphilosophie sind, wenn auch mit anderen Worten beschrieben. Und gleichzeitig sind leider nicht wenige Strukturen der modernen Yogaszene frauenfeindlich. Diese Diskrepanz ist eine Aufforderung zu fragen: Was heißt Freiheit für die Frau im Kontext des Yoga?

Feminismus bedeutet Vielfalt 

Folgendes vorweg: Wenn wir über Feminismus sprechen, betreten wir ein sehr weites Feld. Wichtig zu wissen ist, dass es nicht den einen Feminismus gibt, genauso wenig wie es den einen Yoga gibt. Unter den Begriff „Feminismen“ fallen eine Vielzahl verschiedener Strömungen rund um die feministische Gesellschaftskritik, die als verbindende Elemente zum Beispiel gleiche Ziele bei den Aspekten der Selbstbestimmung der Frau und der Gleichstellung der Geschlechter haben. 

Ein wichtiger Bereich, den die feministische Forschung und Wissenschaft dabei heute beleuchtet, ist der Zusammenhang von unserem biologischen Geschlecht, dem sozialen Geschlecht (Gender) und unseren sexuellen Neigungen. In diesem Text verwende ich das Wort Frau stellvertretend für alle Menschen, die sich als Frau identifizieren und die als Mädchen aufgewachsen sind. 

Der Frauenkörper: Objekt oder Zuhause?

Zurück zu den Männern, die den Hatha Yoga ursprünglich für Männerkörper konzeptualisiert haben. Wusstest du, dass in den Grundlagentexten, die uns heute zum Hatha Yoga zugänglich sind, kaum Erwähnungen von Frauen zu finden sind? Für mich ist es manchmal kaum zu fassen, dass es bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dauerte, bis einige Frauen überhaupt Zugang zur Praxis hatten, lange Zeit angeleitet von überwiegend männlichen Gurus. 
Schauen wir uns heute in Yogastudios, bei Yogalehrer:innenausbildungen oder auf Retreats um, sehen wir ein ganz anderes Bild: Es sind eher die Männer, die fehlen. Was gibt die Yogapraxis den Frauen heute? Eine Antwort von vielen: Die Erfahrung von Freiheit in einer Welt, in der der weibliche Körper zum Objekt stilisiert wurde. 

Yoga und Feminismus: Yoga für Frauen

Uma Dinsmore-Tuli, Yogini, Öko-Feministin und Autorin schreibt in ihrem Buch „Yoni Shakti. A woman’s guide to power and freedom through yoga and tantra“:

„Einfach glücklich zu sein im eigenen Frauenkörper ist traurigerweise eine eher seltene Erfahrung“, schreibt die Yogini, Öko-Feministin und Autorin Uma Dinsmore-Tuli (in ihrem Buch „Yoni Shakti. A woman’s guide to power and freedom through yoga and tantra“). „Viele Frauen verbringen ihr ganzes Leben damit, einen Weg zu finden, sich ‚eins‘ mit sich selbst zu fühlen. Dann finden wir uns in einer Yogaklasse wieder, wo wir gelehrt werden, zu akzeptieren wo wir gerade stehen, wie wir uns fühlen, genau jetzt, einfach so wie wir sind – und damit eins zu sein. Kein Wunder, dass Frauen Yoga so mögen.” [eigene Übersetzung]

Auch wenn Frauen durch die Errungenschaften und den Transformationsgeist starker Feminist:innen im Vergleich zu früher mehr Rechte und Gleichstellung erfahren, leben wir nach wie vor in einer patriarchalen Gesellschaft. Im Kapitalismus ist auch der weibliche Körper ein Objekt, das verschönert und optimiert werden muss. Wenn wir anfangen, das Frauenbild zu hinterfragen, das die meisten Medien heute konstruieren und das in vielen Köpfen feststeckt, wundert es uns leider kaum mehr, dass schon kleine Mädchen mit Selbsthass leben, Frauen ihren Wert übermäßig über ihr Aussehen definieren oder Ideen einer idealisierten Weiblichkeit weiter klischeehafte Rollenbilder befeuert, die Frauen klein halten. 

Sich von diesen Vorstellungen zu befreien, nur für 90 Minuten oder vielleicht sogar ein für alle Mal, und die Erfahrung zu machen, sich eins mit dem eigenen Körper als sicherem Zuhause zu fühlen, ist für mich als Frau einer der größten Schätze meiner Yogapraxis.

Radikale Selbstliebe führt zur inneren Freiheit

Selbstliebe

Innere Freiheit bedingt damit für mich zu einem großen Stück weit äußere Freiheit, auch wenn es meiner Meinung unbedingt auch die Bewegungen im Außen als zielgerichteten Aktivismus geben muss, um für Gerechtigkeit einzustehen. Zur inneren Freiheit braucht es einen Ansatz der Yogapraxis, der wegführt vom altbekannten Optimierungsansatz. Radikale Selbstliebe ist dabei ein starkes Drehkreuz.   

Wie kann Yoga die Selbstliebe von Frauen fördern?

Eine Praxis, die Selbstliebe fördert, ist zum Beispiel eine Praxis die...

