Zusammen: Klare Haltung ohne Spaltung
Alessandro Biascioli

Zusammen: Klare Haltung ohne Spaltung

Von Katharina Goßmann

Die Entwicklung der letzten Jahre – die Verschärfung kriegerischer Konflikte und das Erstarken populistischer, extremistischer Strömungen in Politik und Gesellschaft – erfüllt viele Menschen mit Sorge. Können uns Yoga, Meditation und Achtsamkeit dabei unterstützen, in solch herausfordernden Zeiten Zuversicht und Vertrauen zu kultivieren? Wie können wir uns klar und hörbar für die Liebe, den Frieden und die Menschenrechte einsetzen, ohne Spaltung und Ausgrenzung zu befeuern? Kann die spirituelle Perspektive einen wertvollen Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte leisten? Und was können wir konkret tun, um Unrecht zu verhindern und an einer Gesellschaft mitzuarbeiten, in der sich alle sicher und angenommen fühlen dürfen?


Online Event „ZUSAMMEN“

ZUSAMMEN Banner

Spiritualität in Zeiten gesellschaftlicher Konflikte: yogamehome hat das Online-Event „ZUSAMMEN“ ins Leben gerufen, unterstützt vom BDYoga, Yoga Austria und YogaEasy. Am 8. Mai 2024 gingen wir der Frage nach, wie uns die Weisheit des Yoga und des Buddhismus dabei unterstützen können, mit gesellschaftlichen Konflikten besser umzugehen. Dabei haben uns spannende Vorträge und eine gemeinsame Meditation erwartet:

  • Dr. Wilfried Reuter wird in einem Vortrag die Frage aus buddhistischer Sicht beleuchten. Er ist der spirituelle Leiter des buddhistischen Zentrums Lotos-Vihara in Berlin.
  • R. Sriram wird sich der Frage aus der Sicht des Yoga nähern. Sriram gilt in Deutschland als "der Lehrer der Yogalehrer"
  • Eva Keller wird für uns die Meditation anleiten. Sie ist die Gründerin des forum8, einer Initiative für bewusste Lebensqualität.

Hier findet ihr die Aufzeichnung des Online-Kongresses ZUSAMMEN vom 8. Mai 2024: 


Die spirituelle Perspektive auf die Gesellschaft

Menschen auf dem spirituellen Weg sehen sich regelmäßig mit der Kritik konfrontiert, dass sie lieber „für den Weltfrieden meditieren” als den zerstörerischen Kräften in der Welt wirklich etwas entgegenzusetzen. Nun trifft diese Vorstellung von vergeistigter Spiritualität und Rückzug ins Esoterische auf das Leben der meisten Yogi:nis nicht zu. Sie spricht aber einen essentiellen Aspekt des spirituellen Wegs an: Yoga, Meditation, Atemarbeit, das Studium philosophischer Schriften etc. sind kein Selbstzweck und auch nicht dazu da, dass sich die Praktizierenden besser fühlen (auch wenn das oft ein Effekt ist).

Das Ziel der spirituellen Praxis ist es, in Verbindung zu gehen mit dem Kern unseres Seins. Denn nur von diesem Ort aus – der frei ist von gesellschaftlichen Konditionierungen, von geistigen Trübungen, von Gefühlsverwirrungen (s. Kapitel 4 in Patanjalis Yogasutra) – können wir dieses Leben und die Menschen gleichmütig und ohne Wertung betrachten.

Diese Perspektive ist das eigentliche Geschenk, das Menschen auf dem spirituellen Weg der Gesellschaft machen können. Denn wenn wir aus einem tiefen inneren Frieden und mit echter Unvoreingenommenheit in die Welt gehen, können wir diese Qualitäten in jeder Begegnung weitergeben. Können so Brücken bauen, wo tiefe Schluchten sind, und Verständigung ermöglichen, wo vorher nur mit Worten die Distanz vergrößert wurde.

Annahme als Basis für Heilung

Nun ist die Aufgabe, die Welt, die Menschen und das Leben so anzunehmen, wie sie sind, nicht selten herausfordernd. So viel in dieser Welt steht nicht im Einklang mit unserem Herzen, löst Trauer in uns aus, lässt Verzweiflung in uns aufsteigen. Wir wollen das Unrecht, das Leid beenden, wollen eine neue Welt erschaffen. 

