
Keep the fire burning: Burn-Out bei Yogalehrenden
Bärbel war am Ende. Mit dem Geld ihrer Tante, einem kleinen Kredit und dem unerschütterlichen Glauben, dass sie es schaffen würde, wenn sie nur fest genug daran glaubte, hatte sie in einer hessischen Kleinstadt ein kleines Yogastudio eröffnet. Eigenhändig strich sie die Wände des ehemaligen Blumenladens, nähte Vorhänge, die den Übungsraum vor den Blicken der Vorbeigehenden schützten, schleppte vom Baumarkt Holz für ein Schuhregal heran, montierte Waschbecken, importierte eine Buddha-Statue, die im Schaufenster thronte und abonnierte ein digitales Verwaltungstool, um ihre Studio-Mitgliedschaften zu verwalten. Sie baute mit Hilfe einer Freundin eine Webseite und heuerte für die Eröffnung eine indische Tanzgruppe an. Die ersten beiden Jahren unterrichtete Bärbel alle Stunden selbst, putzte zwischendurch und besuchte abends Kurse in angewandter Betriebswirtschaft. Die Schüler:innnen kamen erst zögerlich, aber allmählich füllten sich die Stunden und Bärbel dachte: Läuft.
Bärbel bot regelmässig Retreats an und ließ andere Lehrer:innen bei sich unterrichten. Sie gehörte zu den ersten, die zu Beginn der Corona-Pandemie auf Online-Unterricht umstellte und packte abends Päckchen mit ayurvedischem Tee, den sie „meinen Leuten“ nach Hause schickte. Lange merkte sie nicht, dass sie kaum noch ein Privatleben hatte. Abends, wenn ihre Freundinnen ins Kino oder zum Italiener gingen, unterrichtete sie. Am Wochenende machte sie Fortbildungen und auf Partys wurde sie irgendwann nicht mehr eingeladen. Egal, Alkohol vertrug sie sowieso nicht mehr. Sie war stolz darauf, sich nie zu beschweren, legte sich abends klaglos aufs Sofa, froh, die Beine ausstrecken zu dürfen, wenn es denn ging. Es gab so viel zu tun. Akribisch studierte sie die Instagram-Accounts der Konkurrenz oder brütete über den Zahlen. So sehr sie sich anstrengte, so wenig Fehler sie machte, die Wahrheit war, sie kam gerade so über die Runden.
Wie eine Schauspielerin
Unmerklich änderte sich etwas. Wenn sie vor ihren Schüler:innen saß, fühlte sie sich wie eine Schauspielerin, die immer wieder denselben Text herunterbetete. Die Frage, ob diese das auch so empfanden, quälte sie, aber wen hätte sie fragen sollen?
Im Nebenort öffnete ein neues Studio, das Aerial-Yoga anbot. Sie ging hin und fand, dass die Stoffe, in denen man hing, wie eine Pellkartoffel mieften, doch das Studio boomte, auch weil man dort mit der Urban Sports App günstiger üben konnte als bei ihr. Sie war davon ausgegangen, dass ihre Leute Qualität zu schätzen wussten, aber dieselben Leute, die übers Wochenende nach Mallorca flogen, drehten beim Yoga plötzlich jeden Cent um. Bärbel nahm die Herausforderung an. Sie heuerte neue Lehrer:innen an, bot Workshops an und Seminare über Anatomie und Atem.
Für mehrere hundert Euro Nahrungsergänzungsmittel
Sie bekam Rückenschmerzen, über die sie mit niemandem redete. Hatte regelmässig Kopfschmerzen. Ein Auge begann zu zucken. Als sie überlegte, Kakao-Zeremonien anzubieten, sagte ihre Ärztin ihr auf den Kopf zu, sie habe Burn-Out. Bärbel blieb ruhig. Was weiß schon eine Schulmedizinerin? Sie kaufte für mehrere Hunderte Euro Nahrungsergänzungsmittel und machte weiter. Sie verlor an Gewicht, kürzte den Stundenplan, unterrichtete alleine, putzte nur noch einmal die Woche, wurde immer öfter krank. Es kamen keine neuen Schüler:innen mehr, und viele der alten meldeten sich ab. Zehn Jahre nach Eröffnung des Studios musste Bärbel im Alter von 52 Jahren ihren Laden dicht machen.
