Wie wir Missbrauch im Yoga verhindern können

Von Katharina Goßmann

Yoga ist (offensichtlich) kein Safe Space

Die kürzlich veröffentlichte SWR-Dokumentation „Sex-Falle Yoga - wenn dein Guru zum Täter wird” beschäftigt sich mit Missbrauchsfällen in der deutschen Yoga-Szene. Was dabei schmerzhaft deutlich wird: Die Yoga Community scheint sich nicht aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Anlaufstellen für Betroffene oder präventive Maßnahmen sucht man vergeblich. 

Dabei ist sexueller Missbrauch im Yoga keine Seltenheit: Immer mehr Fälle kommen ans Licht, sehr viele Yoga-Traditionen und -Stile sind betroffen. Und die Dunkelziffer dürfte beträchtlich sein.

Die Fälle sind sehr unterschiedlich in ihrer Qualität und ihrem Ausmaß. Sie eint aber, dass verehrte Lehrer:innen mit ihren Anhänger:innen so gut wie alles machten, was sie wollten. Oft im Namen des Yoga, der „guten Sache”. Das ist umso schockierender, weil Yoga in seiner Essenz eine Methode ist sich zu befreien von menschlichen Begierden und all den destruktiven Verhaltensweisen, die daraus entstehen. Stattdessen hilft uns Yoga, in die Verbindung zu gehen mit uns, mit anderen, und so zu einer Macht der Liebe und des Lichts zu werden. Werte wie Ahimsa (Gewaltfreiheit) und Aparigraha (Nicht-Gier) sind so grundlegend wie unabdingbar für alle, die Yoga ernst nehmen. 

Und genau diese grundlegenden Werte werden offensichtlich regelmäßig mit Füßen getreten. 

Missbrauchsfälle in der Yoga-Szene

2010 machten Vorwürfe gegen John Friend, den Gründer von Anusara Yoga, die Runde. Er hatte Affären mit etlichen Schülerinnen zugegeben, unter anderem verheirateten, hatte Schülerinnen eines von ihm gegründeten „Hexenzirkels” dazu gebracht, sich im Rahmen der Aktivitäten des Zirkels auszuziehen und ihn zu küssen. Zudem wurde kolportiert, dass John Friend versprochene Rentenfonds für seine Angestellten nicht herausgab. 

Nach dem Tod des Ashtanga Yoga-Erfinders Pattabhi Jois (1915-2009) mehrten sich die Stimmen von weiblichen Schülerinnen, die übergriffige Adjustments von Pattabhi Jois erlebt hatten und dies mit Videos und Fotos belegen konnten. Die Fotos zeigen, wie Jois seinen Genitalbereich gegen den der betroffenen Frauen presste, berichtet wurde auch, dass er sich an ihnen rieb. 

Die Netflix-Dokumentation „Bikram: Yogi, Guru, Predator” von 2019 beschäftigt sich mit den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs und der Vergewaltigung gegenüber Bikram Choudhoury, dem Erfinder der Bikram-Yoga-Methode. Bikram isolierte im Rahmen seiner Teacher Trainings in Los Angeles die Teilnehmerinnen für 9 Wochen komplett in einem Hotel, in dem er selbst auch wohnte. Er rief sie nachts zu sich, um „nicht alleine zu sein”. Er nutzte die Tatsache, dass die Teilnehmerinnen Tausende von Dollar gezahlt hatten, um an seinem Training teilzunehmen – und er nach dem Training entschied, wer eine Lizenz für ein offizielles Bikram-Yoga-Studio erhielt. Eine Ausbildungsteilnehmerin zeigte ihn 2013 wegen sexueller Belästigung an, andere folgten. Insgesamt kamen sechs Fälle vor Gericht, in der Dokumentation werden zahllose andere angesprochen. 2016 wurde er zudem zu einer Millionenstrafe verurteilt, da er eine seiner Anwältinnen eingeschüchtert und gemobbt hatte, als sie ihn mit den Missbrauchsvorwürfen konfrontiert hatte. Bikram flüchtete aus den USA, hat seine Strafe bisher nicht gezahlt – und bietet weiterhin Teacher Trainings in Europa und Mexiko an.

