Mythos Fasten (und warum es trotzdem guttut)

Von Kristin Rübesamen

Wenn es nur nicht so schwer wäre. Vor ein paar Wochen saß ich im Zug von Frankfurt nach Berlin, eingequetscht zwischen Fenster und einer Mitfahrerin, die erst InStyle und dann die taz las. Sie hatte eine Packung Schokoladenkekse auf dem Schoß und bot sie freundlich an. Wir aßen also die Kekse, schauten aus dem Fenster und unterhielten uns über Harry und Meghan. Wenn man so will, ein perfekter Nachmittag in der Deutschen Bahn mit gesättigten Fettsäuren und Klatsch.

Ich kam von einer Veranstaltung, auf der über die Vorteile von Fastenkuren diskutiert wurde, und tatsächlich, alle Expert:innen waren sich einig: Es gibt nur Vorteile, für Kranke sowieso, aber auch für Gesunde. Obwohl ich dachte, schon alles über die vielfältigen Wirkungen des Heilfastens – Insulinsenkung, Antigenpause, Entwässerung, Entsalzung über neurovegetative Gesamtumschaltung und, ähm, das legendäre „Fasten-High“ – zu wissen, lernte ich eine Menge. Allerdings war ich überrascht, dass ein Effekt nur kurz genannt wurde: Der Verzicht. Natürlich wurde am Rande darüber geredet, wie schwierig die ersten Tage einer Fastenkur seien, wie wichtig daher die Vorbereitung – sprich: Die Darmentleerung (ein Riesenthema, das viele verzückt) –, aber für das, was meiner Meinung nach der größte Gewinn des Fastens ist, interessierte sich kaum jemand. 


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Verzicht ist nicht dasselbe wie Abnehmen

Jedes Frühjahr dasselbe. Kaum dass die Schneeglöckchen blühen, geht ein Riesenraunen auf Social Media los und will uns klarmachen, dass wir abnehmen sollen. Gerade behauptete jemand auf TikTok, dass die Mischung aus Zitronensaft, Ananas, Ingwer und Gurke, zweimal täglich getrunken, dabei helfe, zwischen vier und fünf Kilo pro Woche abzunehmen. Auf jedem Kanal werden uns Schlankheitsdrinks, Skinny Juices und Detox-Tees angeboten, die uns mehr Energie, einen besseren Teint, eine schlankere Taille, besseren Sex, ach, ein erfülltes Leben versprechen, wenn wir sie konsumieren. 

Dabei ist die Frage berechtigt, nach Corona sowieso, aber auch nach dem Winter: Wie komme ich zu mehr Energie? Warum bin ich immerzu schlapp, schnell erschöpft, antriebslos und selten munter? Diese Frage in einer Gesellschaft zu stellen, in der nur Leistung zählt, hat sogar subversiven Charakter, doch dazu später. Als vielversprechende Möglichkeit hat das Fasten, eine jahrtausendealte Kulturtechnik, so alt wie Yoga, ein ähnliches Ziel: Mit sich ins Reine zu kommen auf allen Ebenen. Diesen ganzen emotionalen und gedanklichen Verhau in Ordnung zu bringen, die über die Wintermonate angestaute Trägheit und Trübseligkeit abzuschütteln. Ein inneres Aufräumen, das es im Anschluss ermöglicht, wieder Energie aufzubauen, sich zu stärken – mental, emotional, aber auch ganz handfest über das Mikrobiom, die Zellnahrung und die Organe. 

Tatsächlich zählt Fasten zur Spitzendisziplin all derer, die gesund leben wollen und nicht alles der Schulmedizin überlassen wollen. Diese nämlich ist skeptisch, wenn Fastengurus behaupten, wir müssten „entgiften“. Denn dazu haben wir schließlich die Leber, die Nieren, den Darm, die Haut und die Lunge (um nur die wichtigsten Organe zu nennen). Soweit, so richtig. Tatsache ist aber, dass unser Körper nicht für den Lebensstil, dem sich die meisten Menschen unterwerfen, ausgestattet ist. Wenn wir über eine längere Zeit unter Stress stehen, schüttet unser Körper vermehrt Stresshormone (Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol) aus. Unser Hormonhaushalt verändert sich unweigerlich und beim Abbau dieser Stresshormone entstehen zusätzlich Säuren. Unser Körper kann die Säuren nur mehr schwer neutralisieren. Wir fühlen uns abgeschlagen, ständig müde und können dennoch nachts nicht gut schlafen.

