
Parsvottanasana – eine Asana wie eine Pyramide
Nur wer eine Fantasie wie ein Pharao hat, erkennt in der Yoga-Übung Parsvottanasana eine stehende Pyramide. Aber auch wenn diese Asana kein körperliches Weltwunder ist, schenkt sie dir doch eine intensiv stärkende Ganzkörper-Dehnung, die süchtig machen kann.
Parsvottanasana ist eine Standhaltung, die eigentlich zum Standard-Repertoire gehören sollte. Du streckst deinen Oberkörper und verbeugst dich aus dem Becken über dein vorderes, gestrecktes Bein. Deine gesamte Körperrückseite ist vor lauter Stimulation eine einzige Sensation. Entsprechend bedeutet „Parsva“ Flanke oder Seite; „Uttana“ setzt sich aus „ut“ = intensiv und „tan“ = ausstrecken zusammen.
Verkürzte Beinrückseiten, eine schwache Rückenmuskulatur und verspannte Hüft- oder Gesäßmuskeln können dich in dieser Asana bittersüß bremsen. Konzentriere dich weniger auf deine Grenzen, sondern vielmehr auf das, was du kannst. Jede Asana fühlt sich jeden Tag anders an. Auch die stehende Pyramide ist ein wunderbarer Spiegel unserer Innenwelt. An guten Tagen nach innen fokussiert und entspannt, von außen stabil und ausbalanciert. An schlechten Tagen verkrampft und zerstreut, von außen windschief und wackelig.
Wie bei den ägyptischen Bauwerken braucht auch diese Pyramide ein unerschütterliches Fundament. Allerdings nähren Vorbeugen unser dunkles Ego. Je tiefer, desto besser, schwatzt unser zweifelnder Geist. Wir opfern die Länge im Rücken, erschleichen uns so Tiefe aus dem schiefen Becken und ärgern unsere Wirbelsäule. Dabei gibt es keinen Grund zum Schummeln. Erst wenn wir uns vertrauen, aufhören uns selbst zu belügen, beginnen wir zu strahlen.
Worauf du bei Parsvottanasana achten solltest und warum diese Asana nie langweilig wird, verraten wir dir in diesem Artikel. Bevor es aber an die Feinheiten geht, braucht es etwas Geduld und Übung.
Wie du die Pyramide richtig ausführst
- Starte in Tadasana, Füße hüftschmal.
- Richte dein Becken parallel nach vorne aus. Bring deine Hände an deine Hüften.
- Trete mit deinem rechten Fuß etwa einen Meter zurück.
- Erde den hinteren Fuß 45 bis 60 Grad ausgedreht und schiebe in die Fußaußenkante.
- Richte dein Becken parallel nach vorne aus.
- Verlängere einatmend deine Flanken und deine gesamte Oberkörpervorderseite.
- Rolle deine Schultern zurück und bring deine Hände hinter dem Rücken in der Gebetshaltung, die du auch von der klassischen Yoga-Begrüßung Namasté kennst.
- Schiebe deine Hände aktiv auf Höhe deiner Schulterblätter zusammen.
- Verneige dich ausatmend mit einer langen Wirbelsäule über dein vorderes Bein.
- Schließe deine Augen, verweile hier für acht bis zehn Atemzüge in der Vorbeuge.
- Löse die Hände, bring sie an deine Hüfte. Hebe dich einatmend nach oben.
- Schließe in der Berghaltung. Spüre nach, bevor du die Seite wechselst.
Im folgenden Video erklärt dir Anusara-Yogalehrerin Claudia Turske, wie du die Pyramide korrekt übst:
Tipp: So anmutig die indische Geste der Verehrung durch das Falten der Hände („Namasté“) auf dem Rücken auch ist, nicht für jeden von uns ist sie erreichbar. Greife alternativ die gegenüberliegenden Ellbogen oder verzichte ganz auf die klassische Armhaltung.
