
Yoga & Konsum: Weniger kaufen, in Fülle leben
Vielleicht liegt es daran, dass Yoga früher in der Öko-Eso-Ecke heimisch war, vielleicht an den allgegenwärtigen Fotos von halbnackten indischen Sadhus – Yogi:nis wird gerne der Hang zur Askese nachgesagt. Nun kleiden sich die meisten modernen Yogi:nis nicht in bescheidene Leinen-Gewänder, sondern kaufen auch mal eine überteuerte Leggings (zu viel). Kurz: Konsum ein ebenso aktuelles wie altes Thema im Yoga.
Unser Konsumverhalten und seine Folgen
Vor einiger Zeit las ich, dass ein durchschnittlicher Haushalt vor 100 Jahren 180 Dinge besaß. Heute sind es 8.000 bis 10.000, gut 40 bis 50 mal so viele. Verrückt, oder? Unser Umgang mit Dingen hat sich radikal geändert. Früher konnten sich die meisten Menschen nur das Allernotwendigste leisten, Möbel und Küchengeräte hielten ein Leben lang, alles wurde repariert und bis zum letzten Moment verwendet und Reste wurden zu Suppen verkocht. Heute kaufen wir uns ein neues Smartphone, sobald das neue Modell erscheint, haben 30 Sommerkleider im Schrank – und wenn wir keine Lust mehr auf unsere Wohnungseinrichtung haben, dann kaufen wir uns eben neue Möbel.
Die Folgen unseres stetig zunehmenden Konsums sind dramatisch. Der deutsche Erdüberlastungstag – also der Tag, an dem wir „die für dieses Jahr verfügbaren natürlichen Ressourcen der Erde verbraucht hätten, wenn alle Menschen so leben würden wie die in Deutschland” – war 2023 schon am 4. Mai.
Weltweit wird jährlich mehr Müll produziert (in Deutschland 2021 pro Kopf 483 Kilo), Tendenz stark steigend. Wir müssen an dieser Stelle also gar nicht die drohenden Folgen der Klimakrise beschwören. Die aktuellen Folgen unseres übermäßigen Konsums reichen völlig aus: Die Müllberge wachsen, wir nehmen täglich Mikroplastik zu uns – mit unabschätzbaren Folgen – und Millionen Menschen sterben an Luftverschmutzung.
Auch der Platz wird auf unserer Erde immer weniger, und dadurch wertvoller. Immer größere Flächen werden für die stetig wachsende Population und deren stetig wachsende Bedürfnisse genutzt – und dafür die Bereiche, in denen Pflanzen und Tiere ungestört ihr (und unser!) Ökosystem aufrecht erhalten können, in rasanter Geschwindigkeit zerstört.
Wir arbeiten mehr, um mehr Dinge zu kaufen
Natürlich müssen wir das Geld verdienen, das wir beim Shoppen ausgeben. Während immer mehr Menschen über Stress und Zeitmangel klagen, immer mehr Ehen zerbrechen, Kinder immer länger in Fremdbetreuung sind, die Burn-Out-Kliniken überfüllt sind, arbeiten wir immer mehr. Weil wir Geld brauchen, um unseren Konsum zu finanzieren, unsere materiellen Bedürfnisse zu befriedigen. Entsprechend weniger Zeit bleibt für unsere anderen Bedürfnisse, nach Ruhe, nach Reflektion, dafür, uns um unsere Familie, unsere Gemeinschaft, unsere Gesundheit zu kümmern.
Kurz: Unser übermäßiger Konsum schadet unserer Gesundheit auf allen Ebenen, kostet uns Zeit und Energie, lenkt unseren Fokus weg von dem, was wirklich glücklich macht und zerstört unsere Lebensgrundlage auf dieser Erde. Warum also kaufen wir nur so viel?
Warum wir kaufen
Auf den ersten Blick sind die Ursachen für die im Westen flächendeckend verbreitete Kaufsucht vielfältig.
