Garudasana – der Adler

Von Katharina Goßmann

Garudasana, der Adler, ist mehr als nur eine kraftvolle Balancehaltung. Ihr Name leitet sich von Garuda ab. So hieß der Adler, den der hinduistische Gott Vishnu als Reittier nutzte. Und so wie Garuda ein starker, ausdauernder Adler war, der sich gleichzeitig demütig in den göttlichen Dienst stellte – so darfst auch du dich in Garudasana sowohl stark als auch demütig fühlen. Um diesen besonderen Effekt zu erreichen, solltest du die verschlungene Asana aber achtsam und bis ins Detail korrekt ausführen. 

Die Legende von Garuda, dem himmlischen König der Lüfte

Garuda, das Reittier (Vahana) des Gottes Vishnu, symbolisiert Freiheit, Mut und Schutz. Der Legende nach war Garuda der Sohn von Vinata, einer Himmelsnymphe, und Kashyapa, einem weisen Rishi. Durch eine List seiner Stiefmutter Kadru geriet seine Mutter in Gefangenschaft. Um sie zu befreien, musste Garuda das himmlische Amrita, den Nektar der Unsterblichkeit, für die Schlangenwesen (Nagas) stehlen. Mit seiner ungeheuren Stärke, seiner blitzschnellen Geschwindigkeit und seinem scharfen Fokus überwand er unzählige Hindernisse und brachte das Amrita – allerdings bekame die Schlangen die Trank nicht, denn Vishnu griff ein und machte Garuda zu seinem treuen Begleiter. So wurde Garuda zum Symbol für Überwindung, Hingabe und unermüdliche Kraft.

Garudasana, die Adler-Haltung im Yoga: Eingeschränkte Freiheit mit tiefer Bedeutung

Beim Üben von Garudasana sind unsere Arme und Beine eng verschlungen. Fast als wären wir gefesselt. Das mag zunächst wie ein Widerspruch zum majestätischen, freien Flug eines Adlers erscheinen. Doch genau hier liegt die Essenz dieser Haltung.

  • Herausforderung & Konzentration: Die enge Verschränkung erfordert Balance und Präsenz. Wir können nicht ausweichen, müssen fokussiert bleiben und die Mitte halten – genau wie Garuda, als er sich seiner schwierigen Mission stellte.
  • Befreiung durch Stabilität: Obwohl wir uns in der Pose begrenzt fühlen, hilft sie uns, die innere Stärke zu finden, die es braucht, um auch durch herausfordernde Situationen mutig und aufrecht zu gehen. Das bewusste Atmen und die Ausrichtung der Wirbelsäule gen Himmel helfen uns, die Spannung zu halten und schaffen Raum für mentale Klarheit.
  • Transformation im Alltag: Garudasana lehrt uns, auch in Zeiten von Einschränkungen und Druck einen klaren Kopf zu bewahren. Die einengende Qualität der Asana erinnert uns daran, dass wahre Freiheit nicht in den äußeren Umstände liegt, sondern der Fähigkeit, inmitten von Herausforderungen präsent und lebendig zu bleiben.

Wenn wir Garudasana üben, verkörpern wir nicht nur physisch die Kraft des mythischen Adlers, sondern erinnern uns auch an seine spirituelle Botschaft: Bleibe zentriert, halte den Blick auf dein Ziel gerichtet und finde selbst in herausfordernden Momenten deine innere Freiheit.