Unser Mitgefühl, unsere hohen Ziele und unser Idealismus ehren uns. Aber sie bringen uns nicht voran. Wenn wir Liebe und Licht in diese Welt bringen wollen, kommen wir nicht umhin, das, was ist, anzunehmen. Im Widerstand zu sein gegen die Menschen wie sie sind, die Gesellschaft, wie sie sich gerade präsentiert, verschwendet nicht nur Energie – diese Haltung führt auch unweigerlich zu mehr Leid. Denn wenn wir voller Trauer und Verzweiflung durch die Welt gehen, können wir das Gute nicht mehr sehen, keine Zuversicht schenken und werden nur mehr Hoffnungslosigkeit verbreiten. 

Wenn wir Licht in die Welt bringen wollen, müssen wir Licht sein. Müssen den Abgründen der menschlichen Seele ins Auge blicken, müssen verstehen, dass sich hinter all dem Hass und der Gewalt Angst und Trauer verstecken. Und dann müssen wir uns ebenso mutig unsere eigene Angst ansehen – und sie in Liebe verwandeln. Das ist eine große, ja, eine Lebensaufgabe. Aber sie ist das Lohnendste, was wir tun können für diese Welt. Denn jede Entscheidung, die wir aus Angst treffen, trägt Leid in sich, und jede, die wir aus Liebe treffen, Heilung. 


Exkurs: Der Erfolgszug der Angst

Wer regelmäßig private oder soziale Medien konsumiert, kann den Eindruck bekommen, dass wir kurz vor dem Weltuntergang stehen. Dabei folgen die Medien nur dem bekannten Zusammenhang: Je kontroverser die These, je angsteinflößender die Aussage, umso erfolgreicher ist der Beitrag, um so häufiger wird er gelesen, kommentiert und geteilt. Da Medien von Aufmerksamkeit leben (je mehr Interaktion, umso teurer kann die Werbefläche verkauft werden) ist es nur logisch, dass die Welt in negativen Nachrichten ertrinkt. 

Auch extremistische Organisationen – von großen Parteien bis zur Reichsbürgerbewegung – leben von Angst. Ihr Vorgehen – Schuldige für ein Problem zu identifizieren, und diese dann (Stichwort: „einfache Lösung”) mit Ausschluss, Abschiebung, Auslöschung zu bedrohen – hat das Ziel unangenehme Gefühle von Angst und Unsicherheit wegzuschieben. Deshalb schüren populistische und extremistische Organisationen die Ängste der Menschen. 

Fazit: Auch wenn die Medien und extremistische und populistische Organisationen mit der Verbreitung von Angst die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben, sollten wir uns regelmäßig in Erinnerung rufen, dass die Mehrheit der Menschen sich in der Mitte der Gesellschaft ansiedelt, fest in Demokratie und Menschenrechten verankert ist – und auch Mitgefühl und Anstand immer noch weitverbreitet sind.


Veränderung gibt es nur über Verbindung

Wenn wir aus Liebe handeln, dann wird das Miteinander nicht nur für alle wohltuender. Liebevolle Annahme und Offenheit als Basis von Interaktionen hat klar belegbare Effekte.

Dank psychologischer Forschung (etwa zur kognitiven Dissonanz) wissen wir: Menschen mit festen Überzeugungen lassen sich schwer beeinflussen. Je länger jemand schon eine bestimmte Sichtweise auf die Wert hat, je überzeugter er davon ist und je mehr Einfluss seine Überzeugung auf seine Lebensweise hat, umso weniger sind sie mit Argumenten erreichbar. Das hat damit zu tun, dass dieser Mensch zu viel zu verlieren hat (etwa seine Einbindung in ein soziales Umfeld), wenn er seine Meinung ändert. 

Deshalb sind die meisten üblichen Maßnahmen unserer Kopf-fixierten Gesellschaft nicht sinnvoll im Umgang mit Menschen, die extremistischen Überzeugungen anhängen. Denn wenn wir versuchen, mit Fakten zu argumentieren, oder mit strafrechtlichen Konsequenzen oder dem Ausschluss aus einer Gemeinschaft (Familie, Job, Verein etc.) drohen, drängen wir die Betroffenen nur mehr in eine (Weltanschauungs-)Ecke.

Aus der Lehr-Lern-Foschung wissen wir auch, dass wir uns nur von Menschen beeinflussen lassen, mit denen wir eine positive Beziehung haben – die wir schätzen, von denen wir uns angenommen und akzeptiert fühlen. Das ist nachvollziehbar: Wer gibt schon jemandem Recht oder hört ihm auch nur zu, wenn der- oder diejenige uns zuvor abgewertet hat? 

Konkret heißt das: Wenn wir Menschen mit extremistischen Ansichten offen und annehmend entgegentreten, können wir sie zwar nicht unbedingt umstimmen. Aber zum einen treiben wir sie nicht immer tiefer in ihre Überzeugungen und die entsprechenden Organisationen. Zum anderen und noch wichtiger: Wir halten Verbindung, sorgen dafür, dass Austausch möglich bleibt und halten damit auch die Tür zu einem anderen Lebensweg offen. Damit arbeiten wir ganz konkret der Spaltung der Gesellschaft – in Form von Familien, Freundeskreisen, Gemeinden etc. – entgegen.


