
Love, Peace & Om: Was Yoga mit Frieden zu tun hat
Was hat Yoga mit Frieden zu tun?
Früher, in der guten alten Hippie-Zeit, war die Verbindung zwischen Yoga und Frieden augenfällig: Wer für Love & Peace war, übte Yoga oder meditierte wenigstens, und wer Yoga toll fand, war garantiert Pazifist:in. Man denke nur an die Beatles und ihre Maharishi Mahesh Yogi-Phase und an John & Yokos späteren Einsatz für den Frieden und natürlich das legendäre „Give Peace a Chance”.
Aber wir können noch weiter zurückgehen: Mahatma Gandhi war nicht nur Yoga-Meister, sondern ist auch der bekannteste Vertreter der Gewaltlosigkeit. Die wird im Yoga übrigens Ahimsa genannt und ist für viele Yogi:nis der erste, der grundlegende Schritt auf dem achtgliedrigen Wegs des Yoga.
Lesetipp: Mehr zu Ahimsa und den achtgliedrigen Yoga-Pfad erfährst du hier.
Heutzutage ist der Zusammenhang zwischen Yoga und Frieden nicht mehr so klar. Yoga hat an Popularität und Diversität gewonnen. Entsprechend interessiert sich nicht automatisch jeder Yoga-Fan für den Frieden. Vom Fitnesscenter-Yogakurs und Bootcamp-Yoga ist der Weg zu den ethischen Implikationen der Yoga-Philosophie schlicht zu weit.
Wer traditionelle Yogastile übt, wird aber am Thema Frieden nicht vorbeikommen. Alleine schon deswegen, weil in vielen Yogastunden das „Om Shanti Shanti Shanti” (drei Mal wiederholt, so wie es sich auch schon in der Isha-Upanishad findet) als Anfangs- und Schlussmantra gesungen wird. Denn Shanti bedeutet aus dem Sanskrit übersetzt „tiefer (innerer) Frieden”.
Tatsächlich ist Shanti, also Frieden, aber noch viel mehr – nämlich das eigentliche Ziel allen Yogas. So jedenfalls erklärt es Krishna in der Bhagavad Gita (Kapitel 6, Vers 15):
„yuñjann evaṁ sadātmānaṁ yogī niyata-mānasaḥ
śāntiṁ nirvāṇa-paramāṁ mat-saṁsthām adhigacchati“
oder auch:
„Wer Yoga übt, erlangt einen Frieden, der es erlaubt das irdische Sein hinter sich zu lassen
und wieder eins mit dem Göttlichen zu werden.“
Wie Yoga dir hilft, inneren Frieden zu finden
Krishna spricht hier allerdings nicht vom Weltfrieden, sondern vom Gefühl inneren Friedens. Dieser innere Frieden ist es auch, den viele Praktizierende beim Yoga suchen. Denn nicht wenigen Menschen fällt es in ihrem Alltag voller Hektik und Druck schwer diesen essentiellen Zustand von wirklicher Ruhe und Akzeptanz zu erfahren.
Yoga ist tatsächlich eine sehr effektive Methode, um aus dem Aktivismus und Drama des modernen Alltags auszusteigen, klar zu werden und in Frieden mit sich und der Welt zu kommen. Die Körperübungen (Asanas) bauen Stresshormone ab und ermöglichen innerlich wie äußerlich wie mehr Beweglichkeit. Entspannungsübungen schaffen die Möglichkeit Verspannungen und Blockaden zu lösen und ins Spüren zu kommen. Und Elemente wie Meditation und die yogischen Atemübungen Pranayama bringen zunächst den Atem und damit das Nervensystem zur Ruhe und sorgen so auch für eine Entschleunigung der Gedankenspirale. Dann haben Gefühle die Möglichkeit hochzukommen und gefühlt zu werden (was immer das Beste für Gefühle ist). Danach wird es ruhig. Körper, Geist, Seele – alles ist verbunden. Die Intuition kann sprechen. Du kannst zuhören. Plötzlich wird vieles klar. Du kannst Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden, hörst auf zu urteilen, kannst annehmen, was ist.