Hilfe, Übersäuerung

Bitte keine Panik: Wir sprechen hier nicht von einer akuten Azidose (Übersäuerung), noch nicht mal von einer sogenannten „latent chronischen“ Azidose, die eine Störung des Säure-Basen-Haushalts beschreibt, sondern lediglich von einem Ungleichgewicht. Dieses Ungleichgewicht kann eine Fastenkur allein nicht in Balance bringen, dazu ist immer eine Änderung der Ernährung und vor allem des Lebensstils notwendig. Aber eine Fastenkur kann den nötigen Anstoß geben, den Auftakt zu einer gesünderen Lebensweise. Und diese wiederum kann den Säure-Basen-Haushalt ins Gleichgewicht bringen, yeah. 

Fasten hilft gegen Zivilisationskrankheiten

Was kann Fasten noch? Auch die Schulmedizin sieht Fastenkuren mittlerweile als sinnvolle Maßnahme gegen Adipositas, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dabei gilt Fasten schon seit Jahrhunderten als bewährte Medizin. „Statt Medizin zu nehmen, faste heute lieber”, riet bereits der griechische Schriftsteller Plutarch seinen Freunden. Die moderne Wissenschaft interessiert sich immer mehr für das, was während des Fastens im Körper passiert. Längere Esspausen, beweisen Studien, bewirken im menschlichen Körper messbare biochemische Veränderungen, die einen deutlich positiven Effekt haben. Dass zum Beispiel eine „Fettleber“ schmilzt durch Intervallfasten, ist eine ungeheure Erleichterung für alle, die an Diabetes Typ 2 leiden. Fasten schließt nämlich Zellen für Insulin auf, die voller Fettgewebe sind. Damit ist diese Krankheit kein ganz so harter Schicksalsschlag mehr. Hier erfährst du übrigens, wie Yoga bei Diabetes hilft

Fastenstoffwechsel

Was passiert eigentlich genau, wenn wir aufhören zu essen? Im Stoffwechsel wird regelrecht ein Schalter umgelegt, der Körper schaltet vom regulären Stoffwechsel in den Fastenstoffwechsel um. Das Signal für die Stoffwechselumschaltung ist die Entleerung des Magen-Darm-Traktes. Daraufhin sinkt der Blutzuckerspiegel. In der Folge sinkt auch der Insulinspiegel. Glukagon und Adrenalin werden vermehrt ausgeschüttet. Diese Hormone bewirken nicht nur, dass mehr Fett aus dem Fettgewebe freigesetzt werden und Fettsäuren leichter in die Muskelzellen aufgenommen werden, sie unterstützen auch die Glykogenolyse (Glukose wird aus Glykogen, der Speicherform der Glukose, in der Leber freigesetzt). Fast zur selben Zeit bildet die Leber auch neue Glukose (Glukoneogenese). 

Die Ernährung der meisten Menschen besteht allerdings mehr aus Kohlenhydraten und weniger aus Fetten. Unser Gehirn und einige Blutzellen sind tatsächlich ausschließlich auf Glukose angewiesen. Im Fastenstoffwechsel muss der Körper also von einer eher kohlenhydratreichen Ernährung von außen auf eine Ernährung von innen umstellen, die aus den fettbetonten Energiereserven erfolgt. 

Schon nach etwa zwölf Stunden ohne Kalorien holen sich Gehirn und Muskeln ihren Stoff überwiegend aus sogenannten Ketonkörpern, die in der Leber aus Fettsäuren produziert werden. Der Körper stellt auf eine Ernährung von innen um. 

Auf diese Weise normalisieren sich der Biorhythmus sowie Insulin- und Glukose-Spiegel. Dazu sinken Cholesterin, Triglyzeride und Entzündungsmarker im Blut. Die Darmflora regeneriert sich. All diese Faktoren erklären den Erfolg von Fastenkuren bei Adipositas, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes Typ 2. 

Yoga und Fasten

Unser Kohlenhydratspeicher ist begrenzt. Energie speichert unser Körper in Form von Glykogen. Glykogen wird gespeichert zu einem Drittel in der Leber und zu zwei Drittel in der Muskulatur. Weswegen es so wichtig ist, sich ordentlich zu bewegen während einer Fastenkur – sonst baut der Körper die Muskeln einfach ab. Meditation und Achtsamkeitsübungen unterstützen den Prozess des inneren Aufräumens. Neue Perspektiven ergeben sich ganz organisch im Laufe einer Fastenkur. 

