Alles über Tantra und Tantra Yoga

Von Sandra von Zabiensky, Irina & Valentin Alex und Corina Rhodovi

Inhalt des Artikels

1. Worum geht es im Tantra?
2. Shiva und Shakti: Die Philosophie des Tantra Yoga
3. Die drei Arten des Tantra Yoga
4. Wie ist eine klassische Tantra-Stunde aufgebaut?
5. Der Sonnengruß im Tantra Yoga
6. Der Ursprung des Yoga nach der Tantra-Philosophie
7. Pancha Makara: Das tantrische Ritual des Vamamarga (oder: Die 5 M's)
8. Mahavidyas: Die zehn Weisheitsgöttinnen des Tantra

Der Begriff „Tantra” weckt bei den meisten Menschen starke Assoziationen – viele denken als erstes an tantrische Sexualpraktiken und sinnliche Partner-Übungen. Dabei ist Tantra so viel mehr! Hier erfährst du, welche Arten von Tantra es gibt, warum die Tantra-Philosophie auch als Shiva-Shakti bekannt ist und mit welchen Tantra-Yoga-Übungen du deine Kundalini-Energie erwecken kannst. 


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1. Worum geht es im Tantra?

Tantra ist eine religionsübergreifende, spirituelle Bewegung, die das Universum als ein Zusammenspiel aus Bewusstsein und Energie betrachtet. Deshalb ist die Tantra-Philosophie auch als Shiva-Shakti-Philosophie bekannt: Shiva (sonst eher als eine der populärsten Gottheiten des Hinduismus bekannt) symbolisiert hier die reine, zeitlose Bewusstheit. Shakti ist die kreative, bewegende und gestaltende Energie, die aus diesem bewegungslosen Bewusstsein entsteht und alles erschafft, was wir wahrnehmen können. 

Der Begriff „Tantra” kommt aus dem Sanskrit und bedeutet übersetzt „Gewebe, Zusammenhang“. Das Ziel von Tantra ist entsprechend das Verweben unserer individuellen Energie mit der universellen Energie. Die erfahrungsorientierte und bewusst körperzentrierte Tantra-Praxis dient konkret dazu, die Grenzen des Physischen zu überwinden und sich so aus den Fesseln unserer Limitationen zu befreien. Der Fokus der Praxis liegt dabei auf Energiearbeit mithilfe von Asanas, Mantras, Mudras, Chakras und Bandhas: Die Kundalini-Energie – die oft als schlafende Schlange am unteren Ende der Wirbelsäule dargestellt wird und gleichzusetzen ist mit der Shakti-Energie – soll erweckt werden werden und „aufsteigen”. Und zwar von den unteren Chakras (die eher körperlich sind und Themen wie Selbsterhaltung und Sex haben) bis zu den obersten (die sich mit Selbstverwirklichung und schließlich der Befreiung/Erleuchtung beschäftigen). Dabei wird beim roten Tantra (siehe unten) tatsächlich auch die sexuelle Energie genutzt, da sie als eine sehr starke Kraft gilt.

„Those who have failed to achieve an orgasmic state of existence will associate an ecstatic state with sexuality because that’s probably the highest level of experience they have known.”

Sadguru Jaggi Vasudev

Die Wurzeln des Tantra liegen im Hinduismus und Buddhismus. Deshalb stimmt die Weltanschauung des Tantra in einigen Aspekten mit der orthodoxen indisch-hinduistischen in groben Zügen überein, zum Beispiel in bezug auf die Reinkarnation oder eben dem Glauben an etwas Höheres, Absolutes. Die Anfänge lassen sich auf das zweite Jahrhundert datieren, die volle Ausprägung wird eher im achten Jahrhundert angesiedelt.


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Tantra-Yoga Shakti Awakening mit Sandra von Zabiensky


 

2. Shiva und Shakti: Die Philosophie des Tantra Yoga

Irina und Valentin AlexGrundlage des Tantra Yoga ist wie gesagt die Shiva-Shakti-Philosophie. Die Verschmelzung der Kundalini-/Shakti-Kraft mit dem Höchsten, Absoluten, also Shiva, stellt den Kern dieser Philosophie dar. Shiva symbolisiert dabei das männliche Prinzip und ist als reines Bewusstsein komplett passiv – während Shakti, das weibliche Prinzip und Symbol für Energie und Bewegung, dagegen als pure Aktivität gilt.

Die Philosophie rund um Shiva und Shakti kann – wenigstens für alle, die sich noch nicht mit der Vedanta-Philosophie auseinandergesetzt haben – erst mal sehr abstrakt sein. Deshalb haben wir Irina und Valentin Alex vom Yoga Team Berlin gefragt, welche Bedeutung Shiva und Shakti für unser alltägliches Leben haben. 


Interview mit Irina und Valentin Alex vom Yoga Team Berlin

YogaEasy: Hallo Irina, hallo Valentin! Danke, dass ihr mit uns über Shiva und Shakti sprechen wollt. Was verbindet ihr mit Shiva und Shakti?

Irina: Für mich sind Shiva und Shakti zwei Pole, die es in jedem Menschen gibt. Wir alle haben Shiva- UND Shakti-Energie. Wenn die in uns ausgeglichen sind, dann fühlen wir uns gesund, im Lot. 

Valentin: Ich finde den Aspekt spannend, dass Shiva und Shakti nur im Zusammenspiel funktionieren. Wenn wir das Prinzip Shiva als Ur-Quelle sehen, als absolut unveränderliches, unbewegtes Bewusstsein, und Shakti als alles, was aus dem herausströmt, die Schöpfung – dann gibt es diese zwei göttlichen Prinzipien ja in jedem Menschen. Das eine geht nicht ohne das andere. Das Konzept von Shiva-Shakti klingt erst mal sehr groß. Ich kann aber auch fragen: Was hat das mit mir kleinem Menschlein zu tun? Denn auch bei uns Menschen sprechen wir ja von einem höheren Selbst, von einem göttlichen Ich, von einem höchsten Bewusstsein. Shiva ist also in allen von uns. Und gleichzeitig haben wir alle den Drang, unsere Lebendigkeit auszudrücken. Und das ist Shakti. Wenn zu wenig Shiva-Energie da ist, weil das klare Bewusstsein fehlt, das Zurücktreten in die Distanz, der Kontakt zum höchsten Selbst, dann kann es sein, dass wir uns in den Fäden des Lebens, in der Shakti-Energie verheddern und ins Drama rutschen. 