Kaum aufgearbeitet wurde dagegen der Skandal rund um Swami Vishnudevananda (1927-1993), einem direkten Schüler von Swami Sivananda und sehr erfolgreicher Geschäftsmann in Sachen Sivananda Yoga. Als ihm seine Sekretärin Julie Salter 2019 jahrelangen, vielfachen Missbrauch vorwarf, meldeten sich etliche weitere Betroffene, die nicht nur Vishnudevanada, sondern auch andere hochrangige Sivananda Yogis anklagten. Julie Salter gab an, sie hätte den Missbrauch schon 2007 bei der Sivananda-Organisation angezeigt, woraufhin ihr mit einer Verleumdungsklage gedroht wurde. Die Sivananda-Organisation stellte 2020 – laut Selbstaussage aufgrund der Corona-Pandemie – die Ermittlungen ein und hat sie seitdem nicht mehr aufgenommen. Das Ansehen von Vishnudevananda innerhalb der Organisation scheint dadurch keinen Schaden genommen zu haben.

Gut untersucht und belegt ist der massive sexuelle und spirituelle Missbrauch durch Kundalini Yoga-Gründer Yogi Bhajan (1929-2004). Nachdem das Buch „Premka: White bird in a golden cage” seiner langjährigen Sekretärin Pamela Dyson 2020 den Stein ins Rollen brachte, ließ seine Organisation 3HO die Vorwürfe durch einen unabhängige Organisation prüfen. Der daraus resultierende Bericht schockiert: Er listet etliche Fälle von schwerem sexuellem Missbrauch auf. Er zeigt aber auch, wie sehr viele Anhänger:innen Yogi Bhajan ergeben waren, wie viele ihn für sein Wirken bewunderten. Und wie seine zweifelhaften Verhaltensweisen seiner unendlichen Weisheit zugeschrieben wurden – wenn er etwa Menschen anschrie, um sie „zu heilen”. 

Nicht nur sexueller Missbrauch ist gut dokumentiert im Yoga-Umfeld. Spiritueller Missbrauch ist fast schon systemimmanent und dadurch allgegenwärtig. Dabei handelt es sich um schwerwiegende Eingriffe in das Recht auf Selbstbestimmung durch eine spirituelle Leitfigur. Etwa, wenn Menschen durch Druck und Manipulation dazu gebracht werden, für andere zu arbeiten, sich speziell zu ernähren, zu kleiden etc. Spiritueller Missbrauch ist allerdings schwer nachweisbar und unter anderem dadurch oft nicht justiziabel.  

Nach ihrem Tod im August 2021 berichteten Mitarbeiter:innen der bekannten US-amerikanischen Kundalini Yogalehrerin Guru Jagat von dem sektenähnlichen Stil, in dem sie ihre Studio führte. Sie beklagten ihre schlechte Bezahlung und veröffentlichten Chat-Nachrichten, in denen Guru Jagat sie abwertete und beschimpfte. Zu Lebzeiten hatte sich Guru Jagat übrigens öffentlich auf die Seite von Yogi Bhajan gestellt, nachdem die Missbrauchsvorwürfe gegen ihn bekannt geworden waren.

Auch die New Yorker Yogalehrerin Elena Bower (früher eng verbandelt mit John Friend und dem Anusara-Umfeld) sah sich 2021 mit Beschwerden von Mitarbeiter:innen konfrontiert: Sie würde ihre Mitarbeiter:innen dazu drängen, Aromaöle an die Schüler:innen zu verkaufen, würde kaum Geld für erbrachte Leistungen zahlen. Vor allem aber wurde ihr vorgeworfen, dass sie ihre Macht über ihre Mitarbeiter:innen und Bewunder:innen missbrauchen würde und deren psychische Gesundheit gefährdet hätte, indem sie sich als Heilerin und Mutterfigur aufspiele, ohne Ausbildung oder Qualifikation im therapeutischen Bereich.

