Yoga – spirituell, esoterisch oder gefährlich?

Von Katharina Goßmann

In Deutschland üben gut 8 Millionen Menschen Yoga. Meditation, Achtsamkeit und Breathwork sind in aller Munde. Und doch kursieren jede Menge Halbwissen und Vorurteile auch gegenüber den beliebtesten spirituellen Praktiken (aktuell etwa in dieser Spiegel-Titelgeschichte nachzulesen): Meditation und Achtsamkeit würden Menschen zu narzisstischen Egozentrikern machen, denen andere egal seien, und könnten im schlimmsten Fall schwere psychische Krisen auslösen.

Deshalb wollten wir hier mal ein paar Dinge klar stellen: Ist Yoga immer spirituell? Esoterisch? Oder gar gefährlich?

„Kühner als das Unbekannte zu erforschen, kann es sein, Bekanntes zu bezweifeln.”

Alexander von Humboldt, Naturforscher (1769-1859)

Was ist Yoga (für dich)?

Erst mal: Machst du den „Power Yoga”-Kurs im Fitness-Center, ohne Atemübungen, Meditation, ohne Mudras und Mantras, vielleicht sogar nicht mal einer Schlussentspannung? Dann ist Yoga schlicht eine tolle Sportart – die Muskeln aufbaut, deine Beweglichkeit und dein Körpergefühl verbessert und (wie viele andere körperliche Aktivitäten, etwa Spazierengehen, Sex, Tanz...) Stress abbaut. Mehr nicht. 

Sogar wenn du regelmäßig in ein Yogastudio mit einem Sanskrit-Namen gehst, in dem hinduistische Statuen stehen, wo die Bewegung mit der Atmung synchronisiert und meditiert wird, wo du deine Hände in Anjali Mudra vor dein Herz führst und dein Shavasana von Mantren-Gesängen oder tibetischen Klangschalen begleitet wird, ist es gut möglich, dass Yoga nur eine Art Lifestyle für dich ist. Du kannst dich vegan ernähren, nachhaltige Yoga-Marken tragen und dein Wasser aus einer ayurvedischen Kupfer-Flasche trinken, einfach weil das eben in deinen Yogastudio-frequentierenden Kreisen so üblich ist. 

Die Frage, was Yoga für dich ist, wird erst dann relevant, wenn deine Yoga-Praxis dein Leben außerhalb der Matte (also nicht nur dessen oberflächliches Erscheinungsbild) beeinflusst. Wenn du merkst, dass sich durch Yoga dein Blick auf die Welt ändert, dass du anders mit dir und mit deinen Mitmenschen umgehst. Es ist dabei egal, ob diese Veränderung durch inspirierende Worte deines Yogalehrers angestoßen wurden, weil du Schriften von Swami Sivananda gelesen hast oder ob du seit deiner Yogaausbildung mit allen Kräften nach Erleuchtung strebst und dein gesamtes Leben am achtgliedrigen Pfad nach Patanjali ausrichtest. 


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Spiritualität oder Esoterik?

Wenn Yoga auf diese Weise dein Leben beeinflusst, wandelst du eindeutig auf traditionellen, spirituellen Yoga-Wegen. Und machst wahrscheinlich regelmäßig Dinge, die von Menschen außerhalb der Yoga-Dunstblase als „esoterisch” eingestuft werden. Für Menschen, die mit spirituellen Praktiken, Lehrer:innen, Schriften nichts zu tun haben, ist meist schon das Urteil „spirituell” nicht unbedingt positiv besetzt. Spätestens bei „esoterisch” schwingt beim westlichen Durchschnittsbürger dann schon massive Skepsis mit. Bis zu „Schwurbler”, „Querdenker”, „Sekte” ist es da nicht mehr weit. 

Gucken wir uns deshalb noch mal kurz die Bedeutung der Begriffe „Spiritualität” und „Esoterik” an (es gibt leider keine allgemein anerkannten Definitionen).

Spiritualität kommt von dem lateinischen Begriff spiritus, was übersetzt „Geist” oder „Hauch” bedeutet beziehungsweise von spiro = ich atme. Es geht dabei essentiell um die Hinwendung zu und Beschäftigung mit „einer sinnlich nicht fassbaren und rational nicht erklärbaren transzendenten Wirklichkeit, die der materiellen Welt zugrunde liegt.” Also nicht um eine intellektuelle Auseinandersetzung, nicht um eine direkte Erfahrung, sondern um ein individuelles Erkennen von Wahrheiten im Inneren.

Ein prominentes Beispiel im Yoga wäre die Erfahrung von Einheit mit allem im non-dualistischen Sinne. Die Erkenntnis dieser Verbundenheit kann nicht erlesen, erdacht oder sinnlich erfahren werden, aber sie kann im Inneren erkannt werden. Als spontane Erleuchtung oder durch jahrelange Meditation, als fortwährende Konstante vom Moment der Erkenntnis an oder als Erkenntnis-Blitz, der kurz aufscheint und dann wieder im Nebel verschwindet.

Der Begriff der Esoterik (vom altgriechischen esoterikos = innerlich) wird oft als Synonym zu Spiritualität genutzt. Ursprünglich war damit aber eine philosophische Lehre gemeint, die „nur für einen begrenzten ´inneren` Personenkreis zugänglich ist”. Ein Art Geheimlehre also, die nur einer ausgewählten Gruppe von Eingeweihten zugänglich ist und nur an würdige Kanditat:innen weitervermittelt wird. 

Nun ist Yoga als Sportart in aller Munde, aber tatsächlich gehören die traditionellen Praktiken des Yoga eher zu den „Geheimlehren” als zu allgemein anerkannten Methoden für physische und psychische Gesundheit. Seien es die Atemtechniken des Yoga (Pranayama), die philosophischen Schriften, ja, sogar Meditation wird von vielen Menschen noch skeptisch beäugt, obwohl deren vielfältige positive Wirkung mittlerweile bestens durch wissenschaftliche Studien belegt ist. Und tatsächlich werden viele der unbekannteren Praktiken immer noch primär in Yoga-Studios, spirituellen Workshops und Ausbildungen weitergegeben, oder in Büchern kleiner Verlage verbreitet – sind also primär dem inner circle der Yogaszene zugänglich.

Esoterik ist somit der Antagonist der Exoterik, also dem allgemein zugänglichem Wissen – sprich der gesellschaftlich verbreiteten und weithin anerkannten Sicht auf die Welt. Die Managementtrainerin und Autorin Vera F. Birkenbihl (1946-2011) postuliert in ihrem Vortrag „Pragmatische Esoterik – Der kleine Weg zum großen Selbst”, dass sich in der heutigen Zeit die Esoterik und die Exoterik immer mehr annäherten. Während in vielen wissenschaftlichen Kreisen die Bedeutung des esoterischen Gedankenguts schon fest verankert sei (führendes Beispiel ist die Metaphysik), hänge die gesellschaftliche Mehrheit noch in den vermeintlichen Wahrheiten der Exoterik fest, so Birkenbihl. Die Exoterik gehe nämlich von einer objektiven äußeren Welt aus. Die Esoterik dagegen hätte erkannt, dass es nur die individuelle subjektive Wahrnehmung gäbe. Und die sei bei allen Menschen massiv geprägt, nicht nur durch kulturelle Prägung und Erziehung, sondern auch durch persönliche Erfahrungen. Der Yoga-Asket Patanjali nennt diese Trübung übrigens „Schleier der Wahrnehmung”. 

Von der Exoterik zur Esoterik

Die aktuelle Zeit hat viel zu bieten an Wandel – Pandemie, Kriege, Klimawandel, wirtschaftliche Unsicherheit. Was sie nicht bietet: Althergebrachte Sicherheit, in denen wir es uns gemütlich machen können, das Vertrauen, dass „die da oben“ alles unter Kontrolle haben, kurz: Die Möglichkeit des entspannten Weiter-wie-bisher. Nichts scheint mehr sicher, der Boden unter den Füßen nicht mehr fest. 

Ich bin in einer Welt voller „gesicherter Fakten” aufgewachsen – von denen mir ein verschwindender Bruchteil bis heute geblieben ist. Das meiste, was ich „wusste”, durfte ich gehen lassen als Glaubenssätze, Meinungen, subjektive Erfahrungen, als Teil-Wahrheiten und Ansichtssache. Ich rechne damit, dass ich in den kommenden Jahrzehnten noch etliches in einem komplexeren Licht sehen werde – und mich immer und immer wieder neu in dieser Welt ohne schwarz und weiß zurechtfinden werden müssen. Ich will ehrlich sein: Das ist durchaus anstrengend. Ich fände es super, wenn alles einfach und klar und unveränderlich wäre. Dann könnte ich mich darauf konzentrieren, meine Kinder zu knuddeln, spazieren zu gehen, und Haselnusskuchen zu backen. Stattdessen muss ich mich mit mir und meinen Gefühlen von Unsicherheit und Desorientierung rumschlagen. Hmpf.