Irina: Ich finde das Bild schön, dass Shiva den Raum hält, damit Shakti durchfließen kann. Manchmal wird die Gottheit Shiva ja auch so dargestellt, dass der Fluß Ganga aus seinen Haaren entspringt – dass also die Shakti-Energie aus dem reinen Bewusstsein kommt. Shiva gibt dann beobachtend und raumhaltend dieser Shakti-Energie eine Form und Richtung, weil die totale Kreativität von Shakti eben auch Chaos sein kann. Die Shiva-Qualität kannst du etwa in der Meditation spüren, wenn du dich in den Beobachter/die Beobachterin begibst, innerlich zurücktrittst und beobachtest, wie das Leben fließt.

YogaEasy: Shiva wird ja oft mit männlicher und Shakti mit weiblicher Energie assoziiert. Ich gebe zu, wir wollten euch auch deshalb interviewen, weil wir es spannend fanden, ein Paar zum Thema Shiva und Shakti zu befragen...

Irina: Natürlich sind diese Energien in jeder und jedem unterschiedlich angelegt. Wenn wir Shiva mit männlicher Energie gleichsetzen und Shakti mit weiblicher, dann kann ich sagen, dass ich sehr viel männliche Energie habe und Valentin ziemlich viel weibliche Anteile hat.

Valentin: Irina und ich haben mal einen selbsternannten Guru getroffen, der als erstes gesagt hat: „Irina, du bist Shakti, und Valentin, du bist Shiva”. Bei vielen ist da sofort dieses Bild: Der Mann ist Shiva und die Frau ist Shakti. Irina und ich sehen das nicht so, weil wir als Paar wissen, wie unterschiedlich die Energien in uns sind. Irina trägt so tolle Shiva-Aspekte in sich, etwa Shivas Klarheit. Und ich habe ganz viel Shakti-Energie in mir, ganz viel Bewegung, ganz viel Machen. Das ist auch ein spannender Aspekt, wenn man sich mit Shiva-Shakti beschäftigt: Sich zu überlegen, wo ich mich hinentwickeln möchte, welcher Aspekt mir fehlt. Egal, ob ich Mann oder Frau bin. 

YogaEasy: Vielen Dank für diese interessanten Einblicke!


 

3. Die drei Arten des Tantra Yoga

Shakti wird wie erwähnt auch mit der Kundalini-Kraft gleichgesetzt, die durch verschiedene Praktiken erweckt werden kann und durch die Chakras aufsteigen soll, um sich schließlich im Kronen-Chakra mit dem Absoluten zu verbinden. Diese Verschmelzung, die das im Westen bekannte rote Tantra sehr wörtlich nimmt, symbolisiert im weißen Tantra die Verschmelzung von männlichen und weiblichen Energien. Allen Tantra-Strömungen ist gemein, dass sie traditionell nicht aus Büchern gelernt werden können, sondern von einem Lehrer/einem Lehrer oder Guru vermittelt werden und die Eingeweihten die Lehre gut schützen.

1. Weißes Tantra

Im weißen Tantra soll eine Reinigung des Unterbewusstseins erzielt werden, um offen für den Fluss der Energie zu sein. Diese Reinigung umfasst Rituale, Feuerzeremonien und sogar Pilgerreisen, besteht aber zu großen Teilen aus Meditation und Kundalini Yoga. Weißem Tantra wird ein starke Wirkung nachgesagt, sie soll vergleichbar mit jahrelanger, regelmäßiger Meditationspraxis sein.

Mit weißem Tantra sollen alte Gedankenmuster und energetische Blockaden aufgelöst werden. So wird eine Grundlage geschaffen, auf der Geist, Verstand, Körper und Seele als eine Einheit handeln können. Dieser Zustand wird im weißen Tantra als wahre Freiheit angesehen.

Yogi Bhajan, der Begründer des Kundalini-Yogastils, hat weißes Tantra Yoga als Gruppen-Meditation mit Partnerübungen durchgeführt. Teilnehmen kann jede:r, ein Vorwissen ist nicht nötig. Allerdings wird empfohlen, dass vor der Meditation schon Yoga oder Dehnübungen gemacht wurden, die Kleidung weiß gehalten ist und der Kopf ebenfalls weiß bedeckt ist. Ein Grund, warum die Kundalini Yogi:nis gerne weiße Turbane tragen.


In dieser Folge des YogaEasy-Podcast „Besser Leben mit Yoga“ spricht Kristin Rübesamen mit der Kundalini-Yogalehrerin Madhavi Guemoes über die Magie des Kundalini Yoga, über Turbane, warum Weiß die Aura stärkt und mit welcher Technik du Wut in drei Minuten abbaust.


Eine klassische Tantra-Meditation besteht aus sechs oder acht Kriyas (so werden im Kundalini Yoga die Übungsfolgen genannt). Eine Kriya wird als Meditation begriffen, die eine Asana, ein Mudra, ein Pranayama und einen mentalen Fokus oder ein Mantra beinhaltet. Die Kriyas variieren in der Länge zwischen 32 und 62 Minuten.

Angeleitet wurde die Meditation traditionell vom „Mahan Tantric”, dem Meister des Weißen-Tantra-Yoga. Es gibt immer nur einen „Mahan Tantric” zu jeder Zeit. 1971 ging der Titel an Yogi Bhajan über, als der vorhergehende Meister, der tibetische Lama Lilan Po, verstarb. Seit dem Tod von Yogi Bhajan 2004 werden Videoaufnahmen von ihm genutzt, um die Meditation anzuleiten. Es ist aber immer ein:e Repräsentant:in zur Unterstützung der Teilnehmer:innen vor Ort. Ursprünglich wurden diese Anleiter:innen von Yogi Bhajan persönlich ausgewählt. Heute wird ein von ihm erstelltes Profil verwendet, um die passenden Leute zu finden. 

2. Rotes Tantra

Rotes Tantra sieht die sexuelle Vereinigung als einen energetischen Akt, der den Geist erhebt. Hier werden die Praktiken zur Verschmelzung der Energien sehr sinnlich angewendet. Die Praxis des roten Tantra umfasst viele Partner-Übungen.

3. Schwarzes Tantra

Auch schwarzes Tantra lenkt Energien, der Zweck dahinter ist jedoch die Manipulation von Menschen, Gedanken oder das Erlangen von egoistischen Zielen. Schwarzes Tantra wird daher auch oft mit schwarzer Magie gleichgesetzt.

 

4. Wie ist eine klassische Tantra-Stunde aufgebaut?

Eine klassische Tantra-Yogastunde besteht aus: 

1. Chanting

Hier werden durch das Singen („chanten”) von Mantras transzendentale Klangvibrationen erzeugt, die das Bewusstsein anheben. 

Ein klassisches Mantra zum Beginn einer Tantra Yogastunde ist das Shanti-Friedensmantra Om Saha Navavatu:

Om
saha navavatu
saha nau bhunaktu
saha viryam karavavahai
tejasvi navadhitamastu
ma vidvisavahai
om shanti shanti shanti
hari om

2. Asana

Angenehme, gehaltene Positionen, die den Körper durch Anstrengung und Entspannung ausbalancieren.

3. Yoga Nidra

Der yogische Schlaf wirkt stark verjüngend und entspannt das ganze Nervensystem.

4. Pranayama

Atem-Übungen, um die Lungen zu kräftigen und den Körper zu energetisieren.

5. Meditation

Ruhe und Raum im Geist, die die Achtsamkeit erhöht, den Alterungsprozess umkehrt, Stress reduziert und die Kreativität erhöht.


Tantrische Atem-Meditation: Wie eine Lotusblüte

In diesem 16-minütigen Video übst du eine tantrische Atem-Meditation. Die Tantra-Übung basiert auf einem Vers aus dem Vijñanabhairava Tantra des Kashmir-Shivaismus und fokussiert sich auf die Atmung, speziell auf die Wendepunkte am Kopf und Becken. Während des Atemzyklus entsteht zwischen den Atemzügen ein Raum der Empfindungen. In diesen kannst du eintauchen, um Weite und Verwurzelung zu erfahren.

Die Atemübungen aus der Spanda- und Pratyabhijña-Tradition des Kaschmirischen Shivaismus konzentrieren sich auf energetische Aspekte. Sie sind Atembetrachtungen ohne manipulative Techniken, wie sie im Hatha Yoga üblich sind. Der Tantrische Yoga, den LuNa vorstellt, zielt darauf ab, sich dem gegenwärtigen Moment vollständig zu öffnen, um so das Eins-Sein zu erfahren.

 


 

5. Der Sonnengruß im Tantra Yoga

Der Sonnengruß im Tantra Yoga wird mit Fokus auf diese fünf Aspekte geübt: 

  1. Mantra
  2. Asana
  3. Atem
  4. Aufmerksamkeitslenkung z.B. Fokus auf die Erd- oder kosmische Energie oder die Polaritäten (weiblich/männlich bei einseitigen Übungen)
  5. Chakra-Visualisierung

Zu Beginn des Sonnengrußes werden traditionell die sechs Bija Mantras gechantet: 

Aum Hram
Aum Hrim
Aum Hrum
Aum Hraime („rem“)
Aum Hraum („rom“)
Aum Hramh („rah“)

Dann wird der Sonnengruß mit mindestens drei bis sechs Runden pro Seite so geübt: 

1. Pranamasana – lege im aufrechten Stand beide Handflächen vor dem Herzen in Namaskara Mudra (auch bekannt als Namasté). Atme tief ein und aus. Richte deinen Fokus auf das Anahata Chakra (Herz-Chakra) und den Fluss deiner Atmung. 

2. Hasta Uttanasana – Atme ein, hebe beide Arme nach oben und lehne dich dann in einer Rückbeuge so weit du kannst (sei vorsichtig bei Problemen im unteren Rücken). Dein Fokus liegt auf dem Manipura Chakra (Nabel-Chakra/Solarplexus), das Energie empfängt, deinem Gleichgewicht, deiner Atmung und der Öffnung deines Kehlkopf-Chakras (Vishudda). 

3. Pada Hastasana – atme vollständig aus, während du dich nach vorne über beugst. Bringe die Hände neben deinen Füßen zum Boden, wenn es deine Anatomie zulässt, sind deine Beine gestreckt und deine Stirn berührt deine Knie. Deine Aufmerksamkeit liegt auf Muladhara (deinem Wurzel-Chakra), der Erdenergie, die von der Erde durch die Beine nach oben und über den Rücken wieder zurück in die Erde fließt – und auf deinem Atem.  

4. Ashwa Sanchalan Asana – atme ein, mache mit dem linken Bein einen großen Ausfallschritt nach hinten und lege dein Knie am Boden ab, bleibe mit den Händen am Boden, aber hebe den Kopf an und beuge dich so weit es dir möglich ist zurück, lass dein Becken sinken. Dein Fokus liegt auf Svadhisthana (dem Sexual-Chakra) und den Wirkungen in deiner linken Hüfte, spüre die Erdung, Schwerkraft, Länge, die Verbindung zur Erde und zum Himmel. Achte auf deinen Atem. 

5. Parvatasana – atme aus und komme in die Berghaltung (diese entspricht dem herabschauenden Hund). Deine Aufmerksamkeit liegt auf der heiligen Geometrie der pyramidenartigen Form, die dein Körper in dieser Haltung einnimmt und auf Vishuddha.    

6. Ashtanga Namaskar – halte den Atem nach der Ausatmung an und bringe Knie, Brust und Kinn zum Boden. Acht Punkte (ashta = Acht) berühren den Boden (Kinn, Brust, beide Hände, beide Knie, beide Füße). Dein Fokus liegt auf Vishuddha, der Öffnung im Kehlkopf, der Erdung von Anahata und deinem Atem. Du nimmst wahr, wie der Körper und der Energiefluß beweglich werden.

7. Bhujangasana – mit der Einatmung fließt du in die Kobra, ohne dass sich Hände und Füße bewegen. Dein Fokus liegt auf deinem Anahata Chakra und der kosmischen Energie und deinem Atem. 

8. Parvatasana – siehe Position 5.

9. Ashwa Sanchalan Asana – siehe Position 4.

10. Pada Hastasana – siehe Position 3.

11. Hasta Uttanasana – siehe Position 2.

12. Pranamasana – siehe Position 1.

 

6. Der Ursprung des Yoga nach der Tantra-Philosophie

Zur Entstehung der Tantra Philosophie gibt es – wie so oft in der östlichen-spirituellen Kultur – eine Sage. 

Eines Tages fragte Parvati (Shakti), die Gattin des Gottes Shiva, ihren Ehemann, ob es eine Möglichkeit gebe, sich vom Kreislauf der Wiedergeburt zu befreien und unsterblich zu werden. Shiva antwortete: „Ja, durch die Wissenschaft des Yoga, dem Geheimnis aller Geheimnisse. Doch bevor ich dir das Geheimnis erzähle, müssen alle Lebewesen im Wasser, an Land und im Himmel von hier weichen.” Auf Shivas Befehl hin verschwanden alle Lebewesen und Shiva wies Parvati an, ihm regelmäßig mit „Ja” zu  antworten, damit er auch mit geschlossenen Augen wusste, dass sie noch zuhörte.  

Shiva

Die erste Lehre war Mantra Yoga. Shiva erklärte die Wissenschaft hinter den Klängen, Vibrationen und die dadurch erzeugten geometrischen Formen (Yantra). Danach sprach er über Laya Yoga, bestehend aus dem psychischen Körper, den Chakra Tattwas, Prana und den Nadis. Dies ist die Kunst, die Kundalini-Energie zu erzeugen und nach oben durch den Körper anzuheben. Als Shiva über Hatha Yoga sprach, schlief Shakti ein. Shiva erklärte die Wissenschaft des Raja Yoga und als er fertig war, öffnete er seine Augen und sah, dass Parvati eingeschlafen war. 

Shiva weckte Parvati (Shakti) und fragte sie, wer denn „Ja“ gesagt habe, wenn sie doch geschlafen habe. Sie entdeckten ein Fisch-Ei, das gelauscht hatte und regelmäßig „Ja” gesagt hatte. Shiva nahm den Fisch als ersten Schüler auf, transformierte ihn in Gott Matsyendranath und wie ihm an, die Lehre des Hatha Yoga mit den Menschen zu teilen. 

Sie entdeckten außerdem eine Baby-Schlange, die ebenfalls gelauscht hat. Shiva gab der Schlange den Namen Ananta Shesha Naga und wies ihr an, dem Gott Vishnu als Bett zu dienen, sodass Vishnu sich ausruhen könne, bis die Zeit gekommen war, dass Anata auf Erden geboren wird, um die Lehre des Raja Yoga an die Menschen weiterzugeben. Er wurde als Patanjali geboren, der die Meditation durch den Geist in die Welt brachte.  

 

7. Pancha Makara (5 M's): Das tantrische Ritual des Vamamarga

Die eigentliche Reihenfolge des Yoga wäre also Mantra Yoga, Laya Yoga, Hatha Yoga und Raja Yoga. Da Shiva aber die Lehren des Mantra und Laya nur Parvati im Geheimen erzählt hat, wurde nur Hatha Yoga und Raja Yoga an die Menschen weitergegeben. Erst später wurden die Wissenschaften des Mantra und Laya Yoga – zu dem Kundalini Yoga und Kriya Yoga gehörte – von verschiedenen „Rishis” (sprituellen Weisen) empfangen. 

Tantra arbeitet sich von der groben Körperhülle schrittweise zur feinstofflichen Ebene des Bewusstseins vor. Das Pancha-Makara-Ritual – auch die fünf M's genannt – der Tantra-Tradition symbolisiert die fünf Yogas in ihrer Evolution und entspricht zudem den fünf Elementen, die dem Göttlichen geopfert werden – Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther. 

Hier ein Überblick über die fünf M's:

M

Sinn/Organ

Yoga

Opfergaben

Opfergaben

Element

Mudra (Geste)

Nase, Geruchssinn

Hatha Yoga Meditation durch den Körper

Brot 

Sandelholz- paste

Erde

Matsya (ma= Geist, tsya= Zerstörung)

Zunge, Geschmackssinn

Raja/Ashtanga Yoga (Meditation durch den Geist)

Fisch

Wasser, Obst

Wasser

Madya

(Wein)

Auge, Sehsinn

Mantra (Meditation durch Sound)

Wein

Lampe

Feuer

Mamsa (mam = ich, sa = das; I Am Thou)

Haut, Tastsinn

Kundalini (Meditation durch die Chakras)

Fleisch

Räucherwerk

Luft

Maituna (Einheit)

 

„Aham Brahmasi“

Öhr, Hörsinn

Shiva Shakti Yoga/Heilige Sexualität (Meditation durch die Vereinigung deiner inneren männlichen und weiblichen Energien)

Kleid

Blumen

Äther

1. Mudra

Mudra bedeutet Geste in Sanskrit. Der Körper wird dem Göttlichen durch Brot symbolisch als Opfergabe angeboten. Mudra wird der Geruchssinn und das Element Erde zugeordnet – das wiederum dem Körper zugeordnet wird. Um den Körper zu einem gesunden Körper zu machen, braucht man Brot. Dieses symbolisiert, dass der Körper gut genährt und versorgt ist. Genährt wird der Körper mit Hatha Yoga – Meditation durch den Körper.

Hatha Yoga ist die erste Stufe des Tantra Yoga, weil es Verunreinigungen aus dem Körper entfernt und Körper und Geist reinigt. Asanas haben die Kraft, Prana Shakti zu öffnen, was zu einem ruhigen Geist führt. Gleichzeitig werden die Chakras ausbalanciert, so tritt die Meditation ein. 

