Frauenkreis
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Frauenkreise: Was du wissen musst

Von Janine Schneider

Er ist eines der grundlegenden geometrischen Muster der Welt, taucht in weichen Wasserwellen um einen Tropfen im See auf, in den Pupillen der Augen oder weit entfernt im Universum als Saturn-Ringe: der Kreis. Er bündelt und fokussiert Energie, schafft Struktur und verbindet. So kommen wir Menschen seit vielen tausend Jahren im Kreis zusammen, um uns zu sehen und uns zu zeigen. Frauen, Männer, alle gemeinsam: Im kulturellen Leben ist der Kreis ein zentraler Bestandteil.

Aktuell lebt die alte Tradition des Frauenkreises wieder auf – vielleicht dank des Erstarkens femininer Spiritualität, vielleicht aufgrund eines Bedürfnisses nach Verbindung und Gemeinschaft? Auch immer mehr Yoginis erleben diese spirituellen Mikro-Communities, in denen authentischer Austausch und Heilung stattfinden kann, als Bereicherung und Ergänzung ihrer Yogapraxis – und nutzen sie, um sich mehr mit sich und anderen zu verbinden.

Du sehnst dich nach Verbindung unter Frauen? Selbst einen Frauenkreis zu starten ist viel einfacher, als du möglicherweise denkst. Die Grundstruktur eines Frauenkreises ist nämlich überraschend simpel – vor allem im Vergleich zu der Kraft und der Magie, die entfesselt werden können, wenn Frauen mit einer Intention zusammenkommen.

Was ist ein Frauenkreis?

Jeder Frauenkreis ist anders – so wie jede Frau anders ist. Das macht für mich zu einem großen Teil die Schönheit des Kreises aus – er wird zu dem, was die Gruppe entstehen lässt. 

So kann ein Frauenkreis zum Beispiel …

  • aus drei Frauen entstehen oder aus 13
  • eine Stunde oder einen ganzen Tag dauern
  • zu jedem Vollmond stattfinden, wöchentlich an einem festen Abend oder immer am ersten Tag des Monats 
  • Sharing Circles beinhalten Meditationen, Geschichten, Singen, Tanzen, Räuchern, Lagerfeuer, Massagen, Waldspaziergänge und alle anderen Rituale, die uns in einen bewussten Raum führen

Dabei ist ein Frauenkreis nicht wie ein normales Treffen mit deinen Freundinnen, bei dem ihr euch Dinge aus eurem Leben erzählt. Es gibt zentrale Elemente, die ihn aus- und so besonders machen. Dazu gehört zum Bespiel eine klar formulierte Intention, ein echtes Commitment oder der Fokus auf spirituelles Wachstum.

Natürlich gibt es auch Männerkreise oder gemischte Kreise, die ihren ganz eigenen Wert haben. In speziellen Frauenkreisen kann allerdings die Schwesternschaft im Vordergrund stehen und so ein Raum entstehen, in denen sich Frauen – die tagtäglich mit den Realitäten einer patriarchalen Gesellschaft umgehen – sicher, geborgen und gesehen fühlen. Themen wie Mutterschaft, Menstruation, weibliche Sexualität, Geschlechterrollen oder feminine Spiritualität finden hier Platz und können ehrlich, spielerisch, respektvoll, schamfrei und neugierig erforscht werden.

Im Kreis sind alle gleich

Ein Frauenkreis bietet also inhaltlich und formal eine Vielzahl an Gestaltungsmöglichkeiten. Ein zentrales Element bleibt aber: der Kreis an sich. So sitzen in einem Frauenkreis die Teilnehmerinnen mit Blick nach innen gerichtet nebeneinander um ein Zentrum – in dem vielleicht eine Kerze brennt, Blumen stehen, Edelsteine oder Tarotkarten liegen.

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Wenn dir das zu esoterisch klingt, fühlst du dich vielleicht in einem simplen Stuhlkreis gut aufgehoben. So oder so: Der Kreis macht möglich, dass sich alle Frauen sehen und damit spiegeln können. Er schafft energetisch die Voraussetzungen dafür, dass sich alle gleichwertig fühlen – ohne Hierarchien. Denn der Frauenkreis ist ein Ort, an dem alle Lehrerinnen und Schülerinnen gleichzeitig sind, die Verantwortung teilen und aus den Lebenserfahrungen der anderen lernen können. 