Was macht die Yoga-Szene anfällig für Missbrauch?

Da es keine Statistiken zu Missbrauchsfällen im Yoga gibt (dazu unten mehr) ist es schwierig festzustellen, inwieweit Missbrauch in der Yogaszene häufiger als in der Gesamtbevölkerung vorkommt.

Allerdings sind gerade die Bereiche Religion, Sport sowie Lehrer:innen-Schüler:innen-Kontexte verstärkt von Missbrauchsfällen betroffen. Das hat viel mit Machtgefällen zu tun und der (hoffentlich bald veralteten) Unterwürfigkeit gegenüber religiösen „Würdenträger:innen” sowie Lehrer:innen. Im Bereich Sport kommt die körperliche Komponente noch dazu, von Hands-on Adjustments bis zu Umkleidekabinen. Yoga kombiniert diese Bereiche, da die meisten Yoga-Lehrenden spirituelle Inhalte mit einer körperlichen Praxis kombinieren.

Zudem leben viele Yoga-Gemeinschaften und -Gruppen (ähnlich wie in Internaten/Zeltlagern/Trainingscamps) in Ashrams zusammen oder verbringen auf Retreats intensiv Zeit miteinander.

Yogalehrende mögen im Vergleich zu Lehrer:innen und Professor:innen nicht so viel explizite Macht über das Leben ihrer Schüler:innen haben – dafür haben sie aber oft den Status eines/einer moralisch überlegenen, verehrungswürdigen Weisen. 

Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor ist, dass die spirituelle Szene allgemein und schon immer Menschen anzieht, die auf der Suche sind. Nach Heimat, nach Wahrheiten, nach einem geregelten Leben(sstil), nach Gemeinschaft, nach Heilung und Glück. Sie suchen etwas, an dem sie sich festhalten können, weil sie in sich und ihrer nicht-spirituellen Umgebung (gerade) keinen Halt finden, nach einem Glücksbringer. Viele Menschen in dieser Situation sind eingeschränkt in ihrer Fähigkeit gute Entscheidungen für sich zu treffen, Grenzen zu ziehen und durchzusetzen, gut für sich zu sorgen. 

Kurz: Die Yoga-Szene vereint in sich etliche Faktoren, die Missbrauch begünstigen. 

Lehrenden mit ungesunden inneren Mustern wird es durch diese Faktoren erleichtert, ihre Macht zu missbrauchen. Dieser Machtmissbrauch muss kein (expliziter) sexueller Missbrauch sein. Manche Yogalehrende lassen begeisterte Schüler:innen unbezahlt für sich arbeiten, als Assistent:innen in Stunden, Social-Media-Manager:innen, als lebende Werbefiguren. Manche nennen das dann als „Karma Yoga” und implizieren damit, dass diese Tätigkeiten die Schüler:innen auf ihrem spirituellen Weg voranbringen. Manchen gilt diese Art von Bevorzugung durch die oder den Lehrenden auch als Auszeichnung, so dass derart ausgenutzte Schüler:innen sich glücklich schätzen, für die Lehrenden tätig sein zu dürfen. Sie fühlen sich geehrt, dass sie in der Nähe der bewunderten Lehrenden sein dürfen, und vielleicht sogar in ihren engen Kreis aufgenommen werden. 

Was wir aktiv gegen Missbrauch im Yoga tun können 

Schluss mit der Glorifizierung!

Ich kenne viele inspirierende Yogalehrende, denen ich unendlich dankbar bin, dass sie mir auf meinem Weg weitergeholfen haben. Jede:r dieser Yogalehrenden ist allerdings vor allem eins: ein Mensch. Mit all den blinden Flecken, den Schwächen und Fallstricken, die das Menschsein so mit sich bringt. 