Ein Mudra kontrolliert Organe und körperliche Prozesse, um den Fluss von Prana und den Geist zu lenken. Im Tantra werden unterschiedliche Mudra-Arten eingesetzt: 

A) Hasta Mudras (Hand-Gesten) – Beispiele für Hand-Gesten sind Chin Mudra, Yoni Mudra, Pancha Prana Mudra. 

Namaskara Mudra

B) Mana Mudras (Kopf-Gesten) – Maha Mudras sind Meditationsarten, die meist im Tantra angewendet werden, wie zum Beispiel Shanmukhi Mudra. 

Shanmukhi Mudra

C) Adhara Mudras (Genital-Gesten) – Ein beim Tantra Yoga eingesetztes Mudra ist das Ashwini Mudra, das übersetzt werden kann mit „Die Geste des Pferdes“. Gemeint ist die Kontraktion des Anus, die ein Pferd rhythmisch macht. So wird das Mudra ausgeführt: 

  • Setze dich in einen entspannten Meditationssitz und entspanne deinen Körper 
  • Bringe deine Aufmerksamkeit auf deinen Anus
  • Spanne den Anus an und entspanne ihn wieder in einer rhythmischen Bewegung

Ein weiteres Adhara Mudra ist das Vajroli (m) bzw. Sahajuli (w) Mudra. So gehts:

  • Setze dich in eine entspannten Meditationssitz und richte deinen Rücken auf
  • zieh die Sexualorgane nach oben, indem du diese sowie deinen unteren Bauch anspannst und einziehst. Es fühlt sich ähnlich an, wie wenn du den Urin einhältst. 

D) Kaya Mudra (Körper-Gesten) 

Bei Körper-Mudras werden Haltungen eingenommen und die Aufmerksamkeit wird auf die Nadis (Energiekanäle) und Prana (den Atem) gelegt. Beispiele sind: 

  • Yoga Mudra
  • Manduki Mudra
  • Viparita Karani Mudra

In diesem Video zeigt dir Nicole Bongartz, wie du Viparita Karani übst:

 


2. Matsya

Matsya bedeutet übersetzt Zerstörung des Geistes. In diesem Schritt geht es darum, den Geist zu überwinden oder wie Patanjali in den Yoga Sutras schreibt „Yoga Citta Vritti Nirodha“ (Yoga ist das zur Ruhe bringen der Bewegungen im Geist). Matya bedeutet aber auch Fisch, der genauso schwierig zu kontrollieren ist, wie der Geist. Er ist glitschig wie Wasser. Matsya wird der Geschmackssinn und damit das Element Wasser zugeordnet. Zur Ruhe gebracht wird der Geist durch Raja (Ashtanga) Yoga – Meditation durch den Geist. Meditation kehrt nach Asana und Pranayama ein, wenn die Energien im Körper ausbalanciert sind und der Körper frei von Verspannungen ist.


In diesem Video führt dich Dr. Ronald Steiner durch die erste Ashtanga-Yoga-Serie:


3. Madya

Madya bedeutet Wein und steht als Symbol für die Trunkenheit durch eine höhere Kraft oder Frequenz. Im Yoga kann dieser Zustand ohne Wein, aber mit Mantas erreicht werden. Werden Mantras richtig gechantet, entsteht eine Frequenz und eine kraftvolle Vibration. Madya wird der Sehsinn und das Element Feuer zugeordnet. Um mit der Kraft der Feuers umgehen zu können, muss zuerst der Geist gereinigt und ausgeglichen werden (was durch Ashtanga Yoga passiert). Erst dann ist man bereit für Mantra Yoga – Meditation durch Sound – das ein vibrierendes Feld und um den Körper und im Geist erzeugt und das Bewusstsein anhebt. Die Schwingungen erzeugen ein geometrisches Bild (Yantra). Der Effekt von Mantras wird verstärkt werden wie vor einem Yantra gechantet werden. 


Hier führt dich Christina Lobe durch eine Mantra Meditation:


4. Mamsa

Mamsa bedeutet „Ich bin das“ (ein Teil des Höchsten). Auf dieser Stufe versteht der/die Praktizierende, dass er/sie einen Funken des Göttlichen besitzt. Wir sind bereit für diese Stufe, wenn wir tatsächlich erkennen, dass wir diesen Funken in uns besitzen. Kundalini Yoga – Meditation durch die Chakras – als Teil des Laya Yoga ist die Wissenschaft, diese Energie zu aktivieren. Shakti ist nach unten abgestiegen ins Muladhara Chakra (das unterste der sieben Haupt-Chakras) und wurde extrovertiert, während das Bewusstsein (Shiva) im Ajna Chakra sitzt. Durch Kundalini Yoga sollen die beiden wieder vereint werden. Mamsa wird dem Tastsinn und dem Element Luft zugordnet. Sowohl der Sinn als auch das Element werden feinstofflicher. 

5. Maituna

Maitua bedeutet Einheit (Aham Brahmasi). Auf dieser Stufe gibt es keine Trennung mehr. Das höchste Glück stellt sich ein, wenn Shiva (Bewusstsein) und Shakti (Energie) sich vereinen, um pures Bewusstsein zu kreieren. Nur ein Weg hierhin ist die heilige sexuelle Vereinigung. Shiva Shakti Yoga ist Meditation durch die Vereinigung der inneren männlichen und weiblichen Energien. Maituna wird der Hörsinn und das feinstofflichste Element Äther zugeordnet. Es besitzt die Kraft, den/die Praktizierenden in einen Zustand der Transzendenz und Samadhi zu bringen. 


Im Tantra Yoga bereitet man also zunächst den Körper vor, beruhigt den Geist, erzeugt Energie, fühlt den Funken des Göttlichen in sich selbst und verkörpert dann das Göttliche. Je fortgeschrittener deine Praxis ist, desto stärker ist der Effekt. 