Die Wirkungen von Parsvottanasana
Tiefe Dehnungen in Kombination mit einer beruhigenden Vorbeuge wirken verlässlich erdend, wenn wir gestresst sind. Atmen wir tief und gleichmäßig, kann die Anspannung abfließen. Die Pyramide gleicht alle Elemente untereinander aus und verhindert, dass wir in die Dunkelheit unseres Egos abdriften. Sie lenkt deinen Fokus unweigerlich auf das, was da ist.
Physische Wirkungen der Pyramide
- Dehnt deine Beinrückseiten, die Rückenstrecker und deine seitlichen Bauchmuskeln
- Stimuliert deine Achillessehne, deine Adduktoren und deine Wadenmuskeln
- Öffnet den Brustraum und vergrößert den Bewegungsradius in deinen Schultern (wenn du die Hände hinter dem Rücken hast)
- Löst Spannung in deinen Beinen und Hüftmuskeln
- Kräftigt deinen unteren Rücken und deine Beine
- Löst Steifheit in deinen Handgelenken (wenn du die Hände in der Gebetshaltung hast)
- Stimuliert deine Bauchorgane und regt die Verdauung an
- Verbessert deine Haltung und dein Gleichgewicht
Psychische Wirkungen von Parsvottanasana
- Aktiviert deinen Parasympathikus und beruhigt so deinen Geist
- Wirkt erdend und stärkt dein Vertrauen in dich
- Schenkt dir Strahlkraft und Klarheit
- Stärkt deinen mentalen Fokus
Energetische Wirkungen der Pyramide
- Aktiviert dein Wurzelchakra (Muladhara-Chakra)
- Harmonisiert dein Herzchakra (Anahata-Chakra)
Kontraindikationen: Wann ist Vorsicht geboten?
- Bei Rückenschmerzen und Bandscheibenvorfällen
- Bei Bluthochdruck
- Bei Kopfschmerzen oder Migräne
Hilfreiche Hinweise: Worauf du in Parsvottanasana achten solltest
Als Yogalehrerin möchte ich dich Stück für Stück tiefer in die Asana führen, aber auch nicht überfordern. Je besser deine Körperwahrnehmung ist, desto feiner kannst du mit der Zeit arbeiten. Es gibt ein paar Schlüsselelemente, die dir helfen, Parsvottanasana richtig zu feiern:
- Pada Bandha: Erde alle drei Punkte deiner Fußsohle gleichmäßig, den Groß- und Kleinzehballen sowie die Mitte deiner Ferse. Aktiviere dein Quer- und Längsgewölbe, dein Fußgewölbe. Wie beim Hausbau ist dein Fundament der Schlüssel zum Gleichgewicht.
- Stabile Basis: Schiebe aktiv die Fußaußenkante deines hinteren Fußes in den Boden, damit Pada Bandha nicht passé ist.
- Starke Beine: Strecke deine Beine und ziehe deine Kniescheiben nach oben.
- Abstand zwischen den Beinen: Achte darauf, dass du etwa einen Meter zurücktrittst. Oft ist der Abstand zwischen den Beinen zu klein.
- Hüften auf einem Level: Ziehe bewusst die äußere Hüfte deines vorderen Beines zurück und aktiviere sanft die Gesäßmuskulatur des hinteren Beines. Kleiner Tipp: Erst wenn es sich schief anfühlt, ist die Hüfte parallel nach vorne ausgerichtet.
- Uddhiyana Bandha: Ziehe für Uddhiyana Bandha deinen Bauchnabel mit der Ausatmung sanft nach innen und oben.
- Gerader Rücken: Visualisiere dein natürliches Hohlkreuz, kippe dein Becken nach vorne und kreiere Länge von der Basis deiner Wirbelsäule bis zur Kopfkrone.
- Lange Körpervorderseite: Stell dir die Form einer sanften Kobra im oberen Rücken vor, wachse über die Flanken in die Länge, mache die Vorderseite länger als die Rückseite.
- Oberarmköpfe integrieren: Rolle deine Schultern zurück, ziehe die Spitzen deiner Schulterblätter aktiv zusammen und schiebe deine Oberarmköpfe ins Schultergelenk zurück.
