Alles über Drishtis: Guck mal, ein Fixpunkt!

Von Katharina Goßmann

Der Sanskrit-Begriff Drishti bedeutet eigentlich „Sehen“, „Auge“, „Sichtweise“. Diese Begriffe umschreiben die Bedeutung der yogischen Drishtis bereits recht gut: Hier geht es darum, den Blick und damit die volle Konzentration mit geöffneten oder geschlossenen Augen auf einen bestimmten Punkt zu richten. Dieser Punkt wird auch Fixpunkt genannt.

Wenn deine Yogalehrerin dich etwa im Baum bittet, dir ein Drishti zu suchen, dann meint sie damit, dass du dir einen Fixpunkt suchen sollst, an dem du dich dann mit deinem Blick „festhalten“ kannst. Denn durch die Fixierung des Blicks entsteht natürlicherweise eine Fokussierung des Geistes. Der Blick irrt nicht mehr hin und her, sondern hat einen festen Ort gefunden, an dem er verweilen, auf den er sich konzentrieren kann.

Tina Scheid Baum Variante

Warum brauchen wir Drishtis?

So eine Fixierung des Blickes ist natürlich besonders bei Balance-Übungen hilfreich. Denn wenn der Blick nicht hin und her wandert, muss der Körper sich auch nicht ständig neu im Raum verorten und kann so leichter das Gleichgewicht halten. Zudem verbessern Drishtis auch die Haltung der Wirbelsäule, vor allem der Halswirbelsäule.

Aber Drishtis können viel mehr als die körperlichen Aspekte einer Asana zu optimieren!

Indem sie unserem Blick eine Richtung, eine Orientierung, einen Halt geben, verhindern sie, dass wir unsere Haltung mit der Person neben uns vergleichen, heimlich auf die Uhr gucken, oder uns darüber ärgern, dass die Yogini vor uns nicht nur einen knackigeren Hintern, sondern auch die coolere Leggings hat. Denn Drishtis mit ihrer blick- und aufmerksamkeitslenkenden Funktion verhindern, dass uns Reize von außen erreichen und ablenken und unterstützen so unsere Konzentration (Dharana) und unsere Fokussierung auf unser Inneres (Pratyahara). Und wer schon mal unkonzentriert Yoga gemacht hat, weiß: Ohne Fokus ist Yoga einfach nur Gymnastik.

Wie nutze ich Drishtis richtig?

Wenn du dich auf einen Drishti konzentrierst, sollte dein Blick ganz weich und leicht verschwommen sein. Denn der Drishti soll deinen Fokus nach innen lenken – ein gestochen scharfer Adlerblick, dessen ganze Energie auf einen Punkt im Außen konzentriert ist, wäre also kontraproduktiv.

Außerdem dürfen sich Hals- und Nackenmuskulatur nie hart oder verspannt anfühlen, wenn du ein Drishti praktizierst. In diesem Fall solltest du dir ganz entspannt einen alternativen Fixpunkt für deinen Blick suchen, der dir und deinem Körper aktuell besser bekommt.

Die 9 Drishthis auf einen Blick

Grundsätzlich kann, wie oben erwähnt, ein Drishti also jeder beliebige Punkt (etwa an einer Wand) sein. Klassischerweise gibt es allerdings neun Drishtis. Vor allem im Ashtanga Yoga spielen die neun Drishtis eine wichtige Rolle, sie sind einzelnen Haltungen zugeordnet:

  Drishtis Blickrichtung
1. Angusthamadhye Drishti Blick auf den Daumen
2.  Urdhva Drishti Blick nach oben
3. Bhrumadhye Drishti Blick auf das dritte Auge (zwischen den Augenbrauen)
4. Nasagre Drishti Blick auf die Nasenspitze
5. Hastagrahe Drishti Blick auf die Fingerspitzen oder Handfläche
6.+7. Parshva Drishti Blick zur Seite (links oder rechts)
8. Nabhicakre Drishti Blick auf den Nabel
9. Padayoragre Drishti Blick auf die Zehenspitzen

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In welchen Asanas wird welcher Drishti angewendet?

1. Der Daumen – Angusthamadhye

Wenn du zum Beginn des Sonnengrußes die Hände über dem Kopf zusammenführst, kannst du deinen Blick auf deine Daumen fokussieren.

2. Nach oben – Urdhva Drishti

Beim Stuhl (Utkatasana) oder beim Krieger I (Virabhadrasana) empfiehlt sich Urdhva Dirshti, der sanfte Blick Richtung Himmel. 

3. Das dritte Auge – Brumadhye

Sich bei geschlossenen (oder halb geschlossenen) Augen auf das „dritte Auge“, also den Punkt zwischen den Augenbrauen, zu konzentrieren, ist besonders wirksam. Der Blick auf das dritte Auge, der Sitz des Ajna Chakras, stimuliert die optischen und olfaktorischen Nerven und aktiviert damit das autonome und das zentrale Nervensystem. Zudem soll es die Zirbeldrüse (Epiphyse) stimulieren, die unter anderem den Serotoninspiegel senkt und ausgleichend auf die Sekrete der endokrinen Drüsen wirkt.

Brumadhye bietet sich bei Meditationen, dem Fisch (Matsyasana) und Viparita Virabhadrasana (demütiger Krieger) an. 

Moritz Ulrich Drishti drittes Auge

4. Die Nasenspitze – Nasagre

Am häufigsten sagen Yogalehreende die Fokussierung auf die Nasenspitze wohl im herabschauenden Hund (Adho Mukha Shvanasana) an, aber auch im Handstand (Adho Mukha Vrksasana) oder bei Rückbeugen wie dem Rad (Urdhva Dhanurasana) ist Nasagre hilfreich.

5. Die Hand – Hastagre

Dieses Drishti ist so häufig wie beliebt: In der Yogastunde hören wir häufig im Dreieck (Trikonasana) die Anleitung „Der Blick geht zur Hand.“

6. und 7. „Zur (linken oder rechten) Seite“ – Parshva Drishti

Der Blick zur linken oder rechten Seite meint, dass sich der Kopf bei gerader Haltung nach links oder nach rechts dreht. Zum Beispiel, wenn im Drehsitz (Ardha Matsyendrasana) der Blick der Schulterdrehung folgt. Hier gibt es also kein spezifisches Körperteil, auf das du blickst, sondern nur eine allgemeine Richtung.

8. Der Nabel – Nabhichakra

Der Nabel ist ein weiterer Drishti, der gerne im herabschauenden Hund (Adho Mukha Shvanasana) genutzt wird.

9. Die Zehen – Padayoragre

Auf die Zehen schauen wir zum Beispiel in der sitzenden Vorbeuge (Paschimottanasa) und in der Kopf-zum-Knie-Haltung (Janu Sirsasana)

Katharina Goßmann
Katharina Goßmann

Katharina ist Mutter, Yogalehrerin und Psychologin. Bei YogaEasy ist sie das Herz der Redaktion und schreibt über Yoga, wahres Glück und Heilung. Ihre Artikel werden unter anderem im „Yoga Journal” und in der „Happy Way” veröffentlicht.