 

8. Mahavidyas: Die zehn Weisheitsgöttinnen des Tantra

Nur die wenigsten denken bei Tantra aber an die tantrischen Weisheitsgöttinnen, die zehn Mahavidyas. Diese Gruppe von Göttinnen kann auf den ersten Blick auch erst einmal Angst machen: Allesamt sind sie unabhängige Kick-Ass Göttinnen, die keinen Gott an ihrer Seite brauchen wie etwa die klassischen Konsortinnen-Göttinnen Parvati und Sita

Dabei stehen die Göttinnen für die verschiedensten Aspekte der Welt und des Lebens: Wir haben zum Beispiel Dhumavati, die Göttin der Leere und Enttäuschung, Lalita Tripura Sundari, die Göttin des spirituellen und erotischen Verlangens, oder Matangi, die Göttin der Ausgestoßenen, des Übriggebliebenen und des tiefen, inneren Wissens. 


„Der geschmeidige, nackte, reich geschmückte Frauenkörper zog mich gleichzeitig in den Bann und schreckte mich ab. Da wo ein Kopf sitzen sollte, schoss eine dreiteilige Blutfontäne heraus. Das Blut floss in die Münder zweier weiterer Frauen und in den abgetrennten Kopf des Frauenkörpers. Ich wusste schon: Tantra ist radikal, anders, grenzüberschreitend. Hier blickte ich gerade auf die tantrische Göttin Chinnamasta, eine der zehn Weisheitsgöttinnen des Tantra. Das „Divine Feminine” kommt bei den Weisheitsgöttinnen nicht nur in der lieblichen, anmutigen Form vor. Sondern auch radikal, konfrontierend und eben auch erleuchtend. Wie das Leben selbst es sein kann.”


Der Ursprung der tantrischen Göttinnen

Tantra – Sandra von Zabiensky – Murti

Zur Entstehung der Mahavidyas gibt es die unterschiedlichsten Geschichten. Eine Variante ist die: Sita, verheiratet mit Shiva, wurde von ihrem Vater nicht zu einem großen Ritual eingeladen, genauso wie ihr Mann Shiva. Sie beschloss dennoch hinzugehen, was Shiva gar nicht gefiel – er verbot es ihr. Daraufhin wurde Sita so wütend, dass sie sich verwandelte und aus ihr zehn Göttinnen entsprangen, die Shiva einkesselten, einschüchterten und ihn dazu bewogen, sie doch ziehen zu lassen. In einer anderen Entstehungsgeschichte ist es Shiva leid, mit Kali zusammenzuwohnen und geht. Sie erscheint ihm auf seinem Weg in zehn Formen und er erlangt durch die Konfrontation mit ihnen Weisheit. Demütig kehrt er zurück, um weiterhin mit Kali zusammenzuleben.


Tantra-Yoga Shakti Awakening mit Sandra von Zabiensky


Die Macht der Mahavidyas

Was bei diesen Erzählungen auffällt: Die darin auftretenden Göttinnen sind weitaus machtvoller als Shiva und beherrschen ihn. Allerdings dürfen wir uns im Tantra Shiva und Shakti nicht wortwörtlich als Geschlechter vorstellen, sondern eher als Prinzipien. Im Tantra ist alles Shiva und Shakti, das ganze Universum. Stark heruntergebrochen könnten wir das Shiva-Shakti-Prinzip als „Energie im Raum” umschreiben. Shiva ist der Raum und Shakti die Energie, die alles ins Leben, in die Erscheinung und Manifestation bringt.

Es geht im Tantra weniger oder nicht nur darum, die vollkommene Stille in der Abgeschiedenheit der Meditation zu erlangen, sondern alles in die Praxis zu inkludieren: Die Sinnlichkeit, die Lebendigkeit, die Gedanken und Emotionen, das tägliche Leben. Es fordert dich auf, nichts festzuhalten – aber gleichzeitig auch nichts aufzugeben und dabei Freude am Sein zu haben. Deshalb bietet es einen so wunderbaren Ansatz für uns moderne Menschen, die zwischen Kindergarten, Job, Einkaufen und dem täglichen Alltagskram jonglieren. In der Schönheit und Schrecklichkeit des Lebens geht es im Tantra immer wieder darum, die Freiheit und die Basis in sich zu finden. Shakti verkörpert all das.


In dieser Folge des YogaEasy-Podcast „Besser Leben mit Yoga“ spricht Kristin Rübesamen mit unserer Expertin Sandra von Zabiensky darüber wie Tantra Yoga dich bei radikaler Selbstakzeptanz unterstützen kann.


The Gang: Die Mahavidyas als Gruppe

Die Mahavidyas vereinen als Gruppe alle Aspekte des Lebens und des Universums. Sie sind ganz klar miteinander verbunden, auch wenn manche Göttinnen auch einzeln verehrt werden wie etwa Kali, Lalita Tripura Sundari oder Kamala, die die tantrische Form von Lakshmi ist. Die Mahavidyas können für sehr weltliche Belange angerufen werden, aber auch für spirituelle Erleuchtung, tiefe Meditation und yogische Superpower. Alle haben magische Kräfte und sind unabhängig. 

Die Reihenfolge der Mahavidyas kann stark variieren, wir finden aber in allen Aufzählungen Kali am Anfang.

1. Kali – der Anfang 

Kali wird im Tantra anders wahrgenommen als im klassischen Hinduismus und hat hier auch eine andere Entstehungsgeschichte. So gibt es Texte, die Kali als Anfang des Universums und als Erschafferin von Shiva beschreiben, wie etwa im Shakti Sangama Tantra. Sie ist die Kraft der Eruption und der Katalysator für Veränderungen. In meinem Buch „Tantra – der Weg des mutigen Herzens” schreibe ich zu Kali: „Kali steht für radikale Veränderung, die Konfrontation mit den tiefsten Ängsten, Transformation, Umbrüche und Tod. Kali zeigt dir, was unzerstörbar in deinem Leben ist, indem sie alles andere auflöst. Kali vernichtet und zersprengt mit einer Gewaltigkeit alte Ketten und Strukturen. Sie zwingt dich hinzuschauen, brennt alles nieder, was unser eigentliches Sein blockiert und schafft so den Raum für eine Auferstehung.”