Garudasana nur mit den Adler-Beinen üben

Anleitung: So führst du Garudasana aus

  1. Stehe aufrecht in Tadasana. Verlagere dein Gewicht auf den linken Fuß. Der Oberkörper ist aufrecht, die Core-Muskeln und Arme aktiv – das wirkt stabilisierend.
  2. Beuge das linke Knie leicht. Führe das rechte Bein nun vorne um das linke Bein herum und stelle die rechten Zehenspitzen links neben den linken Fuß. Der rechte Oberschenkel liegt nun auf dem linken Oberschenkel.
  3. Strecke den rechten Arm waagrecht nach vorne aus, die Handfläche zeigt nach oben. Führe nun den linken Arm unter dem rechten Arm durch, so dass die Oberarme einander berühren und die Handfläche des linken Arms nach rechts außen zeigt. Beuge den rechten Arm ab, so dass er senkrecht nach oben zeigt, und drehe die Handfläche nach links außen.
  4. Die Handflächen zeigen weiterhin in entgegengesetzte Richtungen, während du deine Arme noch enger zusammenführst und versuchst deine Handflächen aneinander zu legen. Wenn das nicht möglich ist, lege die Handrücken aneinander, bzw. den linken Handrücken an die Oberseite des rechten Arms. Hebe die Arme dann soweit nach oben, dass der rechte Oberarm auf Höhe der Schultern ist (die Schultern bleiben dabei entspannt und weit weg von den Ohren).
  5. Beuge nun deinen Oberkörper langsam und kontrolliert nach vorne – gehe dafür eventuell noch tiefer in die Knie. 
  6. Wenn dein Oberkörper deine Oberschenkel berührt (und du dich wie ein kompaktes, kleines Paket fühlst), versuche deinen rechten Fuß in der linken Wade einzuhaken. Wenn das nicht geht, lass den Fuß einfach auf den Zehen aufgestützt. Die korrespondierenden Ellenbogen und Knien sollten dabei jeweils auf einer senkrechten Linie liegen. 
  7. Nun richte den Oberkörper langsam wieder auf. Achte darauf, dass dein Gewicht gleichmässig auf alle vier Ecken des Standfußes verteilt ist, aktiviere noch mal bewusst deine Core-Muskeln und presse Arme und Beine jeweils ineinander für eine bessere Balance. Lass den Rücken lang - bitte keinen Entenpo machen! 
  8. 8. Halte Garudasana für einige Atemzüge und wiederhole die Übung dann auf der anderen Seite. 

In diesem Tutorial zeigt dir Yogalehrerin Annika Isterling, wie du Garudasana ausführst:


Wirkungen von Garudasana

Körperliche Wirkung

  • Die „Adler-Arme" öffnen den Schulterbereich und lösen Verspannungen in Schultern und oberem Rücken
  • Die Adler-Haltung stärkt die Beine, v.a. die Knöchel und die Waden. Sie kann sogar Krampfadern verhindern bzw. lindern, weil das Zusammenpressen und Anspannen von Armen und Beinen den Blutkreislauf anregt. 
  • Die Haltung wirkt erneuernd und entgiftend, da das Zusammenpressen der Gliedmaßen und „Kleinmachen” des Körpers nach dem Auflösen der Haltung den Blutkreislauf anregt und so alle beteiligten Körperteile verstärkt mit neuem Blut versorgt werden.
  • Die einbeinige Haltung trainiert das Gleichgewicht und verbessert die Körperkontrolle, sie fördert die Tiefenmuskulatur und die Standfestigkeit.

Psychische Wirkung

  • steigert Konzentration & Fokussierung, da die herausfordernde Balancehaltung mentale Klarheit erfordert
  • fördert die Fähigkeit, im Hier und Jetzt präsent zu sein
  • stärkt das Durchhaltevermögen, da es durchaus herausfordernd sein kann die Einengung in der Asana innerlich ruhig zu erfahren
  • unterstützt dabei, mit Herausforderungen gelassener umzugehen
  • hilft, negative Gedanken loszulassen und einen klaren Geist zu entwickeln

Wenn du beginnst Garudasana zu üben, wirst du dich sehr wahrscheinlich eingeengt fühlen, vielleicht sogar das Gefühl haben, du könntest kaum atmen. Wenn du dich allerdings dieser Asana stellst, kannst du ein Gefühl von großer Freiheit und Stärke erfahren.

Probiere es aus: Statt dich gegen diese Asana zu wehren, sich über sie zu ärgern, dich auf das Gefühl der Einengung zu konzentrieren, versuche ein Gefühl von innerer Leichtigkeit zu kultivieren. Nimm die Haltung an, und lass los. Richte dich auf, entspanne ganz bewusst alle Bereiche, die besonders unter Spannung stehen. Dann wirst du bald das Gefühl haben, als würdest du auf dem Wind reiten – frei und elegant wie ein Adler. 

Diese Strategie funktioniert übrigens auch im Alltag fantastisch, speziell wenn du dich eingesperrt und beengt fühlst: Nimm Herausforderungen an, pflege (innerlich und äußerlich) eine aufrechte, präsente Haltung, entspanne dich – und reite einfach auf den Stürmen des Lebens mit!

Insgesamt wirkt Garudasana dadurch stabilisierend, harmonisierend, zentrierend und hilft dir loszulassen, deine innere Mitte zu finden und dich als Herr über dein Leben zu fühlen. 