Viele Menschen haben keine Lust auf diese Art von Komplexität. Sie reagieren auf die Situation, indem sie das Offensichtliche ignorieren und sich weiterhin an alte Wahrheiten klammern. Andere schließen sich bedingungslos Menschen an, die ihnen neue Wahrheiten – Heilsbotschaften, Verschwörungstheorien und vieles mehr – aufzeigen. Einfache Botschaften, die ihnen nicht viel Spielraum zum Fühlen lassen, dafür aber klar die Schuldigen benennen. 

Die Antworten warten in deinem Inneren

Beide Methoden sind nur kurzfristig bequem und führen nicht zum Ziel. Stattdessen heißt es: Mutig sein – und das Leben so annehmen, wie es ist. Das bedeutet auch anzuerkennen, dass es so etwas wie Sicherheit nicht wirklich gibt. Und dass vieles komplexer ist, als uns vermittelt wird. Dass wir alles hinterfragen dürfen, und dann selbst entscheiden, was wir tun wollen, in welche Richtung wir gehen wollen. Dass es dabei kein richtig oder falsch gibt, sondern nur deinen einzigartigen Weg, durch dieses Leben zu gehen. 

Natürlich gibt es wissenschaftliche Fakten. Die Schwerkraft ist ein schönes Beispiel – auch, weil wir sie selbst erfahren können. Allerdings gibt gar nicht so viele klare Wahrheiten, wie wir es oft in unserem inneren System gespeichert haben. Wie ein „erfolgreiches” Leben aussieht, wie man Kinder „richtig” erzieht, wie man sich „gesund” ernährt, wie man eine „glückliche” Beziehung führt – dazu wurde und wird uns ständig jede Menge erzählt, und nichts davon ist „wahr”. Einiges kann für dich gut anwendbar sein, aktuell oder in der Vergangenheit bei dir zum subjektiven Erfolg geführt haben. Meistens wäre es aber auch anders gegangen, und und dann wäre es eben anders (gut) geworden.  

Das bedeutet nicht, dass wir nun alle führungslos im Dunkeln umhertappen müssen. Es bedeutet aber, dass wir uns entspannen und den sinnlosen Versuche aufgeben dürfen, das Leben zu kontrollieren. Lasst uns Abschied nehmen von der Idee, dass es Sicherheit im Außen gibt, und anfangen in unserem Inneren eine stabile Basis aus Liebe, Vertrauen und Dankbarkeit zu erschaffen. Dann werden wir ganz natürlich unsere Herzen, unseren Geist für neue Gedanken und Konzepte öffnen. 

Yoga: Werkzeugkasten für ein selbstbestimmtes Leben

Wenn du das Leben so annimmst, wie es ist, bedeutet das nicht, dass du keine Entscheidungen mehr treffen sollst, was dein Leben angeht, nichts mehr planen darfst. Es bedeutet nur, dass du die Gestaltung deines Lebens nicht vom äußeren Narrativ abhängig machsen solltest und deine Entscheidungen aus einer inneren Sicherheit heraus treffen darfst. Ob heiraten, Kinder bekommen, ein Studium, ein Hausbau gerade das Richtige für dich ist, weißt nur du. Egal, was in der Gesellschaft, in deiner Kultur gerade als normal gilt, was politisch so los ist, welche Erfolgsaussichten ein Job in der Kunstszene oder eine Ehe gerade statistisch gesehen haben: Wenn du mit dir in Verbindung trittst, wirst du die richtige Entscheidung für dich treffen.

Nur, wie macht man das? Wie schafft man es, sich von Konventionen und gesellschaftlichen Prägungen zu befreien?

Hier kommt Yoga ins Spiel. Das Ziel von Yoga ist Befreiung: Der achtstufige Yogaweg nach Patanjali führt als letzte Stufe Erleuchtung auf. Also nichts anderes als die Fähigkeit wirklich sehen zu können, ohne Trübung, ohne Illusion. 