Tipp: Wenn du nicht weißt, wie du wertschätzend und annehmend mit Menschen interagieren kannst, die radikal andere Ansichten vertreten als du oder vielleicht sogar dir oder anderen Leid zufügen/zugefügt haben, empfehlen wir dir dich mit der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg vertraut zu machen. Diese Art der Interaktion unterstützt dich dabei auch in schwierigen Konstellationen die eigenen Bedürfnisse klar zu fomulieren, ohne andere zu verletzen, abzuwerten oder anzugreifen, und hilft dir die tatsächlichen Bedürfnisse der anderen hinter ihren Worten zu erkennen.


Was wir tun konkret können

Ein Mindset von Liebe, Annahme und Verbindung ist ein wichtiger Beitrag zu einer Gesellschaft, in der sich alle sicher und geschätzt fühlen dürfen. Wir müssen dieses Mindset aber auch in der Welt lebendig werden lassen. Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, wie wir das tun können.

1. Grenzen setzen

Menschen so anzunehmen, wie sie sind, heißt nicht, dass wir das, was sie sagen oder tun, gut heißen oder auch nur tolerieren. Deshalb ist es essentiell, dass wir uns klar positionieren und unsere Werte in jedem Umfeld und zu jeder Zeit zeigen und leben. Dafür müssen wir mutig Grenzen setzen. Konkret bedeutet das: Du bist dir völlig klar, für welche Werte du stehst und tust alles, damit diese Werte in deinem beeinflussbaren Umfeld eingehalten werden. Lass deine Überzeugungen sicht- und hörbar werden und stelle dich so menschenverachtenden Handlungen klar entgegen: Indem du rassistische Äußerungen in der Schule als solche benennst und unterbrichst, bei einem anti-semitischen Übergriff in der Straßenbahn sofort die Polizei rufst oder eine Volksverhetzung auf einer Demonstration festhältst und zur Anzeige bringst. 

2. Aufklärung fördern

Es ist wichtig, dass in der öffentlichen Debatte auch solche Stimmen zu hören sind, die in Liebe und voller Zuversicht echte Heilung anstreben. Also erhebe deine Stimme, kommentiere, kläre auf, eröffne andere Perspektiven, wo auch immer du kannst. Lasst uns zusammen dafür sorgen, dass das öffentliche Bild nicht von Feindbildern und Katastrophenmeldungen bestimmt wird. Dafür kannst du Workshops für deine Arbeitsstelle organisieren, öffentliche Diskussionen veranstalten, in den sozialen Medien Falschmeldungen korrigieren und vieles mehr. 

3. Für das Gute engagieren

Es gibt viele wunderbaren Organisationen, die sich für die Menschenrechte, den Frieden, die Verständigung engagieren. Und kaum eine bessere Art seine Zeit zu verbringen, als aktiv bei solchen Parteien, NGOs (Nicht-Regierungsorganisationen) und Vereinen mitzuarbeiten. Von amnesty international über ProAsyl bis SeaWatch findest du sicher genau die passende Stelle, um dich mit Gleichgesinnten zu verbinden und dich für deine Werte zu engagieren.

Wir gehören alle ZUSAMMEN

Yoga wird oft mit „Einheit” übersetzt. Einheit bedeutet nicht, dass alle gleich sind, oder dass alle einer Meinung sind. Einheit bedeutet, dass wir alle zusammengehören – einfach, weil wir zusammen auf dieser Welt leben und gemeinsam durch die Erfahrung des Lebens gehen. Wenn wir das erkennen, können wir unseren Fokus weglenken von dem, was uns trennt, auf das richten, was uns verbindet und uns dann in echter Liebe einander zuwenden. Denn als Yogi:nis ist es unsere Aufgabe, die Liebe durch uns lebendig werden zu lassen und alle unsere Entscheidungen aus dieser Liebe heraus zu treffen. 

Lasst uns diese Welt ZUSAMMEN zu einem Ort machen, an dem sich alle gesehen, angenommen und geschätzt fühlen! 

Katharina Goßmann
Katharina Goßmann

Katharina ist Mutter, Yogalehrerin und Psychologin. Bei YogaEasy ist sie das Herz der Redaktion und schreibt über Yoga, wahres Glück und Heilung. Ihre Artikel werden unter anderem im „Yoga Journal” und in der „Happy Way” veröffentlicht.