Authentizität ist dabei eine Grundvoraussetzung. Sie ermöglicht es, dass ich mit mir selbst und mit anderen tiefer gehen kann. Gleichzeitig sorgt sie dafür, dass der Frauenkreis nicht immer nur ein gemütlicher Wohlfühl-Ort mit Good-Vibes-Only ist, sondern ein Raum, in dem echte Emotionen, Zweifel, Ängste, Sorgen, Frust und Tränen ans Licht dürfen. Wie befreiend! Auch wenn es vielen erst mal nicht so leicht fällt, sich roh, echt und verletzlich zu zeigen – leben wir doch in einer Leistungsgesellschaft, die uns diverse vordefinierte Rollen vorgibt und uns vorgaukelt, wir würden erst dann akzeptiert und geliebt werden, wenn wir sie alle perfekt erfüllen. 

Doch immer wieder die Erfahrung zu machen, dass ich mit all meinen Anteilen da sein darf, genau so, wie ich gerade bin, dass ich nicht performen muss und dass ähnliche Gefühle und Gedanken auch andere Frauen im Kreis bewegen, lässt Vertrauen wachsen und hilft, Schicht für Schicht den Schleier abzulegen. Es ist unglaublich beglückend zu merken, dass viele von uns den gleichen Herausforderungen gegenüberstehen, auch wenn die individuelle Geschichte jeweils anders ist.

Frauenkreis

8 Grundprinzipien für den Frauenkreis

Damit ein solcher vertrauensvoller, annehmender Raum entstehen kann, benennen Robin Dean Carnes und Sally Craig in ihrem Buch „Sacred Circles” acht Grundprinzipien, die den Rahmen für einen Frauenkreis schaffen. Wenn du einen Kreis starten willst oder vielleicht schon Teil eines Kreises bist, können diese Impulse helfen, Struktur zu schaffen, damit echte Verbindung entstehen kann.

1. Council Sharing


Ein Redekreis, auch Council genannt, ermöglicht achtsame Kommunikation im Frauenkreis. Die Essenz besteht darin, dass eine Person spricht, während alle anderen zuhören. Dazu kann etwa ein schöner Stock, ein Stein oder eine Feder als „Redesymbol” genutzt werden. Die Frau, die es hält, hat den Raum zu sprechen und bekommt die volle Aufmerksamkeit der Gruppe. Sie wird nicht unterbrochen und kann ihre Gefühle frei aus der Ich-Perspektive teilen. 
„Council Sharing ermöglicht es unserem Spirit, durch uns hindurchzusprechen“, heißt es in Sacred Circles. „Seine simple Struktur gibt genug Ruhe und Fokus, damit Menschen auf sich selbst hören können, ihre Wahrheit sprechen und durch achtsames Zuhören geehrt und unterstützt werden können.“

2. Zuhören ohne eine Agenda


Das Zuhören ist im Frauenkreis ein aktiver Part. Das bedeutet nicht, wir müssten nicken, lächeln oder Lösungsvorschläge machen – eher im Gegenteil. Die Zuhörerinnen schaffen für die Sprecherin einen wertfreien, akzeptierenden Raum, in dem alles Gesagte einfach sein darf. Es ist egal, ob wir als Zuhörerin Gesagtes als richtig oder falsch interpretieren – unsere einzige Aufgabe ist es, aus dem Herzen ohne Agenda zuzuhören und das Gesagte als Realität der Sprecherin zu akzeptieren.    

3. Geteilte Führung


Oft kennen wir es im Job oder in der Familie so: Eine Person übernimmt die Führung und gibt den Ton an, alle anderen folgen. Manche Hierarchien machen Sinn, geben uns Halt und sind auch oft bequem. In die Verantwortung und zu persönlichem Wachstum kommen wir in solchen Strukturen aber nur bedingt. Darum üben wir im Frauenkreis die geteilte Führung. Alle bringen sich ein und übernehmen abwechselnd die Verantwortung. Das kann bedeuten, dass bei jedem Treffen eine andere Frau den Raum eröffnet, die Zeit im Augen behält oder ein Thema vorschlägt. Dadurch kommen alle Teilnehmerinnen aus ihrer Komfortzone heraus, können sich wirklich einbringen und den Frauenkreis zu ihrem Raum machen, anstatt ihn nur zu „konsumieren“.

4. Verschwiegenheit


„Der Grad an individuellem Wachstum, das in der Gruppe möglich ist, ist abhängig davon, wie viel Intimität entsteht. Und diese Intimität ist abhängig von Vertrauen.“ Dieses Vertrauen, über das Carnes und Craig in ihrem Buch schreiben, entsteht im Frauenkreis unter anderem durch die Gewissheit, dass alles Gesagte ausschließlich im Kreis bleibt. Eine Vereinbarung der Verschwiegenheit, die jede Teilnehmerin im Kreis ausspricht, erleichtert es, über intime und sensible Themen zu sprechen. 

5. Verantwortung für die eigenen Bedürfnisse übernehmen


Ein Frauenkreis kann uns darin bestärken, für uns selbst einzustehen und uns Dinge in unser Leben zu holen, die wir brauchen. Das kann bedeuten, bei einer Übung nicht teilzunehmen, die mir nicht entspricht. Oder um etwas zu bitten, etwa den Rat oder die Aufmerksamkeit der Gruppe, wenn ich das gerade brauche. Kurz: gut für mich zu sorgen – und darauf zu vertrauen, dass die anderen das Gleiche tun. 

6. Selbst-Reflexion


Mich selbst zu beobachten, immer wieder einen Schritt zurückzugehen und eine größere Perspektive einzunehmen, ist eine Achtsamkeitspraxis, die Geduld und Offenheit erfordert. Diese Achtsamkeit ist auch für Gruppenprozesse nötig: Immer wieder zu reflektieren, wo der Kreis gemeinsam steht, die Intentionen zu prüfen und das Wachstum der Frauen ins Zentrum zu stellen, formt und festigt einen gesunden Frauenkreis.

7. Fokus auf spirituelle Entwicklung


Es ist nährend, mit inspirierenden Frauen zusammenzukommen, sich gegenseitig zuzuhören und schöne Dinge zu tun – schlussendlich geht es im Frauenkreis aber um weit mehr: um das spirituelle Wachstum. Konkret um eine Vertiefung der Verbindung mit uns selbst und allem um uns herum, damit wir unseren individuellen Weg finden und mutig gehen können. Wenn unser Kreis auf dieses höhere Ziel ausgerichtet ist, verliert es auch den Schrecken, wenn es in der Gruppe zu Konflikten kommt. „True North“ ist unser höheres Selbst.

8. Commitment


Ein klares Commitment von allen Teilnehmerinnen, sich selbst authentisch zu zeigen, dazubleiben, wenn es schwierig wird und meinen Teil der Verantwortung zu tragen, ist für Frauenkreise – wie für alle spirituellen Micro-Communities – unverzichtbar. 
Wenn wir uns entscheiden, Teil eines Frauenkreises zu werden (vielleicht auch nur für eine gewisse vordefinierte Zeit), gehen wir intime Beziehungen ein, die durch Verbindlichkeit aufblühen. Immer wieder den Kreis zu wählen, bedeutet mich selbst zu wählen. Denn ein Ja zum Kreis ist ein Ja zu mir selbst.


Buchempfehlungen:

  • Christina Baldwin: Calling the Circe. The First and Future Culture.
  • Robin Deen Carnes & Sally Craig: Sacred Circles. A Guide to Creating Your Own Women’s Spirituality Group.

Janine Schneider
Janine Schneider

Janine Schneider ist freie Journalistin und Yoga-Lehrerin verwurzelt im Grünen bei Berlin. Sie liebt Themen rund um weibliche Spiritualität, ganzheitliche Gesundheit, emotionale Intelligenz und achtsame Nachhaltigkeit. In ihren Texten und Yogastunden versucht sie Brücken zu bauen zwischen den Tantra- und Yogatraditionen und modern gelebter Spiritualität.
Mehr über Janine erfährst du unter www.yoursoulspace.org und www.wortschaetze.org.