In diesem Video führt dich Timo Wahl durch eine Meditatio, bei der du auf körperlicher und geistiger Ebene entspannt: 

Timo Wahl Meditation: Entspannter Körper, klarer Geist


Falls sich das esoterisch für dich anhört: Auf praktischer Ebene bringt Yoga dich durch seine verschiedenen Methoden sehr effektiv in Kontakt mir dir. Zunächst kommst du vielleicht nur in deinen Körper, spürst genauer, wo du angespannt bist, wo Schmerzen sind, wo es wohlig kribbelt. Die Pranayama-Atemübungen helfen dir, in Kontakt mit deiner Atmung zu kommen. Du bemerkst plötzlich, wie du atmest und erfährst, wie sich unterschiedliche Atemtechniken auf dein Befinden auswirken. Das achtsame, fokussierte Yoga-Üben im Einklang mit dem Atem macht dich innerlich viel ruhiger, klarer. Wenn du dann in der Königsdisziplin des Yoga, der Meditation, lernst, deine Gedanken und Gefühle wertfrei anzusehen, ohne dich von ihnen überrollen zu lassen, wirst du dich immer besser mit dir, deinen Bedürfnissen und Werten verbunden sein. Im Laufe der Zeit kann damit eine tiefe Beziehung zu dir selbst entstehen, dass dieses Gefühl auf dein ganzes Leben ausstrahlen wird. 

Das Vertrauen, das Glück und das Gefühl von Dankbarkeit, das entsteht, wenn du vermeintliche Sicherheiten im Außen loslässt und beginnst, dich und das Leben in Liebe unverfälscht wahrzunehmen, kann dir niemand und nichts mehr nehmen. Und das wird dir eine ganz neue Art von Sicherheit geben, eine, die ganz ohne „gesicherte Fakten” auskommt.


Yogaprogramm für einen gesunden und starken Geist – Christiane Wolff YogaEasy


Ist Yoga gefährlich?

Yoga und Meditation haben in den letzten Jahren neben viel guter auch zunehmend schlechte Presse bekommen. Das Abheben in spirituelle Dimensionen würde lebensfern machen, Meditierende würden zu narzisstischen Egozentrikern, denen das Gemeinwohl egal sei. Im schlimmsten Fall könnten durch zu viel Meditation sogar Psychosen und Halluzinationen ausgelöst werden. 

Kommen wir zurück zum Bild von Yoga als Werkzeugkiste. Die enthält sehr hilfreiche, kraftvolle Tools. In der Hand eines erfahrenen „Handwerkers” können diese Werkzeuge mit viel Arbeit aus den einfachsten Materialien lebensrettende Krankenhäuser, prunkvolle Paläste und eine Vielzahl anderer nützlicher Gebäude erschaffen. In der Hand eines, vielleicht ungeschickten, Laien, der nichts weiß über die korrekte Nutzung der Tools kann diese Werkzeugkiste aber lebensgefährlich werden.

Insofern besteht immer die Möglichkeit, dass sich Menschen beim Yoga oder Meditieren selbst schaden. Vielleicht körperlich, weil inkompetente Lehrende sie in eine Position gedrückt haben. Oder schlicht, weil der oder die Lehrer:in sie nicht gehindert hat an der Yogastunde teilzunehmen – etwa ein Yoga-Neuling, der kurz nach einem Bandscheibenvorfall in einen Power-Yoga-Kurs geht, weil er gehört hat, dass Yoga bei Rückenproblemen hilft. 

Nicht verschwiegen werden soll hier die Gefahr des Spiritual Bypassing – dass Menschen den spirituellen Weg nutzen, um sich vor ihren Problemen zu verstecken. Also lieber Jahrelang im Ashram meditieren anstatt sich mit ihrem Kindheitstrauma auseinanderzusetzen. Das mag immer noch weniger schädlich sein als so weithin verbreiteten Strategien wie Alkohol- und Drogenkonsum, Kauf- , Spiel- und Sexsucht. Im einzelnen Fall können die privaten und beruflichen Folgen trotzdem verheerend sein. Zudem können sich in solchen Fällen narzisstischen Tendenzen verstärken, weil sich die Menschen aufgrund ihrer „spirituellen Leistung” anderen überlegen fühlen können.