Lasst uns aufhören, Yogalehrende und Gurus auf ein Podest zu stellen. Lasst uns anerkennen, dass sie unendlich viel zu geben haben – und gleichzeitig Menschen mit Schwächen sind. Das ist kein Widerspruch. Denn nur Menschen, die durch bestimmte Techniken ihren eigenen Heilungsprozess in Gang gesetzt haben, können diese Erfahrung mit voller Überzeugung und Hingabe anderen vermitteln. Das bedeutet aber eben auch, dass sie nicht vollkommen, sondern auf dem Weg sind. Und jede:r, der auf diesem Weg ist, weiß, dass er voll ist mit Rückschritten, Umwegen und Schlangenlinien, dass jederzeit die Gefahr besteht, sich zu verlaufen. Und dass sich unabhängig von unseren Fortschritten jede transformative Phase so anfühlt, als wären wir vorher blind gewesen. Wo wir doch dachten, wir wären schon so weit gekommen.

Die Yoga-Szene steht nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern ist ein Teil von ihr. Du wirst im Kontakt mit Yogalehrenden und -lernenden all den Aspekten der menschlichen Existenz begegnen wie auch in der „normalen” Welt. Du wirst es mit Ego zu tun haben, mit Geldgier, mit Eifersucht, mit Machttrunkenheit, mit „Spiritual Bypassing” und und und...

Konkret bedeutet das, dass es niemals sinnvoll ist, alles zu machen, was dein Guru sagt. Und dass niemand über deine Grenzen trampeln darf, egal, mit welcher Begründung. 


Einschub: Es mag auch erleuchtete Yogalehrende da draußen geben, die am Ende ihres Weges angekommen sind und nun ganz ohne Ego, eigene Bedürfnisse und blinde Flecken immer so achtsam mit anderen umgehen, dass du dich ihnen in jeder Situation ohne Zweifel anvertrauen könntest. Allerdings gehe ich davon aus, dass es sich dabei um eine so kleine Minderheit handelt, dass wir sie vernachlässigen können.


Selbstverantwortung und Empowerment

Yoga hat unendlich viel zu geben. Techniken und Methoden für einen gesunden Körper, ein offenes Herz, einen klaren Geist. Es wird dich in Verbindung bringen mit dir, den Menschen, der Welt und kann dir so ein hilfreicher Begleiter auf deinem Weg durch dieses Leben sein. Vielleicht wirst du durch Yoga auch eine Gemeinschaft finden, wie du sie dir immer gewünscht hast.

Was Yoga dir aber nicht abnehmen kann, ist deine Verantwortung für dich selbst. Du hast das Recht und die Macht, deinen Lebensweg, deinen spirituellen Weg, deinen Heilungsweg so zu gestalten, wie es für dich richtig ist. In deiner Geschwindigkeit, nach deinen Regeln, so, dass du dich immer sicher fühlst und nicht überfordert bist. Wie genau das aussieht, kann dir niemand sagen außer du selbst. Vergiss nie, dass die Antworten auf alle deine Fragen in dir zu finden sind. Gute Yogalehrende werden dir dabei helfen, Zugang zu dieser inneren Weisheit zu finden und dir so helfen DEINEN Weg zu gehen.

Das wichtigste Qualitätsmerkmal von guten Yogalehrenden ist, dass sie das Ziel haben, dich zu ermächtigen. Sie werden dir helfen, dir selbst zu helfen. Sie werden dich in Kontakt mit deinem Inneren bringen, so dass du deine Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen kannst. So dass du deine Grenzen kennenlernst, sie wahren und sebstbestimmt erweitern kannst. Sie werden deinen Selbstwert stärken, deine Kompetenzen, und dich dann deinen ganz indiviuellen Weg gehen lassen. 

