Alkohol und Yoga: Rausch ohne Promille

Von Kristin Rübesamen

Gestern war ich betrunken. Ich merkte es, als ich auf mein Fahrrad stieg und grundlos kicherte. Es war halb drei am Nachmittag, die Sonne schien verheißungsvoll und es gab etwas zu feiern. Mein Mann bestellte Wein, 0,2 Liter für sich, für mich 0,1. Das genügte.

Alkohol macht krank und doof

Jetzt, wo die Biergartensaison losgeht, wo auf Balkonen und Hinterhöfen Negronis gemixt werden und Bier gekühlt wird, wollen wir fragen, wie das Verhältnis zwischen Alkohol und Yoga beschaffen ist. Zunächst die Fakten: Alkohol ist in jeder Menge schädlich. Er erhöht langfristig den Blutdruck, was zu weiteren Erkrankungen wie Arteriosklerose, Herzinfarkt oder Schlaganfall führen kann. Alkohol enthält Kohlenhydrate und regt den Appetit an, aber nicht unbedingt auf Rohkost, sondern eher auf fettiges und salziges Essen, was genau wie Übergewicht ebenfalls den Blutdruck ansteigen läßt. 

Alkohol gelangt über die Schleimhäute im Mund, im Magen und vor allem im Dünndarm ins Blut und übers Blut in den ganzen Körper und nach kürzester Zeit auch ins Gehirn. Hier stört er das Gleichgewicht spezieller Botenstoffe, verlangsamt die Reizweiterleitung und stört so die Kommunikation zwischen den Nervenzellen: Wir torkeln, lallen, können nicht mehr richtig denken. Wir gehen aber auch mehr aus uns raus, haben weniger Hemmungen und fühlen uns freier. Genau deshalb trinken wir ja, weil wir durch die Ausschüttung von Hormonen lockerer werden, weniger Angst haben, uns mehr trauen. Zu einem hohen Preis. 

Fettleber und Essigsäure

Auch wenn wir Alkohol über die Haut ausschwitzen können, ist dies nur ein winziger Bruchteil. Die Hauptarbeit der Entgiftung hat die Leber und hier richtet Alkohol auch den größten Schaden an. Die Leber, als chemische Fabrik des Körpers, filtert unser Blut bis zu 500 mal am Tag. Alkohol wird in der Leber verstoffwechselt. Hier wird Ethanol umgebaut zu Acetaldehyd, einem Molekül, das von der Weltgesundheitsorganisation WHO als krebserregend eingestuft wurde, weil es noch schädlicher ist als Alkohol selbst. Kommt die Leber mit dem komplexen Umbau von Alkohol in Acetaldehyd zu Essigsäure und weiter zu den ausscheidungspflichtigen Substanzen Kohlenstoffdioxid und Wasser nicht hinterher, vergrößert sie sich und lagert Fette ein. