
Tri-Guna-Yoga: Zurück in die natürliche Balance
Alles Sichtbare und Unsichtbare ist von den drei Eigenschaften Sattva, Raja und Tamas durchdrungen. Im Idealzustand sorgen diese drei Qualitäten – das reine, gütige Sattva, das aktive, leidenschaftliche Raja, und das träge, dunkle Tamas – für ein vollkommenes Gleichgewicht der Kräfte im Universum. Leider schaffen wir Menschen es immer wieder diese göttliche Harmonie aus der Balance zu bringen.
Zum Glück gibt es Tri-Guna-Yoga! Wir zeigen dir, wie du mit den passenden Yoga-Übungen zurück in die Ausgewogenheit findest.
Was ist der Ursprung des Tri-Guna-Modells?
Das Tri-Guna-Modell entstammt vedischen Texten. Es bildet die drei Säulen der Shankhya-Philosophie – einer der ältesten überlieferten Philosophien der Menschheit – die die Grundstrukturen der Realität und die ursprüngliche Natur der Materie darstellt und erklärt. Detaillierte Abhandlungen erläutern beispielsweise nicht nur die physische und psychische Struktur des Menschen, sondern auch wie Körper und Seele gesund erhalten werden können. So basiert die alte indische Gesundheitslehre Ayurveda und ihr Wissen von Gesundheit und Lebenskraft auf dem Tri-Guna-Modell.
Erstaunlich ist, dass das Modell der drei Gunas schon zu einer Zeit (etwa 400 vor bis 700 nach Christus) eine psychologische Typologie aufstellte, als es keine moderne Wissenschaft gab, geschweige denn eine Psychologie des Menschen.
Die Gunas als schöpferische Prinzipien
Jegliches Vorkommen von Materie ist aus drei Ur-Prinzipien geformt, gleich ob es sich um einen Planeten, einen Baum, eine Pflanze, ein Tier oder um einen Menschen handelt.
Gunas sind also allgegenwärtig und zeigen sich als Eigenschaften, als Qualitäten in der greifbaren Welt:
- Sattva – das werdende Prinzip
- Raja – das aktivierende, erhaltende Prinzip
- Tamas – das zerstörende Prinzip
Gunas dominieren demnach die Materie (Feststofflichkeit) – wirken aber gleichzeitig auf die Psyche (Feinstofflichkeit) der Menschen ein. Das zeigt sich etwa in der Ausprägung der Gunas in den Jahreszeiten:
- Der Frühling ist Sattva dominiert – wir Menschen werden optimistischer, fühlen Freude und Leichtigkeit
- Der Sommer ist Raja dominiert – wir Menschen sind aktiv, nach außen gewandt und unternehmungslustig
- Herbst und Winter sind Tamas dominiert – wir Menschen ziehen uns zurück, suchen Ruhe und Regeneration
Aber die Gunas zeigen sich auch auf ganz anderen Ebenen – so werden sie auch von drei großen hinduistischen Göttern repräsentiert:
- Brahma – der Schöpfer der Welt
- Vishnu – der Erhalter der Welt
- Shiva – der Zerstörer der Welt
Gunas wirken ineinander und miteinander, zudem treten sie nacheinander als Phasen des Seins auf:
- Phase des Werdens
- Phase der Bewegung und Expansion
- Phase des Vergehens
Lese-Tipp: Wenn du noch mehr über die drei Gunas erfahren willst, empfehlen wir dir unseren Artikel „Was sind eigentlich Gunas?”
Doshas und Gunas – Körper und Psyche
Wie oben schon angedeutet, leiten sich aus den Gunas die drei Doshas im Ayurveda – Vata, Pitta und Kapha – ab. Deren Verhältnis zueinander differenziert die individuelle körperliche Grundkonstitution eines jeden Menschen. Bei einer ayurvedischen Anamnese werden die Anteile der drei Doshas diagnostiziert. So wird ein Ungleichgewicht erkennbar. Daraus können Ayurveda-Therapeutinnen und -Therapeuten Empfehlungen ableiten. Diese richten sich sowohl auf die Ernährung und den Lebensstil als auch auf Yoga und die yogischen Atemübungen Pranayama. Sie können aber auch spezifische, die Gesundheit erhaltende oder wiederherstellende Massage- und Kräuterbehandlungen einleiten.
Die drei Gunas wiederum dirigieren unser Verhalten, unsere Wahrnehmung und unseren Umgang mit dieser Wahrnehmung – und beeinflussen so unsere psychische Gesundheit. Psyche und Körper wurden bereits vor langer Zeit in der Weisheit der Shankhya-Philosophie als verflochtene Einheit gesehen – eine Erkenntnis, die neuzeitlich erst wieder von Sigmund Freud (1856 - 1939) und Nachfolgenden wie Carl Gustav Jung (1875 - 1961) aufgegriffen wurde. Das Tri-Guna-Modell beschreibt menschliches Verhalten und eröffnet gleichzeitig Möglichkeiten, das Verhalten zu ändern, um mentales und emotionales Wohlbefinden zu fördern.
Verkürzt könnte man sagen: Die Gunas führen die psychische Gesundheit und die Doshas führen die körperliche Konstitution.
Gesundheit: Die Gunas in harmonischem Zusammenspiel
Damals, als die Shankya-Philosophie entstand, war bereits deutlich, was das hochgeschätzte Erfahrungswissen von Ayurveda-Expert:innen heute untermauert: Für die ganzheitliche Gesundheit des Menschen ist es optimal, wenn Sattva die dominierende Qualität ist – im Zusammenspiel mit Raja und Tamas als durchaus essentielle, aber bitte nicht überwiegende Qualitäten.
Die Realität sieht oft anders aus: Raja oder Tamas haben die Vorherrschaft in unserem heutigen Lebensstil. Raja zeigt sich in der Glorifizierung des Tuns in unserer Gesellschaft: „Machen” und Produktivität sind gefragt, deshalb hetzen die meisten von uns nicht nur beruflich von Termin zu Termin, sondern quetschen auch ihre „Freizeit” voll mit Aktivitäten. In einer logischen Gegenbewegung flüchten sich viele Menschen auf ihre Couch, Netflix & Chill ist angesagt, dazu viel erdende, schwermachende Nahrung. Das Ergebnis ist meist nicht (die erhoffte) Erholung, sondern eine zunehmende Trägheit, ein hoffnungsloser Pessimismus („Man kann ja doch nichts ändern, also lass uns lieber weiter vom Fernseher abhängen”), der zu noch größerer Passivität führt.
All das führt unweigerlich zu Kraft- und Vitalitätsminderung und auch physischen wie psychischen Störungen – wie sich an populären Krankheitsbildern wie Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Verspannungen, Diabetes II, Burn out, Schlafstörungen und weit verbreiteten Befindlichkeitsstörungen wie verminderter Lebensfreude, Unzufriedenheit, Neid und Missgunst (trotz eines extrem hohen Lebensstandards in der westlichen Hemisphäre) deutlich zeigt.
So findest du zurück in die Balance
Jegliche Schöpfung ist in ihrer Urbeschaffenheit perfekt und harmonisch – so auch du. Deine Urbeschaffenheit war am Beginn deiner Existenz rein und klar. Aber das Leben ist bunt und entdeckenswert, sodass über viele Lebensjahre Farben deine Urbeschaffenheit färben und formen. Wenn dein Wesen zu viele Farbschichten annimmt und zunehmend trüber wird, ist es Zeit für einen bewussten Ausgleich der Gunas.
Eine Yoga-Praxis dient immer dem psychischen wie physischen Ausgleich und der Gesundheitsstärkung. Das ist bekannt. Allerdings haben unterschiedliche Asanas auch unterschiedliche Wirkungen. Sie können aufputschend oder beruhigend wirken. Auch der Yogastil wirkt auf die Gunas ein. So dominiert Raja in dynamischen, fließenden Yogastilen wie Vinyasa, Tamas im ruhigen Yin Yoga und Sattva die Pranayama-Praxis (Atemübungen).
Die richtige Mischung von Yoga-Asanas einerseits sowie auch die Praxis von Pranayama, Mudras (Handgesten) und Meditation hilft dir deine perfekte Harmonie nicht nur auf körperlicher, sondern auch auf mentaler, emotionaler Ebene wiederherzustellen. Du hast sicher auch schon bemerkt, dass nicht nur dein Körper von regelmäßigen Yogasessions profitiert, sondern auch dein Geist und dein Herz.
Das Wissen um das Zusammenspiel der Gunas in deinem Sein ist hilfreich für dich: So kannst du dich selbst grundsätzlich besser kennenlernen sowie eine tagesaktuelle oder phasenweise Abweichung aus deinem harmonischen Dreiklang erkennen. Mit yogischen Gegenmaßnahmen wie deiner Asana-Praxis, Meditation und Pranayama hast du Tools, deine Urbeschaffenheit wieder zu entdecken und zu stärken.
Tri-Guna-Yoga: Welcher Guna-Typ bist du?
Die passenden Tools zu finden ist leichter, wenn du weißt, welches Guna in dir vorherrscht.
Der Sattva-Typ
Sattva-Guna ist geprägt von Klarheit, Reinheit, Weisheit, Ursprünglichkeit, profunder Zufriedenheit und Glückseligkeit. Du kennst diesen Zustand sicher, auch wenn er meist nicht von Dauer ist. Tatsächlich brauchen wir alle mehr Sattva in unserem Leben als Ausgleich zum heutigen Lebensstil. Eine regelmäßige Yoga-Praxis mit Meditation, Pranayama und einer achtsamen Asana-Praxis im Einklang mit der Atmung fördert allgemein Sattva – wie auch der Verzicht auf Alkohol und Zigaretten, eine vollwertige Ernährung aus primär unbehandelten Naturprodukten sowie ein bewusster Konsum von Medien allgemein und Social Media speziell. Es gibt aber natürlich auch Yoga-Übungen, die besonders das Sattva-Guna unterstützen.