In einer Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wurde untersucht, was bei Lehrenden gegen Burn-Out hilft. Burn-Out haben nämlich nicht nur Manager:innen, auch eine zweite Berufsgruppe haben die Krankenkassen ganz oben auf der Liste der Gefährdeten angesiedelt: Menschen, die im Sozialwesen arbeiten. Menschen in der Pflege, aber auch Lehrende. Ein Viertel der angehende Lehrenden leiden unter Burn-Out-Symptomen, ein Drittel schmeißt schon nach fünf Jahren, so die Studie, wieder hin. Zurück zu Bärbel.
Beruf als Berufung
Bärbel, ihr ahnt es vielleicht, gibt es nicht. Sie ist ein Konglomerat von Menschen, die mir im Laufe meiner 25-jährigen Yogakarriere über den Weg gelaufen sind oder mir geschrieben haben. Es geht um ein Fallbeispiel, das ein Phänomen illustriert, über das in der Yogawelt kaum geredet wird: Menschen, die immer tiefer in die Yogawelt eintauchen, aus ihrer Leidenschaft ein Business machten und dabei an die Grenzen ihrer physischen und psychischen Belastung gerieten. Yogalehrende sind nicht die einzigen, denen es so geht. Viele Menschen, die ihren Beruf als Berufung verstehen, blenden aus, was sie in einem „normalen“ Beruf niemals akzeptieren würden: Die schlechte Bezahlung, die ständigen Überstunden, die finanzielle Unsicherheit, die mangelnde Altersvorsorge, und nicht zuletzt der Verlust einer Vision.
Jenseits von Karriere und Verdienst
Vielleicht drehen wir den Spieß um und fragen, wie es gelingen kann, sein Leben einer Tätigkeit zu widmen, jenseits von Karriere und Verdienst, ohne dabei unter die Räder zu kommen.
Yoga als Business! Dazu werden wir ein eigenes Programm anbieten im nächsten Jahr und uns eingehend mit allen Aspekten dieses Themas beschäftigen.
Wie unterrichte ich, wenn ich müde bin?
Vorab aber eine Frage, die mir viele von euch gestellt haben: Wie unterrichte ich, wenn ich müde bin? Wie unterrichte ich auch nach Jahren so, dass mein Unterricht meine Schüler:innen fesselt? Wie schaffe ich es, meine Liebe zu Yoga inspirierend zu vermitteln und sie nicht zu verlieren?
Angst vor jedem Unterricht
Je populärer Yoga wird, je mehr Menschen Yoga unterrichten und je wichtiger Body-Mind-Techniken im 21. Jahrhundert werden, desto zentraler auch die Frage, wie nachhaltig diese Arbeit ausgeübt werden kann. Ab wann schlägt der gemütliche Trott, in dem man unterrichtet, der routinierte Blick auf die Schüler:innen um in ein banges Gefühl, nichts vermitteln zu können, in Unsicherheit bis hin in eine Angststarre vor jeder Stunde?
