Samadhi oder Sangria: Yogi:nis und Alkohol

Von Katharina Goßmann und Kristin Rübesamen

Dürfen Yogis Alkohol trinken?

Was für eine Frage: Natürlich nicht. Yogis sind dazu verdammt, lauwarmen Basentee zu trinken und an hohen Festtagen Chai Tee! 

Mal im Ernst: Die Rechtslage – also was der Weise Patanjali dazu sagt – ist in dieser Frage eindeutig. Seine Empfehlungen zur yogischen Lebensweise lassen keinen Zweifel: Samadhi, besser bekannt als Erleuchtung, ist einfacher ohne Sangria oder „Sex on the Beach“ zu erreichen.

Alkohol reinigt?

Aber von vorne: Die Lebensweise (Charya) vieler Yogi:nis orientiert sich an Patanjalis „Yogasutra”. Er legt darin seine Erkennnisse über das Leben, den Körper, und vor allem den Geist und wie wir ihn kontrollieren können, dar. Unter anderem beschreibt er in den "Yamas", wie wir uns anderen Menschen gegebenüber verhalten sollten, und in den Niyamas, wie wir unser Leben in Bezug auf uns selbst gestalten sollten. 


Yogaphilosophie-Fortbildung: Yogasutra von Patanjali


Das erste Niyama, Saucha, handelt davon, dass wir so leben sollten, dass wir innerlich und äußerlich möglichst rein sind. Mit innerlicher Reinheit ist unter anderem gemeint, dass wir keinen Klatsch verbreiten und Gefühle wie Neid oder Eifersucht unter Kontrolle bringen. Äußerlich erreichst du Saucha vor allem über die körperliche Yoga-Praxis und die yogischen Reinigungsrituale (von Nasenspülung bis zu Nauli). Aber auch deine Ernährung ist entscheidend. Im idealen Fall führst du deinem Körper nur „sattvige”, also reine, Lebensmittel zu. Spoiler: Alkohol gehört nicht dazu. 

Dieses yogische „Reinheitsgebot” ist nicht dogmatisch, es geht nicht um Enthaltsamkeit oder Askese. Es basiert einfach auf der Erfahrung, dass es unendlich viel leichter ist, voranzukommen – in Richtung Glück und Frieden, auf deinem Yogaweg, aber auch im Leben allgemein – wenn der Geist klar und ungetrübt ist, und der Körper gesund und kraftvoll. 

Was macht Alkohol mit dir?

Die erste Regel im Umgang mit anderen wiederum ist Ahimsa, die Gewaltlosigkeit: Hier geht es darum, niemanden zu verletzen. Alkohol macht viele von uns unsensibel, senkt die Hemmschwelle und, schwupps,  haben wir unsere Impulse nicht mehr im Griff.

Wenn du zu denen gehörst, die angetrunken alle umarmen und auf die Tanzfläche schlingern, dann bist du im Einklang mit dir und dem ersten Yama. Wenn aber nach dem dritten Tequila unterdrückte Gefühle, und wer von uns hätte davon nicht einen Sack voll, partout an die Oberfläche drängen, ist es recht unwahrscheinlich, dass du mit ihnen konstruktiv umzugehen wirst.  Trauer, Enttäuschung, Neid oder Wut müssen jetzt dringend an die Luft, nicht immer zur Freude deiner Umgebung. Kurz, es wird laut und aggressiv und endet im besten Fall nur mit einem Kater. 

Wobei es auch eine Chance ist, wenn du ein:e eher unangenehme: Betrunkene:r bist. Denn diese Gefühle, die hochkommen, können dir Hinweise für deinen Yogaweg geben. Du kannst sie dir anschauen, und analysieren und handelst getreu dem vierten Niyama, Svadhyaya, der Selbstreflektion: Woher stammen diese Gefühle? Welche Gedanken- und Verhaltensmuster unterstützen sie? Welche Bedürfnisse stecken eigentlich hinter ihnen?

Lohnenswert sind auch allgemeine Fragen: Warum trinke ich überhaupt Alkohol? Was ermöglicht er mir? Was fehlt mir, wenn ich nichts Alkoholisches trinke? Vielleicht wirst du merken, dass das, was du im Alkohol suchst, auch ohne ihn zu haben ist – wenn du es dir erlaubst. Auch ohne Kopfweh am nächsten Morgen.

Betrunken = Zügellos?

Beim Thema Alkohol und Kontrollverlust ist noch ein anderes Yama interessant, nämlich Brahmacharya. Dieses Gebot wird unterschiedlich ausgelegt – von vielen aber mit sexueller Enthaltsamkeit oder wenigstens einem äusserst sparsamen Einsatz sexueller Energie in Zusammenhang gebracht. Da Alkohol die Hemmschwelle senkt, ist im Zweifelsfall also strenge Enthaltsamkeit nötig.