Zum einen leben wir in einem Wirtschaftssystem, das nur durch stetiges Wachstum funktioniert. Nur logisch, dass Unternehmen alles dafür tun, dass wir mehr und immer mehr kaufen. Während die Produktabteilungen fieberhaft neue Dinge erfinden, schüren die Marketing-Teams geschickt Bedürfnisse.
Der Kapitalismus sorgt auch dafür, dass sich die meisten von uns über unsere Leistungsfähigkeit und unseren äußeren Erfolg definieren. Wie viel Geld jemand besitzt und was der oder die sich damit alles leisten kann, ist in vielen Köpfen ein ausschlaggebender Marker für Lebenserfolg.
Diese zwei Faktoren begünstigen im Social-Media-Zeitalter eine Kultur, in der ein cooles Outfit, eine beeindruckende Urlaubs-Location deutlich mehr Likes bekommt als, sagen wir, der Einsatz für die Gesellschaft und andere humanitäre Leistungen. „Mehr Schein als Sein” lautet das unverhohlene Motto. Im Umkehrschluss scheinen viele Menschen zu glauben, wenn sie auch so toll geschminkt und gekleidet wären, sich auch ein schickes Auto oder eine teure Reise leisten könnten, wären sie so glücklich wie die Menschen mit den vielen Likes. Egal, wie oft sich zeigt, dass die gar nicht unbedingt glücklich sind – sondern einfach nur gute Fotos machen können.
Was Yoga mit Shopping zu tun hat
Hinter all diesen Faktoren versteckt sich aber eine ganz andere Ursache: Meistens kaufen wir all die Dinge, die wir nicht brauchen, aus einem Gefühl von Mangel heraus. Uns fehlt etwas. Aber was? Ist es wirklich ein weiteres Paar Schuhe, eine neue Spiel-Konsole?
Materiell sind wir aktuell so gut versorgt wie keine Generation vor uns es jemals war. Was vielen von uns aber im entkörperten digitalen Zeitalter, in unserem durchgetakteten, schnellen Alltag, in der (wortwörtlich) oberflächlichlichen Social-Media-Welt fehlt, und wonach wir uns so sehr sehnen ist: Verbindung. Zu uns selbst, unserem Körper, unserem Herz, zu anderen, zu der Natur, der greifbaren Welt um uns herum.
Der Sanskrit-Begriff „Yoga” wird oft als „Verbindung” übersetzt. Denn genau dabei hilft Yoga – in Verbindung zu kommen, wieder zu erkennen, dass alles verbunden ist. Indem es uns raus bringt aus der Spirale aus Arbeiten und Kaufen, aus Denken und Tun, und zurück zu uns, ins Spüren, ins Wahrnehmen dessen, was ist. Denn wenn wir fühlen, was ist, dann verbinden wir uns. Und erst wenn wir in Verbindung sind, sind wir wirklich anwesend in unserem Leben – und nicht mehr alleine. Und können aufhören, uns ein Leben „zu kaufen”.
Und was sagt die Yoga-Philosophie?
In der yogischen Tradition (wie in der östlichen Kultur insgesamt) wird Materielles nicht besonders geschätzt. Alles, was man sehen kann, ist Illusion (Maya), so die gängige Meinung. Nur substanzlose Oberfläche. Nur logisch, dass im Yoga entsprechend materieller Besitz wenig erstrebenswert ist und Yogis ihre Energie lieber für das Erreichen anderer Ziele einsetzen.
Auch der weise Yogi Patanjali, der vielen als der Begründer des Yoga in seiner heutigen Form gilt, weist in seinen Yogasutra recht deutlich darauf hin, dass die Anhaftung an Gegenstände nicht dienlich ist auf dem Weg zum Glück – im Yoga Erleuchtung oder Befreiung genannt.
Yamas gegen den Shoppingwahn
Einige der Yamas, den ethischen Verhaltensregeln in Patanjalis Yogasutra, lassen sich in Hinblick auf Konsum klar interpretieren.