2. Tara – das flammende Herz

Tara sieht (wie Kali) in der Darstellung erst einmal schreckenerregend aus: Wilde Haare, barbusig, blutige Schwerter in der Hand, Flammen im Hintergrund. So furchterregend sie auch sein mag, ist sie dennoch gleichzeitig mütterlich, leitend und begleitend auf dem Weg in die spirituelle Erleuchtung. Tara wird mit Wissen, Klang und Sprache assoziiert und ist eine sehr kraftvolle Göttin. Wenn Kali den Prozess der Transformation anstößt, so ist Tara diejenige, die in dem Chaos, das danach folgt, wie ein Nordstern unseren Pfad erleuchtet. 

3. Chinnamasta – radikale Transformation

Tantra – Chinnamasta – Sandra von Zabiensky

Wenn wir Chinnamasta (s. Zitat oben) kanalisieren, willigen wir ein, unser altes Selbst mit Mut und Fürsorge zu köpfen, so dass es uns in neuer Form nähren kann. Dazu musst du wissen, dass Chinammasta nur deshalb ihren Kopf abgetrennt hat, um mit ihrem Blut ihre Töchter zu nähren, die sehr hungrig waren. Auf dem spirituellen Weg geht es unter anderem darum sich vollständig seiner selbst bewusst zu werden – hier hilft die Kraft von Chinnamasta.

4. Bhairavi – die göttliche Wut

Bhairavi ist eine Feuergöttin und sie steht für sehr viele Aspekte, am bekanntesten ist sie für die Zerstörung. Ja, ich weiß. Hört sich erst einmal furchtbar an, aber lass uns dahinter schauen: Zerstörung ist immer notwendig, damit etwas Neues entstehen kann. Auch in unserer eigenen Entwicklung: Wir müssen durch das reinigende Feuer der Transformation, um zur Süße, zur Freiheit, zu gelangen.

5. Baghalamukhi – die Kraft des Schweigens und Sprechens

Baghlamukhi ist die Göttin, die am stärksten mit Magie in Verbindung gebracht wird. Sie herrscht über die Sprache und paralysiert Feinde. Baghalamuki konfrontiert dich mit der Kraft des gesprochenes Wortes und des Schweigens.

6. Matangi – die Ausgestoßene

Matangi ist die tantrische Saraswati. Matangi ist allerdings eher auf das innere Wissen ausgerichtet und sie ist dunkler und sehr viel mystischer als Saraswati. Als Outkast und Künstlerin verlässt sie den Bereich des Bekannten, lebt zurückgezogen im Wald und hat magische Kräfte. Auch sie wird mit dem gesprochenen Wort in Verbindung gebracht und sie ist wild und ekstatisch im Ausdruck. Stell dir einen fruchtbaren Dschungel vor – das ist die Energie von Matangi. 

7. Bhuvaneshvari – die Weltenmutter

Tantra Göttinen

Mehr als alle anderen Göttinnen ist Bhuvaneshvari mit der physischen Welt assoziiert. Sie ist die „Weltenmutter” und ich liebe ihr Bhavana, ihre Energie: Sie ist mütterlich, warm, für alles Raum haltend. Ein Bild, was wir häufig finden, beschreibt sie so: Bhuvaneshvari ist wie die Spinne im Netz, aus ihr entsteht das Netz und gleichzeitig ist sie in diesem. Bhuvaneshvari steht für Embodiment in der realen, physischen Welt und gleichzeitig für den Raum, den diese umgibt.

8. Dhumavati – die Göttin der Enttäuschung

Dhumavati habe ich am Anfang meiner Reise mit den Mahavidyas immer vermieden, weil sie mit dem, wofür sie steht, nun ja, weniger anziehend ist. Mittlerweile schlägt mein Herz auch für sie. Dhumavati, und das ist sehr ungewöhnlich, ist die Göttin der Enttäuschung, Frustration, Auflösung, ja, sogar der Depression. Sie wird als alt, hässlich und als Witwe beschrieben, alles Kategorien, die im damaligen Indien als höchst abschreckend galten. Dhumavati steht für unangenehme Gefühle, für Frustration: Wir versuchen zu entkommen, sind aber völlig festgefahren. Wir sind enttäuscht, nichts bewegt sich mehr. In all dem liegt aber auch wieder eine Chance: Die Chance der Akzeptanz. In der tiefen, stillen Akzeptanz liegt eine tiefergehende Lektion. Dhumavati lehrt uns die Bescheidenheit des Scheiterns sowie Mitgefühl und Empathie mit denen, die gerade kraftlos und machtlos sind. Nicht zuletzt ent-täuscht Dhumavati: Sie deckt die Täuschungen auf, die wir uns selbst bauen.

9. Lalita Tripura Sundari – die Göttin der Erotik, Spiritualität und des Verlanges

Zu Lalita habe ich eine ganz besondere Beziehung. Sie war diejenige, die mich tief in die tantrische Praxis zog und mit deren Hilfe ich mich komplett wandelte. In meinem Buch „Tantra – der Weg des mutigen Herzens“ schreibe ich zum Anfang der Reise mit Lalita „Ich sage es ganz offen: Ich hatte Angst vor Lalita Tripura Sundari. Die tantrische Göttin des Shri Vidya, eine der neun Hauptlinien des klassischen Tantra, hat es aber auch in sich. Es heißt, sie sei älter als die männlichen Hindugötter Brahma, Vishnu und Rudra. Sie ist die ursprünglichste Kraft des Verlangens, die Kraft, die Atome zusammenhält, die Königin des Universums. Dabei ist sie keineswegs furchterregend wie etwa die Göttinnen Chinnamasta oder Kali, sondern verführerisch schön. In ihrer absoluten Autorität ist sie dennoch durch und durch feminin und verneint nicht die Partnerschaft mit dem männlichen Prinzip. Ihre erotische Ausstrahlung lässt sämtliche männliche Götter angesichts ihrer Schönheit niederknien. Sie ist das spirituelle, erotische und weltliche Verlangen und diejenige, die dich in die radikale Freiheit führt, damit du selbst wie eine Königin durch dein Leben schreitest.“ Wow, oder?!
Lalita kann Angst machen, denn sie konfrontiert dich mit den Fragen: Erlaubst du dir, schön, machtvoll, erotisch, sinnlich und regierend zu sein? Erlaubst du dir deine Verlangen zu sehen, zu tranformieren und zu erfüllen? Ich kann dir sagen, dass die Jahre meiner Lalita-Praxis mein Leben geändert haben. Ich komme von einer Historie aus Zwangsneurosen und -handlungen, Ängsten, niedrigem Selbstwert, Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen und noch viel mehr. Heute führe ich ein so freies, erfülltes Leben, wie ich es früher niemals für möglich gehalten hätte. Deshalb bin ich so leidenschaftlich mit dem Tantra, den Göttinnen und Lalita im Besonderen: Ich weiß aus eigener Erfahrung, sie sind lebensverändernd.