Energetische Wirkung

  • balanciert durch die Verschlingung der Arme und Beine die Energiebahnen Ida- (Mond, Ruhe) und Pingala-Nadi (Sonne, Aktivität).
  • Da der Adler viel Balance und Standfestigkeit erfordert, aktiviert die Haltung das Wurzelchakra (Muladhara). Sie fördert ein Gefühl von Sicherheit, Stabilität und Vertrauen – sowohl physisch als auch emotional. Unterstützt das Loslassen von Ängsten und Unsicherheiten. Besonders hilfreich, wenn man sich im Leben unsicher oder „wackelig“ fühlt.
  • Die starke Aktivierung der Hüften und Beine stimuliert das Sakralchakra (Svadhistana), das mit Kreativität, Emotionen und Sinnlichkeit verbunden ist. Löst energetische Blockaden in den Hüften, wo sich oft unterdrückte Emotionen manifestieren. Fördert den Energiefluss und hilft, emotionale Spannungen abzubauen.
  • Die Notwendigkeit von Konzentration und Fokus in Garudasana aktiviert das Stirnchakra (Ajna). Fördert geistige Klarheit, Intuition und die Fähigkeit, den Überblick zu behalten – wie der Adler, der aus großer Höhe alles überblickt. Hilft, sich von Verwirrung und Ablenkung zu lösen und einen klaren Geist zu entwickeln.

Vorübungen für Garudasana

Als Vorübungen sind alle Haltungen geeignet, die die Hüften und den Schulterbereich öffnen und deine Balance schulen:

  • Wenn du merkst, dass die Armhaltung schwierig ist für dich, kannst du zunächst einmal üben, die Innenseite der Unterarme zusammendrücken – die Oberarme sollten dabei auf Höhe der Schultern sein, die Hände in Gebetshaltung aneinandergelegt. 
  • Wenn du vor allem beim Verhaken der Beine Probleme hast, übe das „Kuhgesicht” Gomukhasana.
  • Wenn es dir an Balance fehlt, empfiehlt sich als Vorübung Vrksasana, der Baum.

Variationen von Garudasana

  • Um den entgiftenden, auswringenden Effekt der Asana zu verstärken, kannst du tiefer in die Knie gehen und den Oberkörper Richtung Oberschenkel absenken. Dadurch öffnest du den Bereich zwischen den Schulterblättern noch mehr und es wird leichter die Balance zu halten. 
  • Wenn du es auch nach längerem Üben nicht schaffst, den Fuß hinter der Wade einzuhaken, kannst du alternativ auch den großen Zeh gegen die Rückseite der Wade drücken.
  • Bei Gleichgewichtsproblemen kannst du dir einen Stuhl oder eine Wand zur Hilfe nehmen, um dich daran abzustützen. 
  • Für mehr Balance kannst du auch einen Fuß auf einem Block platzieren:

Garudasana mit einem Fuß auf dem Yogablock üben

  • Wenn du Probleme mit den Beinen hast, kannst du natürlich auch nur die Adler-Arme üben, zum Beispiel in anderen Haltungen wie dem hohen Ausfallschritt oder im Sitzen:

Garudasana nur mit den Adler-Armen üben

  • Und wenn du Schmerzen in den Schultern oder Ellbogen hast, kannst du selbstverständlich auch nur die Adler-Beine üben.

Ausgleichshaltungen nach der Adler-Pose

Im Anschluss an den Adler tun Utkatasana, der Stuhl und Adho Mukha Svanasana, der herabschauende Hund gut.

Kontraindikationen für Garudasana

  • Schwangere sollten Garudasana nicht ausführen, da der Bauch eingeengt wird und Sturzgefahr besteht. Eine modifizierte Version im Sitzen oder mit Unterstützung kann besser geeignet sein.
  • Bei Knöchel-, Knie- und Ellbogenverletzungen oder Schulterproblemen sollte vor Ausführung ärztlich abgeklärt werden, ob die Haltung geübt werden darf.
  • Menschen mit Schwindel oder neurologischen Problemen sollten die Haltung ggf. an einer Wand oder mit Stuhlunterstützung üben.

Vergiss nicht: Ob die Arme und Beine gut ineinander verhaken kannst, hat viel mit anatomischen Faktoren zu tun – Armlänge, Körperumfang etc. Wenn also trotz fleißigen Übens keine Fortschritte festzustellen sind, sei nicht traurig, sondern übe einfach im Rahmen deiner Möglichkeiten!

Katharina Goßmann
Katharina Goßmann

Katharina ist Mutter, Yogalehrerin und Psychologin. Bei YogaEasy ist sie das Herz der Redaktion und schreibt über Yoga, wahres Glück und Heilung. Ihre Artikel werden unter anderem im „Yoga Journal” und in der „Happy Way” veröffentlicht.