In dieser Episode des YogaEasy Podcast „Besser leben mit Yoga“ spricht Mario Esposito über Spiritual Bypassing & Tantra Yoga:


Allerdings ist es so, dass sich Menschen auch durch sehr gute Leistungen im Job und 60-Stunden-Wochen von privaten Problemen ablenken und narzisstische Tendenzen bedienen können. Die Ursache liegt hier wie da an der psychischen Verfassung der Betroffenen – und nicht an den spirituellen Praktiken oder der Arbeit per se.

Allgemein besteht die Gefahr, dass Menschen ihre Probleme in ihr Yoga integrieren. Der US-amerikanische Yogalehrer Bryan Kest sagt in seinen Workshops oft folgenden Satz: „People bring their shit to Yoga and turn Yoga into shit.” (übersetzt: „Die Leute bringen ihre Sch... zum Yoga und verwandeln Yoga dadurch in Sch...”). Sehr ehrgeizige Menschen etwa, die ständig die eigenen Grenzen ignorieren, werden es auch in einer kompetent betreuten Yogastunde schaffen, sich ein Band zu zerren oder einen Meniskus anzureißen. 

Und dann gibt es Menschen, die sich nicht nur körperlich beim Yoga schaden. Es ist schon immer so, dass spirituelle Praktiken Menschen anziehen, denen es nicht gut geht. Menschen, die nach Heilung suchen, nach Frieden. Und während Yoga, Achtsamkeit und Meditation sehr vielen Menschen genau dabei helfen können, ruhiger zu werden, klarer zu sehen, innerlich Stärke aufzubauen und sie so auf ihrem Weg zu Stabilität und Zufriedenheit unterstützen, kann es auch ganz anders laufen. Wenn Menschen in akuten psychischen Krisen einen zehntägigen Meditationskurs bei einer ihnen unbekannten Lehrerin buchen, und dort alleine gelassen werden mit den Gedanken und Gefühlen, die aufsteigen, dann ist eine Verschlimmerung ihres Zustands nicht unwahrscheinlich.

Deshalb checken seriöse Meditationsanbieter:innen gerade vor herausfordernden Kursen immer die psychische Verfassung der Teilnehmer:innen, beobachten während der Meditation das Verhalten der Meditierenden, um im Notfall eingreifen zu können, und haben fest eingebaute Rücksprachezeiten mit allen Teilnehmenden. Solche Angebote sind ganz klar nicht für psychisch labile Menschen geeignet. Die profitieren am meisten von geführten, begleiteten Meditationen in überschaubarer Länge oder speziell auf die Zielgruppe zugeschnittene Angebote mit einschlägig geschulten Lehrer:innen. 

Egozentrische Meditierende?

Yoga bedeutet Verbindung. Verbindung ist nur möglich, wenn ich anwesend bin, im Hier und Jetzt, im Kontakt mit mir und anderen. Die Menschen, die Yoga wirklich ernst nehmen, sind meiner Erfahrung nach diejenigen, die sich am meisten sozial engagieren.

Achtsames Meditieren hilft nicht dabei, Probleme zu ignorieren. Es lehrt genauer zu unterscheiden, was ein Problem ist – und was der Kopf zu einem Problem macht. Achtsamkeit fördert so eine sehr bewusste Haltung dem Leben gegenüber, stärkt die Selbstverantwortung. Wo ich kämpfen sollte und kann, um Ungerechtigkeiten entgegenzutreten, und wo es schlicht keinen Sinn macht, sich gegen die Realität einzustemmen. Wo die Grenze ist, ist natürlich sehr individuell. Theoretisch kann jeder Mensch so viel bewegen wie Mahatma Gandhi. Nur, wer in Verbindung mit sich selbst ist (s.o.), kann klar erkennen, wo die eigene Lebensaufgabe liegt.

Achtsamkeit stärkt zudem den Blick auf die eigenen Grenzen und die Selbstfürsorge – und hilft dadurch speziell Menschen, die sich in der Verantwortung für andere, für die Gesellschaft insgesamt sehen, und dank ihres Engagements oft zwischen Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit schwanken. 

Achtsamkeit als Selbstoptimierungspraxis?