Das erste, Ahimsa, fordert Gewaltlosigkeit. Das bedeutet beim Thema Konsum konkret, dass alles, was wir einkaufen, gewaltfrei produziert sein muss. Wenn also Kinder das T-Shirt genäht haben, wenn Arbeiter:innen für das Produkt in giftigen Laugen stehen mussten, dann können Yogi:nis es nicht mit gutem Gewissen kaufen.
Auch Asteya, das dritte Gebot, betrifft unser Kaufverhalten. Asteya bedeutet, dass wir nichts stehlen sollen. Wenn ich aber Menschen in ärmeren Ländern dazu zwinge, für einen Hungerlohn Produkte herzustellen (weil sie sonst gar keinen Job haben), dann ist das nichts anderes als Diebstahl. Wer solche Produkte kauft, macht sich mitschuldig.
Und das fünfte Yama, Aparigraha, beschäftigt sich explizit mit Besitz. Nicht gierig sollen wir sein, nur das nehmen, was wir wirklich brauchen. Es ist erhellend bis schockierend, wenn man sich überlegt, was man wirklich braucht – und wie viel Geld wir etwa spenden könnten für Menschen in Not, wenn wir Haarspray und Deko-Kissen nicht kaufen würden. Vielleicht könntest du sogar weniger arbeiten und dafür mehr Zeit mit einem Ehrenamt/ Yoga/ deinem Partner/ deinen Kindern verbringen, wenn du weniger Geld für Dinge ausgeben würdest, die dich sowieso nicht glücklich machen?
Niyamas gegen den Konsumterror
Auch aus den Niyamas, den Verhaltensempfehlungen sich selbst gegenüber aus den Yogasutra, lassen sich Schlüsse auf ein ethisches Shoppingverhalten ziehen.
Das erste Niyama Saucha etwa hält zu Reinheit, Sauberkeit an. Das bedeutet auch, Billig-Klamotten aus künstlichen Fasern zu vermeiden – denn die geben nicht nur Gifte an unsere Haut ab, sondern sorgen auch dafür, dass unser Grundwasser immer stärker mit toxischen Stoffen und Mikroplastik belastet ist. Saucha meint aber auch die Reinheit des Geistes – ein Geist, der sich ständig nur damit beschäftigt, welche Schuhe er jetzt zu dem neuen Kleid kaufen muss, und was dazu wieder für Schmuck passt, ist in etwa so rein wie ein durchschnittlicher Windeleimer.
Und dann gibt es noch ein besonders schönes, wertvolles Niyama, Santosha genannt. Santosha hält uns zur Zufriedenheit an, zur Genügsamkeit und Bescheidenheit. Anna Trökes schreibt zu Santosha (manchmal auch Samtosha geschrieben): „Samtosha bedeutet „ja“ zur Welt sagen, die Existenz in ihrer Pracht und Einmaligkeit zu erkennen. Zufriedenheit heißt nicht Entsagung oder Verzicht. Zufriedenheit ist ein positiver Geisteszustand. Entsagung ein negativer. Es ist eine Betrachtungsweise des Lebens, indem man sieht, was ist und Möglichkeiten erkennt. Unzufriedenheit entsteht, wenn man sich auf das konzentriert, was nicht ist.“
Was du tun kannst
Tief in uns drin wissen wir alle, dass Shopping und der daraus resultierende Überfluss an materiellen Gütern uns nicht glücklich macht. Doch wie schaffen wir es, weniger zu konsumieren?
Hier ein paar Ideen:
- Die japanische Auräum-Queen Marie Kondo rät dazu, erst mal auszumisten. Dazu türmst du alle deine Besitztümer einer Kategorie vor dir auf – zuerst die Kleidung, dann Bücher und so weiter. Die Konfrontation mit der gewaltigen Menge an Dingen macht es oftmals nicht nur leichter, das auszusortieren, was du nicht mehr brauchst und was keine Freude in dir auslöst. Es bringt auch einen Reflektionsprozess in Gang, der dich zu einem deutlich kritischeren Konsumenten macht.