Wenn eine Lehrperson diese Dinge nicht tut, dir stattdessen erzählt, wie genau du dich zu verhalten hat, ihre Sicht der Dinge zur einzigen Wahrheit erklären, ihre Dogmen über den einzelnen Menschen stellen – dann würde ich dir raten, sofort eine:n andere:n Yogalehrende:n zu suchen. Essentiell ist diese Art von Selbstschutz für Menschen, die in der Vergangenheit Missbrauch erfahren haben und diesen bisher nicht aufarbeiten konnten. 

Aber jede:r von uns kann noch viel mehr tun, um Missbrauch im Yoga zu verhindern oder missbräuchliche Strukturen aufzubrechen. Dafür müssen wir unsere Verantwortung übernehmen und in unsere Macht kommen: Warum habe ich nichts getan, als eine Lehrperson Grenzen gegenüber mir oder anderen Schüler:innen überschritten hat? Habe ich Fehlverhalten toleriert, weil sie ja „sonst so inspirierend ist und so viel Gutes tut”? Weshalb habe ich etwas gemacht, was sich für mich falsch angefühlt hat, nur, weil sie es gefordert hat? Kurz: Welche Verhaltens- und Beziehungsmuster sind in mir aktiv, die mich daran hindern, gut für mich und andere zu sorgen, Grenzen zu setzen, schädigendes Verhalten anzusprechen und wenn nötig weitere Konsequenzen zu ziehen?

Bei der Analyse dieser Fragen geht es nicht darum, dass wir uns die Schuld für das, was passiert ist, geben sollen, uns schämen oder abwerten. Es geht darum, dass wir die Muster in uns erkennen, die uns schaden – als erster Schritt auf dem Weg zu Heilung und als präventive Maßnahme für die Zukunft. Das Ziel ist, dass wir diese (meist aus der Kindheit als Schutzmchanismus entwickelten) Verhaltensmuster genau anschauen und erkennen können, welche uns noch nützen und welche uns schaden. Dass wir anfangen, uns immer klarer zu sehen, zu verstehen, warum wir Dinge auf eine bestimmte Weise machen. Und so die Fähigkeit entwickeln, herauszutreten aus alten schädigenden Strukturen und anfangen können, besser für uns und andere zu sorgen. 

Verhaltenskodex für Yogalehrende

Aber auch die Yogalehrenden-Vereinigungen wie der Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland e. V. (BDYoga) könnten Verantwortung übernehmen. Ein klares Regelwerk für Yogalehrende könnte helfen, systemisch bedingte Missbrauchsstrukturen in der Yogaszene zu schwächen. In Kombination mit konkreten Ansprechpartner:innen für das Themen würden klare Verhaltensgrenzen Yogalehrende und Schüler:innen empowern, Fehlverhalten nicht nur klar benennen zu können, sondern würde es ihnen auch einfach machen darauf adäquat zu reagieren.

Bisher scheint es so, als wäre bei den deutschen Yoga-Vereinigungen wenig Bereitschaft da, sich des Themas konsequent anzunehmen und eine klare Position einzunehmen, was Yogalehrende dürfen und was nicht. Die berufsethischen Richtlinien des BDYoga jedenfalls streifen das Thema nur am Rande. Die US-amerikanische Yoga Alliance ist da mit ihrem Code of Conduct und einer Mail-Adresse für Meldungen bei sexualisiertem Fehlverhalten weiter. 

Wie wäre es, wenn wir ganz klar beschließen würden, dass zwischen Lehrenden und Schüler:innen keinerlei sexuelle Beziehungen erlaubt sind? Wer sich etwa bei der Yoga Alliance registriert, unterschreibt damit folgendes: „Teachers shall not invite, respond to, or allow any sexual or romantic conduct with a student during the period of the teacher-student relationship.” (Übersetzung: „Lehrende dürfen jede Art von romantischer oder sexueller Interaktion mit Schüler:innen nicht initiieren oder auch nur darauf reagieren oder geschehen lassen während eine Lehre:innen-Schüler:innen-Beziehung besteht.”) Das würde keine echte Liebesgeschichte verhindern, aber dafür sorgen, dass sich niemand bedrängt fühlt, Angst vor Ausschluss aus der Yoga-Gemeinschaft haben muss und sich alle sicher und unabhängig von ihrer sexuellen Attraktivität als Teil der Gemeinschaft fühlen können. 