Ein weiterer Vorwurf gegen Achtsamkeit ist, dass sie nur eine weitere Selbstoptimierungstechnik der modernen Gesellschaft sei. Ein etwas absurder Gedankengang: Mit derselben Argumentation könnte man auch nährstoffreiche, Typ-gerechte Ernährung oder eine gute Schlafhygiene als gefährliche Selbstoptimierung verunglimpfen. Wenn eine Sozialarbeiterin durch ihre Meditationspraxis nicht nur besser mit den Belastungen ihres Jobs umgehen, sondern auch besser für ihre Klient:innen da sein kann, dann ist das ein Grund zu feiern. Natürlich können Menschen Yoga, Achtsamkeit und Meditation nutzen, um es in Umständen auszuhalten, die ausbeuterisch oder toxisch sind. Daran ist allerdings nicht die Achtsamkeit schuld – sondern die gesellschaftlich anerkannten Glaubenssätze der kapitalistischen Leistungsgesellschaft. 

Zuletzt noch das: Es steht jedem Menschen frei, sich aus dem westlichen Leben auszuklinken und Erleuchtung anzustreben. (Gut, wenn sie eine Familie haben, würde ich persönlich sagen, dass es ihnen nicht mehr frei steht, aber auch darüber lässt sich diskutieren.) Die Anzahl an Menschen, die sich in meinem Yoga-Dunstkreis, und der ist doch recht ausufernd, in eine Höhle zurückgezogen haben, um asketisch der Erleuchtung entgegen zu meditieren, ist allerdings eher gering, nämlich 0. Dafür sehe ich jede Menge Eltern, die entspannter mit ihrem Kindern umgehen, Menschen, die schwere Verluste und Krankheiten besser verkraften, und viele Menschen in sozialen Berufen, die durch ihren spirituellen Weg die Kraft haben, den Glauben an die Menschheit nicht zu verlieren und anderen aktiv zu helfen. 

Ohne polemisch klingen zu wollen – im Vergleich zu dem Effekt, den etwa die kapitalistische Arbeitswelt und Leistungsgesellschaft auf die psychische und physische Gesundheit des modernen Menschen hat, dürfte die Schädigung der Gesamtgesellschaft durch Yoga und Achtsamkeit doch recht überschaubar bleiben.

Selber denken hilft!

Wenn ich mit Menschen außerhalb der Yoga-Bubble spreche, fühlt sich vieles, was für mich selbstverständlich ist, immer noch wie eine „Geheimlehre” an. Auch wenn Yoga alles andere als Esoterik ist, die Grundlagenwerke wie Patanjalis Yogasutra nicht unschwurbeliger sein könnten, obwohl die Wirkung der vielen Methoden des Yoga – von Asanas und Atemübungen bis Entspannung und Meditation – mittlerweile wissenschaftlich belegt sind. Weil die Art, wie Yoginis und Yogis die Welt sehen in unserem Kulturkreis doch ein bisschen außergewöhnlich, eben nicht Mainstream ist. 

Das wird mich nicht davon abhalten, in klaren, undogmatischen Worten weiterhin Werbung für Yoga und seine hilfreichen Techniken zu machen. Es wird mich auch nicht daran hindern, auf Missstände in der so genannten Yogaszene hinzuweisen – sei es am esoterischen Rand Richtung Gehirnwäsche, Guru-Machtmissbrauch oder der Infragestellung der gesamten wissenschaftlichen Community, sei es am anderen Ende, wo es mehr um kapitalistische Selbstoptimierung/-ausbeutung, Marketing-Irrsinn, Social-Media-Schein und das unreflektierte Übernehmen von vermeintlich sicherem (medizinischen, wirtschaftlichen, psychologischem etc.) Wissen geht. 

Vor allem werde ich mir nicht meine Lebens- und Yogafreude nehmen lassen – egal, wer was mit welcher Überzeugung erzählt. Weil ich weiß, dass mein Herz und mein Verstand mich sicher durch den Irrgarten von Dogmen, Glaubensparolen und „gesicherten Fakten” führen wird – zu meiner Wahrheit und zu meinem Leben.

Katharina Goßmann
Katharina Goßmann

Katharina ist Mutter, Yogalehrerin und Psychologin. Bei YogaEasy ist sie das Herz der Redaktion und schreibt über Yoga, wahres Glück und Heilung. Ihre Artikel werden unter anderem im „Yoga Journal” und in der „Happy Way” veröffentlicht.