Brahmacharya macht uns Yogis auf Partys natürlich unbeliebt („Sie darf nicht.“), doch winkt eine reiche Entschädigung im 38. Vers des 2. Kapitels der Yoga Sutra:

brahmacarya pratiṣṭhāyāṁ vīrya-lābhaḥ

ब्रह्मचर्यप्रतिष्ठायां वीर्यलाभ

In meiner Übersetzung: „Wer sich in seiner Sexualität verantwortungsvoll verhält, erhält jede Menge Lebenskraft.“

Die Bibel sieht das Thema Alkohol übrigens etwas lockerer. Jesus und seine Jünger haben Wein getrunken. Im Korintherbrief allerdings wird gemahnt, dass Trinker das Reich Gottes nicht betreten dürfen: „Wisset ihr denn nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht ererben werden? Irret euch nicht: Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Weichlinge, noch Knabenschänder, weder Diebe noch Habsüchtige, noch Trunkenbolde, noch Lästerer, noch Räuber werden das Reich Gottes ererben“ (1. Korinther 6:9-10)

Trunkenbolde, ob sie nun an ein Leben nach dem Tod glauben oder nicht, durften im letzten Jahrhundert vielleicht noch ins Studio 54, in ein Yoga Studio dürfen sie heute nicht mehr. Vor 20 Jahren war das anders. Kristin Rübesamen: „In eine meiner Yogastunden in New York kam ein Schüler, in weißen Tennissocken, einen starken Eukalyptusduft hinter sich herziehend – der nach wenigen Sonnengrüßen verflog und einem Gemisch aus Hopfen und Angstschweiß Platz machte. Ein Banker, der von der Happy Hour kam.”

Bier Yoga: Nur ein absurder Trend?

Apropos: Seit einigen Jahren gibt es in westlichen Großstädten sogenannte „Bier Yoga”-Stunden. Zum Einchecken wird ein Begrüßungsbierchen genommen und dann, je nach Lehrer:in, durchaus auch während der Stunde weitergetrunken. Waaas???

Nun kann man auch völlig ohne Unterstützung durch die Yogasutra festhalten, dass es nicht empfehlenswert ist, sich unter Alkoholeinfluss sportlich zu betätigen. Die Verletzungsgefahr steigt rapide, und die meisten Körper reagieren eher ungnädig auf Anstrengung unter so erschwerten Bedingungen – wohl, weil sie gerade sowieso schon alle Hände voll zu tun haben mit der Verarbeitung des toxischen Alkohols. 

Und doch ist Bier Yoga mehr als ein absurder Trend. Jedenfalls, wenn es von verantwortungsvollen Lehrer:innen unterrichtet wird, die darauf achten, dass nur wenig Alkohol getrunken wird und trotz leichter Düdeligkeit achtsam geübt wird. Denn viel zu viele Menschen denken immer noch, dass sie nicht nur biegsam und schlank sein müssten, sondern auch asketisch und zudem moralisch auf dem Level von Mutter Theresa, um Yoga zu üben. Damit macht Bier Yoga Schluss: Es lädt alle ein. Ohne Dogma, ohne Bedingungen. Und das ist genau die wertungs- und vorurteilsfreie Haltung, die Yoga in seinem Kern ausmacht.

Fazit: Wer zügig die Erleuchtung anstrebt, für den ist die Kombination aus Yoga und Alkohol – aus durchaus tragenden Gründen – ein No Go. Den meisten Yogi:nis aber schadet ein Gläschen Sauvignon Blanc auf ihrem langen Weg zu Samadhi nicht. Das Dumme ist nur, dass viele von uns kaum noch Alkohol vertragen...

Katharina Goßmann
Katharina Goßmann

Katharina ist Mutter, Yogalehrerin und Psychologin. Bei YogaEasy ist sie das Herz der Redaktion und schreibt über Yoga, wahres Glück und Heilung. Ihre Artikel werden unter anderem im „Yoga Journal” und in der „Happy Way” veröffentlicht.

Kristin Rübesamen
Kristin Rübesamen

Kristin Rübesamen ist zertifizierte Jivamukti- und Om-Yoga-Lehrerin. Sie hat über ein Jahrzehnt in New York und London gelebt und ihre Ausbildungen noch bei Sharon Gannon und David Life (Jivamukti) und Cyndi Lee (Om Yoga) persönlich gemacht. Als Yoga-Aktivistin, Chefredakteurin von YogaEasy und Yogalehrerin unterrichtet sie seit fast 20 Jahren einen sehr konzentrierten, gleichwohl herausfordernden Stil. Sie ist Autorin von „Alle sind erleuchtet” und „Das Yoga-ABC” .

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