Natürlich wirst du all diese wunderbaren Wirkungen nicht in deiner ersten Yogastunde spüren. Yoga ist keine Tablette, die du nehmen kannst, um dich (kurzfristig) besser zu fühlen. Du musst dich bewusst dafür entscheiden, etwas für dich und deinen inneren Frieden zu tun, musst selbst aktiv werden, dich mit deinen (auto)destruktiven Verhaltensmustern auseinandersetzen, musst üben, und immer wieder üben, um die Techniken zu erlernen, die dir erlauben, loszulassen, deinen unbewussten Gedankenfluss (den sogenannten „Monkey Mind”) zu kontrollieren, vom gedankenlosen Reagieren zum aktiven Gestalten zu kommen.
Yoga, und sprituelle Arbeit allgemein, ist keine Wellness-Massage, sondern eine herausfordernde, anstrengende Aufgabe – mit einem wunderbaren Ergebnis. Denn wenn du regelmäßig auf die Matte steigst, wenn du konsequent meditierst, bewusst atmest, dich achtsam und fokussiert bewegst, dann, ja, dann wirst du diesen Ort inneren Friedens finden, der jenseits des Lärms und Geschnatters der modernen Welt immer auf dich wartet.
In diesem Yogavideo führt dich Tanja Seehofer durch eine entspannende Yin-Yoga-Sequenz, in der du über das Wahrnehmen und Annehmen deiner Gefühle und Gedanken zu innerem Frieden findest:
Darf ich im Frieden sein mit dieser Welt?
Aber kann und darf ich überhaupt innerlich im Frieden sein mit einer Welt, die so im Unfrieden ist? Mit einer Welt, in der der gesellschaftliche Zusammenhalt durch die Corona-Pandemie und ihre Folgen immer brüchiger wird? In der aktuell um die 30 Kriege und bewaffnete Konflikte stattfinden? In der 100 Millionen Menschen auf der Flucht sind? In der die Menschengemeinschaft keine Lösung für den Klimawandel findet?
Erst mal ist es wichtig, sich folgendes klar zu machen (auch wenn es gerade in der spirituellen Szene die Hoffnung gibt, dass es anders wäre): Die Welt, in der wir leben, wird niemals eine 100-prozentig friedliche sein. Missverständnisse, Konflikte, Streit und kriegerische Auseinandersetzungen – das alles ist Teil der menschlichen Natur. Das gab es immer und wird es immer geben. Entsprechend ist auch der Eindruck, die Welt sei aufgrund der drohenden Klimakatastrophe, der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine quasi über Nacht aus den Fugen geraten, schlicht falsch. Wissenschaftler warnen seit Jahrzehnten vor den Folgen des Klimawandels, vor der Gefahr globaler Pandemien. Und in der Ukraine herrscht seit Jahren Krieg, so wie auch in vielen anderen Ländern der Welt teilweise seit Jahrzehnte mit schrecklichen Folgen kriegerische Auseinandersetzungen stattfinden. Wir haben es uns schlicht – so lange es möglich war – bequem gemacht in der Illusion einer sicheren Welt.
Es ist eine Chance, dass sich diese Illusion nun auflöst. Denn nur wenn wir unsere romantisierenden Idealvorstellungen der Welt loslassen, können wir endlich in echter Liebe auf unsere Mitmenschen und uns selbst blicken – mit allen Schwächen und Fehlbarkeiten. Und lernen in Frieden mit dieser Welt zu leben, wie sie jetzt gerade ist.
Denn die Voraussetzung für wirklichen Frieden im Innen UND im Außen ist, dass wir das, was ist, annehmen. Dass wir uns alle Aspekte des Lebens – egal, wie schmerzhaft, wie scheinbar unerträglich sie sind – mutig ansehen. Und trotzdem nicht die Hoffnung verlieren. Denn erst dann können wir uns und anderen wirklich helfen und mit tatkräftiger Liebe das tun, was gerade angesagt ist. Weil wir keine Energie mehr verschwenden im Widerstand gegen das, was ist, in Hoffnung auf bessere Zeiten, sondern alle unsere Kraft aktiv in den Dienst einer Welt voller Liebe und Frieden stellen können.
„(…) ohne inneren und äußeren Frieden ist alles bedeutungslos.”
Swami Chidananda (1916-2008)
Sinnvoll oder abgehoben: Für den Frieden meditieren?
Es gibt viele Yogi:nis, die glauben, dass die Kriege dieser Welt enden würden, wenn nur genügend Menschen für den Frieden meditieren würden. Im Yoga Vidya Ashram in Bad Meinberg wird jeden Abend das „Om Namo Narayanaya”-Mantra gesungen, und zwar für den Weltfrieden. Und die Anhänger:innen der Transzendentalen Meditation (TM) sind der Meinung, dass ihre speziellen Bewusstseins-Techniken, von genügend Menschen ausgeführt, „alle ethischen, politischen und religiösen Spannungen” neutralisieren könnten.