Wie wäre es, wenn wir klare Regeln für Adjustments erarbeiten? Etwa, dass Schüler:innen vor jeder Stunde Adjustments explizit erlauben müssen und dass diese dann mit minimalem Körpereinsatz, unter weiträumiger Aussparung der Intimbereiche und immer mit einer Nachfrage, ob dieses Assist ok ist, ausgeführt werden? Lehrende hätten sich innerhalb von kürzester Zeit auf die neuen Umgangsregeln eingestellt und körperliche und psychische Grenzüberschreitungen, aber auch konkrete körperliche Verletzungen und Re-Traumatisierungen könnten so verhindert werden.

Für Yoga-Ashrams müssten meiner Meinung nach eine zusätzliche Vereinbarung erarbeitet werden, da die Menschen, die dort leben, ganz andere Rahmenbedingungen haben. Hier müssten neben klaren Regeln zu Beziehungen im Ashram etwa auch die Arbeitsbelastung und Eingriffe in die private Lebensführung begrenzt werden. 

Achtung: Es geht hier nicht darum, alle Menschen auszuschließen, die sich nicht 100prozentig korrekt verhalten haben. Es geht darum, Menschen zu schützen, es geht darum, ungesunde Strukturen zu entlarven – und es geht darum, Menschen dazu zu bringen, zu erkennen, was sie getan haben, die Konsequenzen zu tragen, wenn möglich Wiedergutmachung zu leisten und nicht wieder in zerstörerische Verhaltensmuster zu fallen. 

Lasst uns hinsehen!

Mir fällt immer wieder auf, dass Probleme in Familien, in Vereinigungen, in Firmen lieber totgeschwiegen werden – weil es unangenehm ist, sich die dunklen Seiten anzusehen, weil man Angst vor den Konsequenzen hat oder dass es vielleicht keine Lösung für diese Probleme gibt. Dabei ist Wegsehen das Schlimmste, was wir tun können. Denn wenn man die dunklen Seiten zudeckt, werden sie nicht nur dunkler – sie können sich im Verborgenen auch besser ausbreiten. Wenn man die dunklen Geheimnisse dagegen ins Licht holt, wird es sofort heller.

In allen menschlichen Kontexten passieren Dinge, die nicht in Ordnung bis katastrophal zerstörerisch sind. Wir Menschen machen ständig Fehler. Verletzungen, Schmerzen, Leid sind allgegenwärtig, unvermeidbar und gehören zum Leben. Wenn es uns aber ernst ist mit unserem Wunsch nach Heilung, nach Liebe, nach Verbindung, dann sollte unser erster Weg uns zu genau diesen Schatten in uns und unserem Miteinander führen. In den dunklen Flecken liegt immer das größte Heilungspotenzial verborgen. 

Wir müssen keine Angst haben, was uns da erwartet. Es ist nur das ewige und allzu Menschliche. Wenn wir ihm mit Liebe begegnen und es ehrlich ansehen, können wir anfangen zu heilen und erkennen, was zu tun ist. Im Falle von Missbrauch im Yoga bedeutet das: Wenn wir hinsehen, können wir Strukturen erkennen und ändern, können wir Selbstverantwortung stärken und Unterstützung zu denen bringen, die sich selbst nicht helfen können. Kurz: Heilung anzustoßen und Missbrauch verhindern. 


Quellen (neben den im Text verlinkten):

Katharina Goßmann
Katharina Goßmann

Katharina ist Mutter, Yogalehrerin und Psychologin. Bei YogaEasy ist sie das Herz der Redaktion und schreibt über Yoga, wahres Glück und Heilung. Ihre Artikel werden unter anderem im „Yoga Journal” und in der „Happy Way” veröffentlicht.