Tri-Guna-Yoga: Übungen für mehr Sattva
Beispiele für Sattva-stärkende Yogaübungen:
- Asanas: der Schulterstand, der Kopfstand, die Schlussentspannung Shavasana
- Pranayama: Yogische Vollatmung (auch dreiteilige Yoga-Atmung genannt)
- Mudra: Lotus – das Mudra für Reinheit und Erleuchtung kannst du täglich ein paar Minuten üben
- Meditation
- Affirmation: „Ich lade das Glück ein in meinem Inneren zu wohnen.”
Tipp: Du kannst die Affirmation und/oder das Mudra in deine Meditation integrieren.
Sattva im Übermaß gibt es allerdings auch. Es drückt sich dann durch unrealistische Verträumtheit und mangelnde Bodenhaftung aus. Dann brauchst du mehr Raja-Pragmatismus und erdendes Tamas-Guna.
Hier zeigt dir Valentin Alex, wie du sicher in den Kopfstand kommst:
Der Raja-Typ
Raja-Guna ist geprägt von Aktivität, Bewegung, Rastlosigkeit, Eifer, Kreativität, Sinnengenuss und Überfluss, Nervosität und Sorgenanfälligkeit. Kurzeitig sind wir auch das mal, dauerhafter Raja-Modus macht jedoch mental wie körperlich krank, weil dieses anhaltende Bewegungsprinzip im hohen Maße Lebensenergie aufbraucht. Wenn bei dir Raja-Guna überwiegt, brauchst du (logischerweise) mehr Tamas und Sattva.
Tri-Guna-Yoga: Übungen für weniger Raja
Beispiele für Raja-minimierende Yogaübungen:
- Asanas: die Berghaltung, Balance-Übungen wie der Baum, der Tänzer und der Held III (auch Krieger III genannt), die Kind-Haltung
- Pranayama: Wechselatmung
- Mudra: Rudra – Verbindung des Herzens mit der Wurzel
- Affirmation: „Ich darf auch mal nichts tun.”
Hier erklärt dir Petros Haffenrichter die Berghaltung:
Der Tamas-Typ
Tamas-Guna ist geprägt von Stabilität, Erdverbundenheit, Struktur, innerer Gelassenheit, bis hin zur Trägheit und Passivität. Zu gegebener Zeit sind diese Eigenschaften heilsam und nötig. In Ruhephasen schaltet der Mensch in den Tamas-Modus, weil er ohne diese zeitweilige Auszeit nicht lange überleben könnte. Im Übermaß führt Tamas zur Trägheit und Unzufriedenheit oder gar Pessimismus. Wenn bei dir Passivität des Tamas-Guna vorherrscht, brauchst du mehr Raja, also aktivierende Asanas und die Leichtigkeit des Sattva-Guna.
Tri-Guna-Yoga: Übungen für weniger Tanas
Beispiele für Tamas minimierende Yogaübungen:
- Asanas: der Sonnengruß, das Dreieck, die Kobra
- Pranayama: Feueratmung (Bhastrika)
- Affirmation: „Ich bin ein lebendiges, agiles Wesen.”
Hier zeigt dir Christiane Wolff den Sonnengruß A:
Die Geschichte der drei Räuber
Die überlieferten philosophischen Schriften Indiens zeichnen sich nicht nur durch ihre Weisheit und Tiefe aus, sondern auch durch Parabeln und illustrierende Geschichten, die komplexe Zusammenhänge pragmatisch verdeutlichen. Eine dieser Geschichten handelt von den Schöpfungsprinzipien der Gunas:
Drei Räuber namens Sattva, Raja und Tamas überfielen einen Kaufmann, der auf dem Weg nach Hause in sein Dorf war. Sie raubten den Mann aus. Tamas wollte den Kaufmann umbringen, um keinen Zeugen des Überfalls zu hinterlassen. Raja und Sattva hatten Bedenken und Raja schlug vor, den Mann an einen Baum festzubinden, auf das dessen Karma beeinflusste, ob er gefunden würde oder nicht. So wurde es getan und die drei Räuber machten sich davon. Nach einiger Zeit kehrte Sattva allein zum Überfallopfer zurück und zerschnitt die Fesseln, um ihn zu befreien. Der Kaufmann war überglücklich und lud den Räuber Sattva ein ihm in sein Dorf zu folgen, um ihn für seine Lebensrettung zu belohnen. Sattva antworte: „Ich bin als Räuber bekannt und kann nicht mit dir kommen. Aber was ich für dich tun konnte, war dich von deinen Fesseln zu befreien.”
Befreie auch du dich von deinen Fesseln mit dem Wissen um deine drei Guna-Qualitäten, die dein tägliches Leben auf unterschiedliche Art durchweben. Mögest du allzeit zu einem harmonischen Guna-Dreiklang in deinem Fühlen, Denken und Handeln finden.
Love and light,
Birgit Feliz Carrasco