Saraswati – Göttin der Weisheit, Kunst und Wissenschaften

Von Janine Schneider

Nicht nur im Hinduismus, sondern auch in buddhistischen und jainistischen Traditionen ist Saraswati als Göttin des Wissens und der Weisheit bekannt. Unter den vielen bunten Göttinnen in Indien und drumherum wird sie in Ritualen als weise Patronin des Lernens, der Sprache und Schrift verehrt. Sie ist die Advokatin der Wissenschaften und Künste, der Dichtung und Literatur, von Tanz, Gesang und Musik. Als eine von vielen Verkörperungen von Shakti – der universellen femininen Kraft – repräsentiert sie unter anderem Vak, das heilige Wort oder Ausdruckskraft. So soll sie das Sanskrit-Alphabet und die Devanagari-Schrift erschaffen haben.

So erkennst du die Göttin Saraswati

Die Erscheinung Saraswatis ist voller Symbolik. Oft unterscheiden sich ihre Bildnisse und Statuen ein wenig, aber so kannst du sie dir vorstellen:

  • Saraswati wird oft mit vier, manchmal mit zwei Händen dargestellt.
  • Sie spielt die Vina, ein Saiteninstrument als Symbol für Musik und die Künste.
  • Sie hält ein Palmblattbuch in einer Hand, was auf die Veden und die Erfindung der Sanskrit-Sprache und Schrift verweist.
  • Sie hält auch eine Malakette, die die Kraft der Mantras symbolisiert.
  • Ihr Begleittier ist ein Schwan, manchmal auch ein Pfau.
  • Sie steht oder sitzt auf einer Lotusblume.
  • Meist trägt die ein weißes Gewand, ein Symbol der Reinheit.

Gut zu wissen: Die hinduistische Religion und indische Kultur ist voll von faszinierenden Erzählungen und Mythen rund um Krishna, Lakshmi, Ganesha, Durga oder Rama, die sich teilweise ein wenig widersprechen und verschiedene Aspekte betonen – und so ist es auch mit Saraswati.

Saraswati, die Fließende

Laut Autor und Philosoph David Frawley, dem Gründer des „American Institute of Vedic Studies“ ist Saraswati die meistverehrte Göttin der Veden als „Veda Mata“, die Mutter des vedischen Wissens und aller vedischen Göttinnen. Die hinduistische Welt kennt viele Götterpaare und so ist Saraswati als Brahma Gattin die Mutter der Schöpfung. „Devi Saraswati verkörpert vor allem das weibliche Schöpfungsprinzip als Gefährtin von Brahma, dem Schöpfer“, so Frawley. „In der vedischen Philosophie entspringt das gesamte Universum aus Ananda – dem Fluss aus Liebe, Schönheit und Glückseligkeit, der aus einem höheren Sein und Bewusstsein fließt. Saraswati repräsentiert diesen Ausdruck von Ananda als Rasa, die Essenz hinter der Magie und dem Mysterium des Lebens.“ (eigene Übersetzung, s. Quellen 1.)


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Das Sanskritwort Saraswati wird übersetzt mit „die Fließende“ – bezogen auf den stillen Fluss eines friedvollen Geistes und ebenso auf den Fluss der Worte, der Musik, der Mantras (s. Quellen 2.). Die inhaltliche Brücke lässt sich hier hier aber auch zu einem Fluss spannen, um den sich Mythen und wissenschaftliche Diskussionen ranken. Denn nicht selten haben die göttlichen Wesen der Veden menschliche Gestalt oder tierische Erscheinungsformen oder sind assoziiert mit Naturphänomenen. So auch Saraswati: Sie ist nicht nur eine Göttin in Menschengestalt, sondern auch ein lebensspendender Fluss. Seit Tausenden von Jahren ist im Nordosten Indiens ein wichtiger Pilgerort für Gläubige – dort, wo sich die Flüsse Ganges, Yamuna und Saraswati treffen, genannt Triveni Sangam, die „Vereinigung von drei Strömen“. So pilgern Millionen von Hindus alle zwölf Jahre anlässlich des mehrwöchigen Festes Maha Kumbh Mela nach Prayagraj, um ein reinigendes Bad zu nehmen, zuletzt wieder Anfang 2025.

Der Fluss Saraswati wird im Rigveda und anderen Texten erwähnt. Ob und wo der Fluss Saraswati tatsächlich geflossen ist, ist umstritten. Manchmal heißt es, er fließe unterirdisch oder sei über die Jahrhunderte ausgetrocknet. Er steht in der Mythologie für Wissen und Spiritualität – und so wird das Verschwinden des Flusses manchmal auch als der Übergang vom Physischen zum Metaphysischen gedeutet (s. Quellen 3.).