10. Kamala – die Süße des Lebens

Tantra – Lakshmi – Sandra von Zabiensky

Kamala ist die tantrische Lakshmi und wird üblicherweise zuletzt aufgezählt. Sie ist die purifizierte Süße des Lebens, all das, was unser Leben lebenswert macht. Außerdem steht sie für Reichtum, Fruchtbarkeit, Liebe, Schönheit und Hingabe – eben das Aufblühen am Ende unserer Reise. Kamala unterstützt uns beim Erfüllen unserer tiefsten Wünsche. Sie steht für den materiellien und spirituellen Reichtum, der sich im Tantra übrigens absolut nicht ausschließt. 


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Die Reise mit den Mahavidyas

Was bedeuten nun die Mahavidyas für dich und deine Yogareise? Für mich sind die Mahavidyas Bewusstseinszustände, Lebensabschnitte und auch eine transformative Reise. Jede einzelne, egal ob du sie als Archetyp, Energie oder tatsächliche Göttin siehst, hat ihre Weisheit und Dinge, die sie dich lehren kann. 
Selbst in der Asana-Praxis: Falls du unterrichtest, widme doch einmal eine Stunde Bhagalamukhi und spreche nur das Nötigste. In deiner eigenen Praxis übe mit der Energie von Bhuvaneshvari und stell dir vor, du bist im Raum gehalten. Führe Asanas mit der Freude am Regieren aus wie Lalita Tripura Sundari. 
Für die innerliche Praxis findest du in meinem Buch „Tantra – der Weg des mutigen Herzens. Die sinnlich-transformierende Praxis für eine neue Weiblichkeit“ meine ganz persönliche Reise mit fünf Göttinnen und viele praktische Anleitungen. Ich nehme dich mit in meine Entwicklung und teile mit dir viele originale oder tantrisch inspirierte und eigens entwickelte Meditationen, Visualisierungen, Reflexionen und Übungen. 

Let Shakti rule!

Ob mit allen Mahavidyas oder einzelnen von ihnen und in welcher Form auch immer: Die Praxis mit den tantrischen Weisheitsgöttinnen kann dich in eine in dir verwurzelte Freiheit und tiefe Zufriedenheit führen und deine Praxis um viele neue Sichtweisen erweitern. Let Shakti rule. 


Tantra – Der Weg des mutigen Herzens

 

 

 

Lese-Tipp: Sandra von Zabiensky „Tantra – Der Weg des mutigen Herzens”, erschienen bei Irisiana. 

 

 

 


Quellen: 

  • Feuerstein, Georg (2013): „Die Yoga Tradition – Geschichte, Philosophie & Praxis“, erschienen im Yoga Verlag. 
  • Sandra von Zabiensky (2022) „Tantra – Der Weg des mutigen Herzens”, erschienen bei Irisiana. 

Bildquellen: 

  • ©️ Josephine Walker Photography
  • ©️ Xenia Bluhm
  • ©️ Pexels: Alexey Demidov
  • ©️ fizkes/Shutterstock.com
Sandra von Zabiensky
Sandra von Zabiensky

Sandra von Zabiensky ist Yogini, Autorin, Lululemon-Ambassador und Unternehmerin. Sie glaubt daran, dass Yoga uns transformiert, denn das hat sie selbst erlebt. Sandras wichtigste Ziele: anderen dabei zu helfen, dass Glück, die Freude und das große Potenzial in sich wieder zu entdecken. In ihren Anusara®-Elements-Klassen teilt sie ehrlich ihre Erfahrungen und legt den Fokus auf die lebensnah angewandte tantrische Philosophie sowie das freudige Praktizieren auf Basis der universellen Ausrichtungsprinzipien.

Irina & Valentin Alex
Irina & Valentin Alex

Irina und Valentin Alex sind Yogalehrer und die Gründer des „Yoga Team Berlin”. Sie leiten ganzjährig Yoga-Retreats, s.e.i. Seminare, Feuerläufe und bieten die s.e.i. Yogalehrer-Weiterbildung an. Die beiden sind außerdem Diplom-Persönlichkeitstrainer (Positiv Factory) und haben lange bei Spirit Yoga Berlin unterrichtet.

Corina Rhodovi
Corina Rhodovi

Corina ist seit 2021 Content Managerin bei YogaEasy. Gemeinsam mit ihrem Team sorgt sie dafür, dass du im Yoga-Magazin, im Newsletter und auf unseren Social-Media-Kanälen regelmäßig inspirierende, fundierte und unterhaltsame Inhalte findest – allesamt dafür gedacht, dich noch tiefer mit deiner Yoga-Praxis zu verbinden. Als zertifizierte Yogalehrerin in Vinyasa Yoga, Tantra Yoga und Yin Yoga bringt Corina nicht nur fachliches Know-how, sondern auch Herz und Hingabe in ihre Arbeit ein. Ihre Wurzeln in der Sportwissenschaft – sie hat an der Deutschen Sporthochschule Köln studiert – spiegeln sich in einem tiefen Verständnis für anatomisch gesunde Ausrichtung und die physiologischen Wirkungen der Asanas wider. Ihre besondere Leidenschaft gilt dem Sound Healing mit Klangschalen und Gongs – ein Bereich, in dem sie ihre spirituelle Heimat gefunden hat. Verbinde dich mit Corina auf www.frequency-yoga.de und über Instagram unter @corina_frequency_yoga.

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