Fasten und Rheuma

Besonders gut wirkt die Kombination von Fasten und Yoga bei Erkrankungen wie Rheuma. Unzählige globale Studien haben dargelegt, wie heilsam Fasten bei Patient:innen wirkt, die an Rheuma leiden. Berühmtester Rheumapatient des letzten Jahrhunderts war der Sanitätsoffizier Dr. Otto Buchinger, der im Ersten Weltkrieg 1918 an schwerem Gelenkrheuma erkrankte und sich schließlich, als keine der damals gängigen Methoden gegen die Schmerzen half, auf Rat eines Laien eine dreiwöchige Fastenkur verordnete. Als seine Schmerzen verschwanden, begann er die Wirkung des Heilfastens immer tiefer zu erforschen und erfand das „Buchinger Fasten“. Bei Fastenkuren nach Buchinger standen Bewegung und Spaziergänge schon bald auf dem Programm, Yoga dagegen erst seit kurzem. 

Falls ihr es noch genauer wissen wollt: Während des Fastens wird keine tierische Nahrung und somit auch keine Arachidonsäure aufgenommen. Diese Säure ist eine ungesättigte Fettsäure, die nur in tierischer Nahrung enthalten ist, ganz besonders viel davon übrigens in Schweinefleisch. Sie ist deshalb so bemerkenswert, weil sie die Ausgangssubstanz für entzündungsfördernde Botenstoffe bildet, sogenannte pro-inflammatorische Prostaglandine. Im Fasten wird nicht nur das innere (viszerale) Bauchfett vermindert, welches bei Übergewicht geradezu als idealer Tummelplatz und Ursprungsort für schädliche hormonelle Botenstoffe (wie Interleukine sowie den Tumornekrosefaktor alpha) dient, die wiederum Entzündungsvorgänge begünstigen.

Bei Rheumapatient:innen lässt sich schnell eine klinische Verbesserung wie das Abschwellen der Gelenke sowie eine Schmerzlinderung beobachten. Laboruntersuchungen belegen eine Verminderung der entzündlichen Aktivität im Körper während des Fastens. Entscheidend ist aber, wie es danach mit deinen Ernährungsgewohnheiten weitergeht. Hier kannst du dich informieren, wie wichtig die richtige Ernährung ist. 

Ähnlich positiv wirkt sich das Fasten auch bei Arthrose aus, da degenerative Vorgänge genau wie entzündliche Prozesse stark mit der Ernährung zusammen hängen.

Yoga hilft dabei noch in einer anderen Weise. Fasten können wir auch als Praxis des Pratyahara verstehen, als Zurückziehen der Sinne. Statt tausend Dinge gleichzeitig zu erledigen in Seelenruhe Tee kochen. statt Netflixen können wir nach innen hören, statt "Harry und Meghan" zu sehen meditieren. Machen die übrigens auch.  


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Fazit – Fasten als Reset 

Es geht beim Fasten nicht ums Abnehmen. Das wird auch passieren, der Fokus liegt aber darauf, Körper und Geist eine Pause einzuräumen. Anders gesagt, es geht um einen Reset. Um einen Reset in unserem ganz persönlichen Leben, aber auch einen Reset in der Art und Weise, in der wir mit unserer Umgebung umgehen, und schließlich auch der Art und Weise, wie wir mit unserem Planeten umgehen. 

PS: Wann ist es gut zu fasten und wann nicht? Fasten ist ein bisschen wie Urlaub. In diese Ruhepause einen kritischen Job mit Deadline zu schieben, ist keine gute Idee. Dramatische Veränderungen (Trennung? Karriere? Umzug nach Honolulu?) bitte auch nie während des Fastens entscheiden, sondern – wie es Alexander der Große angeblich gemacht hat – vor großen Entscheidungen fasten.

PPS: Und warum soll Fasten nun subversiv sein? Ganz einfach: Weil wir uns nicht länger einer Konsumwirtschaft beugen, mit der wir mehr verbrauchen als es unsere Erde hergibt. 

Kristin Rübesamen
Kristin Rübesamen

Kristin Rübesamen ist zertifizierte Jivamukti- und Om-Yoga-Lehrerin. Sie hat über ein Jahrzehnt in New York und London gelebt und ihre Ausbildungen noch bei Sharon Gannon und David Life (Jivamukti) und Cyndi Lee (Om Yoga) persönlich gemacht. Als Yoga-Aktivistin, Chefredakteurin von YogaEasy und Yogalehrerin unterrichtet sie seit fast 20 Jahren einen sehr konzentrierten, gleichwohl herausfordernden Stil. Sie ist Autorin von „Alle sind erleuchtet” und „Das Yoga-ABC” .

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