Wertschätzung
Wie bei jeder Beziehung ist auch unsere Beziehung zum Yoga nur dann gut, wenn wir akzeptieren, dass sie nicht in Stein gemeißelt ist. Nach dem Honeymoon kommen Jahre des intimen Kennenlernens, in dem wir Wissen und Erfahrung sammeln. Es kommen Jahre, in denen uns diese Erfahrung suggeriert, wir hätten es (was auch immer) geschafft. Es kommen Einbrüche, Zweifel, Durststrecken und irgendwann die Erkenntnis, dass die Beziehung zu Yoga wie der Yoga selbst immerzu im Wandel ist. Und dass wir wie in jeder Beziehung hinhören sollten, wenn uns unser Körper und Geist sagen, etwas ist aus dem Gleichgewicht geraten. Gerade im Yoga ist es wichtig, nicht um jeden Preis Recht behalten zu wollen. Was auch immer wir in grauer Vorzeit gelernt haben mögen, wenn die Methode nicht mehr funktioniert, sollten wir etwas ändern. Das ist aber nicht nur eine Frage des Bauchgefühls, mit dem Yogi:nis gerne operieren, sondern auch tatsächlich ein Frage der Informationen. Es geht nicht darum, hip und trendy zu sein, wenn auch nichts dagegen spricht. Es geht darum, neugierig zu bleiben, interessiert und vor allem offen. Dieses Interesse ist mal stärker mal schwächer, aber es garantiert, dass wir, wie wir etwas hölzern sagen, „in Beziehung treten“, zu unseren Schüler:innen, zum Yoga und zu uns selbst. Und zwar nicht wertend, sonder wertschätzend.
Selbstmitgefühl
Wie die Hallesche Studie zeigt, läßt sich Burn-Out-Symptomen vorbeugen. Mit einer Tugend, die uns im Yoga vertraut vorkommt: „Selbstmitgefühl“. Es ist eine in unserem Jahrhundert verknappte Ressource, die unter dem Namen „Self Care“ unsere grundlegenden Bedürfnisse zu einem vermarktbaren Produkt macht. Was selbstverständlich sein sollte, die Pause, die Beine hochzulegen, die schöne Tasse Tee werden uns als Rituale verkauft, weil wir vergessen haben, wie einfach es eigentlich wäre.
Gefährliche Schieflage
Yogalehrende stehen dabei unter besonderem Druck. Es läßt sich nicht vermitteln, dass ausgerechnet diese strahlend schönen Menschen, die – glaubt man ihrem Insta-Account – immerzu an Steilküsten im Bikini Virabhadrasana II machen, in Wahrheit Schlafprobleme haben und mit Depressionen kämpfen. Wie kann es sein, dass sie, die Expertinnen darin sind, andere ins Gleichgewicht zu bringen, selbst in gefährlicher Schieflage hängen?
Eine der Kolleginnen, die mir ihre Geschichte erzählten, sprach von ihrer Angst vor dem Unterricht. „Das Schlimmste daran ist, dass ich nicht weiß, ob die Schüler:innen merken, wie hohl mein Unterricht geworden ist. Ober ob nur ich spüre, dass ich gar nicht mehr weiß, was ich eigentlich vermitteln will. Ich bin nach dem Unterricht vollkommen alleine mit diesem Gefühl.“
Ruppige Fürsorglichkeit
Gute Beziehungen sind eine wichtige Kategorie in der Burn-Out-Prävention. Gute Beziehungen fangen an mit einer stabilen Beziehung zu uns selbst. Als schauten wir uns selbst über die Schulter, schickten uns mal früher ins Bett, verordneten uns eine Verschnaufpause, ein kumpelhaftes „Wird schon“ und eine Yoga-Praxis, die Rücksicht nimmt auf unsere jeweilige Tagesform. So wie wir es mit unseren Schüler:nnen auch machen würden.
Diese ruppige Fürsorglichkeit bewahrt uns vor endlosem Grübeln und wehleidiger Nabelschau, sie vermittelt Zuversicht und die nötige Portion Abenteuerlaune, die wir so nötig brauchen in den kommenden Jahren. Dieser Geist kann nur entstehen, wenn wir ausgeruht sind. Alles fängt auf Zellebene an. Ist das nicht toll?
Quellen:
https://www.deutschlandfunk.de/jenseits-von-karriere-und-verdienst-wenn-beruf-berufung-wird-dlf-1eea0bd2-100.html