Saraswati, weise Beschützerin der Welt

Vielleicht hat die Geschichte des Saraswati-Flusses auch seinen Ursprung in der folgenden Legende, die in verschiedenen Volksüberlieferungen immer wieder auftaucht, wenn das Thema auf Saraswati kommt.

Als Shiva, der Zerstörer, die Korruption und Dunkelheit auf der Welt sieht, beschließt er die Menschheit auszulöschen. Er öffnet sein drittes Auge und entfesselt einen Feuerstrahl, der die gesamte Welt und alle Menschen zu vernichten droht. Saraswati aber bleibt als Quelle der Weisheit von Shivas Zorn ungerührt und beschließt, die Menschheit zu retten. Sie nimmt die Gestalt eines heiligen Flusses an, umfasst Shivas Feuerstrahl mit ihren Fluten – Saraswati weiß, dass nur Unreines von der Kraft der Flamme zerstört werden kann – und trägt das zerstörerische Feuer hinaus bis ins Meer.

So wird Saraswati zur Wohltäterin der Menschheit und bewahrt sie vor Zerstörung.

Die Feiertage der Saraswati

Indien ist ein Land der Feste. Mit Tempelbesuchen, Festessen, Musik, Öllampen und Räucherwerk wird den hinduistischen Gottheiten an ihren jeweiligen Feiertagen gehuldigt. „Vasant Panchami” („Frühlingsfünfter”) ist der wichtigste Feiertag für die Göttin der Weisheit, der auch „Saraswati Puja” genannt wird. Hier wird im Frühjahr zum zunehmenden Mond Saraswati besonders in Schulen und Universitäten und von Philosoph:innen und Künstler:innen verehrt. Dazu werden ihre Bilder zusammen mit Büchern, Instrumenten und Lernutensilien aufgestellt. Kinder nehmen Puppen von Saraswati mit zur Schule und kleine Kinder werden zu diesem kulturellen Fest oft in das Schreiben eingeführt. Das Bild Saraswatis ist in Indien in Bibliotheken oder in den Gängen von Bildungseinrichtungen zu finden und gerade vor wichtigen Prüfungen wird zu ihren Ehren geopfert.

Im September/Oktober bekommt Saraswati außerdem ihren großen Auftritt zu Navratri („Neun Nächte“), einem der größten Hindu-Feste zu Ehren der Göttin Durga mit Prozessionen, Zeremonien in Tempeln, Konzerten, Tänzen und Theateraufführungen. Die Tage sind in drei Abschnitte unterteilt, und besonders an den letzten drei Tagen des Festes wird Saraswati hier mit Pujas verehrt.

Wissen vs. Weisheit

Auch wenn Yoga hier bei uns längst angekommen ist und die farbenfrohe Welt der Devis und Devas für viele Menschen aus anderen Kulturen immer wieder faszinierend sind, können für westliche Yogi:nis der Polytheismus – also der Glaube der Hindus an viele Göttinnen und Götter – und die daraus zelebrierten großen Rituale manchmal recht fremd wirken. Sich mit den Mythen und zugeschriebenen Qualitäten der Göttinnen zu beschäftigen, kann aber immer wieder inspirierend sein und helfen, eigene Denkweisen zu reflektieren. Saraswati erinnert uns: Wissen ist so viel mehr als Informationsaufnahme und diszipliniertes Lernen!

Der Verstand ist nicht alles, auch wenn er in unserer Gesellschaft so oft im Fokus steht. Saraswati symbolisiert, dass das höchste Wissen sich um den Kern der Dinge und um die Fragen nach Selbst und Welt dreht. Das alltägliche Lernen ist wichtig, aber tiefe innere Weisheit entsteht jenseits der Bücher. Saraswati holt die Freude an der Kunst, dem Ausdruck und der Weisheit ins Zentrum – als Nordstern und Bindeglied zwischen dem Profanen und Spirituellen.


Quellen:

  1. Vedanet.com: Why we must honour Godess Saraswati
  2. H. Daniel Smith, M. Narasimha Chary: „Handbook of Hindu Gods, Goddesses and Saints”, Sandeep Prakashan,1992.
  3. Times of India: The tale of Saraswati, the Underground River
  4. Michaels, Axel: „Der Hinduismus: Geschichte und Gegenwart”, C.H. Beck-Verlag, 2023.
  5. Vedanet.com: The many benefits of Saraswati Puja.
Janine Schneider
Janine Schneider

Janine Schneider ist freie Journalistin und Yoga-Lehrerin verwurzelt im Grünen bei Berlin. Sie liebt Themen rund um weibliche Spiritualität, ganzheitliche Gesundheit, emotionale Intelligenz und achtsame Nachhaltigkeit. In ihren Texten und Yogastunden versucht sie Brücken zu bauen zwischen den Tantra- und Yogatraditionen und modern gelebter Spiritualität.
Mehr über Janine erfährst du unter www.yoursoulspace.org und www.wortschaetze.org.