- Ähnlich wirkt die Auseinandersetzung mit dem Prinzip des Minimalismus. Sobald du beginnst, dich zu fragen, welche Gegenstände du WIRKLICH brauchst, welche Gegenstände dein Leben WIRKLICH bereichern – entweder beim Ausmisten oder vor einer Kaufentscheidung, sparst du eine Menge Geld. Tipp: Guck doch mal bei „The Minimalists” rein. Dieses US-amerikanische Minimalisten-Duo beschäftigt sich intensiv mit den Ursachen für übermäßigen Konsum und der Anhaftung an Materielles und hat so manchen Trick auf Lager, der dir hilft nachhaltiger zu konsumieren.
- Sehr aufschlussreich kann es auch sein, wenn du dein Kaufverhalten analysierst: Belohnst du dich mit Shopping? Verdrängst du unangenehme Gefühle, indem du etwas kaufst? Shoppst du, wenn du gestresst oder erschöpft bist? Sobald dir bewusst wird, was du mit deinem Kaufverhalten eigentlich erreichen willst, kannst du dir überlegen, was für andere Möglichkeiten es gibt mit solchen Situationen und Gefühlen umzugehen. Dann kannst du in Zukunft nicht nur besser mit dir selbst umgehen, sondern auch noch deinen Geldbeutel und die Umwelt zu schonen.
- Hilfreich ist es auch, dich vor einem Kauf zu fragen, ob du diese Sachen für dich kaufst – oder doch um andere zu beeindrucken, um „mithalten” zu können, um dazu zu gehören oder dazu zu passen. Gerade in Zeiten von Social Media dienen unsere Kaufentscheidungen oftmals mehr der Imagepflege als ein genuines Bedürfnis zu befriedigen. Wenn du deinen Kaufentscheidungen auf den Grund gehst, wirst du vielleicht feststellen, dass sie getrieben sind von deinem schwachen Selbstwert oder der Angst nicht dazuzugehören. Da Shopping diese Gefühle nicht verändern wird, ist es in diesen Fällen sinnvoller an deinen unbewussten Ängsten zu arbeiten als ein teures Kleid oder ein schnelles Auto zu kaufen.
- Zuletzt noch eine Übung, die dir hilft deinen Konsum an deiner Lebensqualität und deinen Werten auszurichten: Schreibe eine Liste mit allem, was dir wirklich wichtig ist und dir wirklich Freude bringt. Sei es deine Kinder, oder dein Job, Reisen, ins Museum gehen, deine Plattensammlung, was auch immer. Ordne die Liste nach Priorität. Überlege dann, wie viel Zeit du mit diesen Menschen oder Aktivitäten verbringst. Wenn du das nächste Mal etwas kaufst, kannst du dich anhand deiner Liste fragen: Bringt es mir so viel Freude, dass ich dafür das monetäre Äquivalent von zwei Monaten Arbeit ausgeben will? Oder würde ich lieber weniger arbeiten und dafür mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen? Will ich lieber die durch die Welt reisen oder einen beeindruckenden Wagen fahren?
In Dankbarkeit und Fülle leben
Ein toller Nebeneffekt von einem bewussteren Kaufverhalten ist, dass du nur Dinge kaufst, die dir wirklich Freude bringen. Vielleicht kannst du dir aufgrund von Ersparnissen aufgrund deines bewussteren Konsums Sachen leisten, die eine deutliche bessere Qualität haben und länger halten. Diese Gegenstände wirst du entsprechend viel mehr schätzen. Wenn du ausgemistet hast, kannst du sie auch viel zugänglicher verstauen – oder sogar schön präsentieren! – in deinem (nun viel geräumigeren, luftig-leichten) Zuhause. Dadurch nutzt du sie regelmäßiger und vermeidest, dass sie ungenutzt im Schrank verstauben.
Du merkst schon: Mit Askese, Verzicht und Einschränkung hat bewusster, nachhaltiger Konsum nichts zu tun. Vielmehr geht es bei einem yogischen Konsum daran, voller Freude und Dankbarkeit das zu genießen, was dein Leben wirklich bereichert. Und alles andere eben nicht zu kaufen. Ich verspreche: Nichts davon wird dir fehlen.