Für Menschen, die ihr Leben nicht vorrangig in spirituellen Zirkeln verbringen, klingt das befremdlich bis abstrus. Sie verstehen nicht, wie Meditierende in einem Raum zu Weltfrieden führen sollen. Wie friedliche Schwingungen das Kriegsgeschehen etwa in der Ukraine verändern können.
Nun ist festzuhalten: Es schadet nichts, für den Frieden zu meditieren, Licht und Liebe zu allen zu schicken, die gerade unter Krieg leiden, das Thema durch spezielle Meditationsklassen in die Welt zu tragen, durch Meditationen die eigene Absicht zu unterstreichen eine Kraft für Frieden und Liebe zu sein, und Frieden als tragende Säule allen Miteinanders zu manifestieren. Zudem sind solche Friedensmeditations-Klassen eine wunderbare Gelegenheit, Spenden für Kriegsopfer zu sammeln und den Anwesenden ein paar Adressen für Organisationen mitzugeben, die sich um Geflüchtete kümmern und sie zu motivieren sich ehrenamtlich zu engagieren.
Was dagegen schon schadet: Wenn Menschen ihre Energie und Zeit darauf verschwenden, Menschen zu verunglimpfen, die daran glauben, dass sie mit ihrer Meditation Gutes tun.
Sprich: Wenn nach dem Meditieren für den Frieden nicht Schluss ist, sondern die Meditierenden ihre friedliche Energie aktiv und spürbar in die Welt tragen – dann ist es nicht nur sinnvoll, sondern die bestmögliche Kombination von sprituellen Praktiken und pragmatischer Spiritualität.
Wie du deinen inneren Frieden in die Welt tragen kannst
Denn es gibt noch einen Zusammenhang zwischen dem inneren und dem äußeren Frieden – einen, der ganz konkrete Folgen hat, wenn er konsequent umgesetzt wird.
Lesen wir, was der 14. Dalai Lama dazu zu sagen hat:
„Durch Erlangung inneren Friedens kann auch der Weltfrieden letztendlich anvisiert werden. Die zentrale Bedeutung individueller Verantwortung liegt somit auf der Hand. Zuerst muss eine friedvolle Atmosphäre in uns selbst verwirklicht werden, die sich sodann auf unsere Familien, unsere Gemeinschaften und schließlich auf den gesamten Planeten ausbreiten kann.”
Wenn du mit dir und dieser Welt in Frieden bist, wirst du durch dein Auftreten nicht nur weniger Spannungen und Gewalt bei anderen auslösen. Du wirst auch im Falle von Konflikten und Streit wahrscheinlich eher Teil der Lösung denn des Problems sein. Weil du dich bemühst, in fordernden Situationen ruhig und freundlich zu bleiben, weil du nicht auf deinem Recht beharrst, sondern versuchst die Perspektive der anderen Person nachzuvollziehen, weil du zuhörst, statt zu schreien. Und zwar im Privaten wie im Beruflichen. Du wirst dadurch Vorbild sein für deine Kinder, Freunde und Familie, deine Kolleg:innen und alle anderen Menschen, die mit dir zu tun haben. Die werden wiederum aus Begegnungen mit dir friedlicher herausgehen als sie hineingegangen sind und diese Energie wieder weitertragen – und so weiter und so fort. So wirst du deinen inneren Frieden in die (nähere) Welt tragen.
Und je mehr Menschen in dieser Weise ihren inneren Frieden wirken lassen, umso wahrscheinlicher ist es, dass sich für viele unserer Probleme und Konflikte friedliche Lösungen finden. In diesem Sinne ist es das Gegenteil von egoistisch und abgehoben, sich um den eigenen inneren Frieden zu kümmern. Denn dann profitierst nicht nur du von deinen Bemühungen um inneren Frieden, sondern – ja, ich traue mich, es zu schreiben – die ganze Welt.
In diesem Sinne: Om Shanti Shanti Shanti.
Quellen:
- https://wiki.yoga-vidya.de/Frieden
- https://de.wikipedia.org/wiki/Shanti_(Sanskrit)
- Kraft, Kenneth: Inner Peace, World Peace: Essays on Buddhism and Nonviolence. 1992.