Löse dich von der Form und nutze diese Ausrichtungshinweise, um dich bewusst der stehenden Pyramide in all ihren Feinheiten zu nähern. Bleibe im Dialog mit deinem Körper – dessen Feedback (und nicht deine Erwartung an ihn) ist entscheidend.
Variationen für die Pyramide
Variationen sind nicht nur Optionen, wenn du an deine Grenzen stößt. Variationen sind Einladungen den Körper zu studieren, den Fokus zu verändern und die Asana in ihrer Vielfältigkeit zu erleben. Spiele die verschiedenen Arm-Variationen durch, ändere dein Fundament oder nutze Hilfsmittel, um die Asana intensiver zu spüren.
Variationen ohne Hilfsmittel
- Ardha Parsvottanasana: Halbe Vorbeuge geht immer. Arbeite mit geradem Rücken, Oberkörper parallel zum Boden. Die Hände können am Becken bleiben, damit stärkst du deinen unteren Rücken. Bringe optional die Hände auf deine Schienbeine (nicht auf die Kniescheiben).
- Ellbogen greifen statt Gebetshaltung: Du hast Mühe die Hände hinter dem Rücken zusammenzubringen? Spare dir deine Zweifel. Rotiere deine Arme wie bei der Gebetshaltung einwärts und greife stattdessen deine Ellbogen oder Handgelenke.
- Arm-Variation Venusschloss: Verschränke die Hände hinter dem Rücken ineinander. Die Arme bleiben gestreckt und sinken über den Kopf. Die Richtung zählt. Ziehe die Schultern weg von den Ohren.
- Hände zum Boden: Weniger ist mehr. Zu viele Herausforderungen verderben manchmal das Asana-Erlebnis. Verzichte auf eine wilde Arm-Haltung und bring sie zum Boden.
- Klassisches Fundament: Du bist Beton-geerdet und stehst wie eine Eins? Dann fordere dich heraus und bringe die Fersen klassisch hintereinander. Du wirst sehen, die Asana bekommt eine ganz neue (wackelige) Dimension.
- Dynamische Pyramide: Wechsle dynamisch zwischen der halben und der ganzen Vorbeuge hin und her. Verbinde diesen Mini-Flow mit deiner Atmung. Hebe dich einatmend kraftvoll in den geraden Rücken, verneige dich ausatmend in die Vorbeuge.
Variationen mit Hilfsmitteln
Spiel und Spaß mit Blöcken und Wänden. Das ist das Motto für Hilfsmittel. Sie sind wie ein Schlitten, der es uns erst ermöglicht den Berg herunterzurodeln.
- Hände auf zwei Blöcke: Egal ob in der halben oder in der ganzen Vorbeuge – zwei Blöcke schaffen Platz und Raum für die Schlüsselelemente von Parsvottanasana. Zur Erinnerung: Yoga-Blöcke haben drei verschiedene Höhen und dürfen auch gestapelt werden.
- Die halbe Pyramide an der Wand: Stelle dich in die Berghaltung Tadasana mit dem Blick zur Wand. Strecke deine Arme aus und drücke die Handflächen auf Schulterhöhe gegen die Wand. Korrigiere wenn notwendig den Abstand zur Wand. Bringe die Hände in deine Hüfte und führe Ardha Parsvottanasana aus. Strecke die Arme aus und schiebe aktiv deine Hände gegen die Wand. Arbeite an der Länge im Rücken.
- Parsvottanasana an der Wand: Sind deine Sehnen im Fuß zu kurz, so dass du mit der hinteren Ferse nicht runter zum Boden kommst, drücke deine Ferse unterstützend gegen eine Wand. Das hilft dir die Fußsohle eben zu halten.
Genieße die intensive Dehnung und lasse überflüssige Anspannung abfließen. Gib deiner Intention die nötige Prise Wahrheit, um deine Masken fallen zu lassen. Höre auf zu gefallen, dir etwas vorzutäuschen, blicke ganz offen in den Spiegel. Wenn du diesen Blick zulässt, beginnst du zu leuchten.