  • den Fokus weg von einem Ziel und hin zum Moment lenkt. Das lässt sich zum Beispiel auf jede Asana übertragen, bei der wir von dem Gedanken loslassen, eine Pose zu meistern und endlich den Kopf zu den Knien zu bringen. Stattdessen können wir vielleicht in der Rolle der Beobachterin mit der Intention in Haltungen gehen, herauszufinden, was sich in genau diesem Moment in uns bewegt – und all das willkommen heißen. 
  • die eigene Intuition stärkt. Wer achtsam den Blick nach innen richtet, kann die eigene Stimme – die innere Lehrerin – gut hören. Ein Weg, der Frauen darin bestärkt, ihre eigene Wahrheit zu finden, anstelle Lehren unhinterfragt anzunehmen, ist für mich ein feministischer Weg. Wenn ich weiß, wer ich bin, was ich brauche und wo meine Grenzen sind, kann ich auch im Außen dafür einstehen. 
  • mir erlaubt, meine individuellen Bedürfnisse zu erkennen und nach ihnen zu handeln. Dazu gehört es für mich, so langsam zu werden, dass ich die Zeichen meines Körpers lesen kann. Dann richte ich meine Yogapraxis darauf aus, dass sie abholt, was ich wirklich brauche – zum Beispiel Entspannung, Erdung, Ruhe, Stärke, Verspieltheit oder Sicherheit. Yoga ist nicht one size fits all. Wir alle brauchen grundlegend verschiedenen Dinge, die sich von einem Tag auf den nächsten verändern können.

Kennst du schon unser wundervolles Selbstliebe-Video von Annika Isterling?

Wie achte ich beim Yoga auf meine Bedürfnisse?

Gerade beim Thema Bedürfnisse kommt ein weiterer wichtiger Faktor ins Spiel. Als zyklische Wesen sind Frauen in bedeutende Rhythmen eingebettet, die uns von innen heraus beeinflussen. Von Menarche und Menstruation, möglicherweise über Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit, bis zur Menopause und Postmenopause unterliegt ein Frauenkörper großen, wunderbaren Veränderungen, die Einfluss auf physischer, mental-emotionaler und energetischer Ebene haben. Diese feminine Realität muss in der Yogapraxis abgeholt werden, damit Yoga als Praxis für Frauen in allen Lebensphasen ermächtigend und heilsam sein kann.

„Die respektvolle Reaktionsfreudigkeit auf zyklische Veränderungen in unseren Körpern ist für mich der wichtigste Aspekt unserer yogischen Achtsamkeit“, so Uma Dinsmore-Tuli mit Blick Zyklusbewusstsein weiter. “Es ist unser ‚innerer Yoga‘.”

Endlich sprechen wir auch in der spirituellen Szene mehr über diese Themen, um auch das Stigma der Menstruation immer weiter aufzulösen. Denn zur weiblichen Spiritualität gehört auf jeden Fall das Blut dazu. Hier kommst du zum Yogatalk von Gabriela Bociz über den weiblichen Zyklus

Ist Yoga ein Safe Space für Frauen?

Inner Change ProgrammAll diese Bewegungen können heute vielleicht nur deshalb passieren, weil Yoginis sich Orte geschaffen haben, an denen sie sich sicher fühlen, um zu fühlen. Räume, an denen sie mit anderen Frauen zusammenkommen, um sich auszutauschen. Plätze der Verbindung, an denen Aspekte rund um das Frausein und das Feminine Raum finden.

Yoga bietet auch vielen Menschen einen Anlaufpunkt, die aufgrund traumatischer Erfahrungen Halt und Perspektive suchen. In diesem Kontext ist es besonders wichtig, in Betracht zu ziehen, dass erschreckend viele Frauen im Laufe ihres Lebens sexuellen, physischen oder emotionalen Missbrauch erlebt haben. Leider ist auch die Yogaszene von Machtmissbrauch nicht ausgenommen, wie zu viele Medienberichte der letzten Jahre deutlich zeigen. 

Dass die Yogamatte damit der Safe Space der einen Frau und gleichzeitig ein Ort sein kann, an dem Frauen ausgebeutet werden, bringt für mich das riesige Potenzial und die spirituellen Stolperfallen des modernen Hatha Yoga auf den Punkt. 

Licht und Schatten

Wie überall ist es doch so: Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten, und das trifft für mich auch auf die Yogaszene zu. Und so passiert es heute vielleicht schnell, dass wir uns im kapitalistischen Yogabild der schönen, schlanken, weißen Yogini verlieren, dass das Yogastudio zu einem weiteren Ort der Konkurrenz unter Frauen wird, oder wir zielorientiert den Yoga wie ein starres Korsett über unsere Körper stülpen.

Oder… wir nutzen die Praxis als starkes Mittel der Verbindung zu uns selbst und anderen: So kann die Yogapraxis uns helfen, uns von patriarchalen Strukturen zu lösen und Freiheit im Körper finden. Wir können durch sie üben, auf unsere zyklischen Bedürfnisse bestmöglich einzugehen. Und das Yogastudio kann zu einem echten Raum der Solidarität unter Schwestern werden. 

Janine Schneider
Janine Schneider

Janine Schneider ist freie Journalistin und Yoga-Lehrerin verwurzelt im Grünen bei Berlin. Sie liebt Themen rund um weibliche Spiritualität, ganzheitliche Gesundheit, emotionale Intelligenz und achtsame Nachhaltigkeit. In ihren Texten und Yogastunden versucht sie Brücken zu bauen zwischen den Tantra- und Yogatraditionen und modern gelebter Spiritualität.
Mehr über Janine erfährst du unter www.yoursoulspace.org und www.wortschaetze.org.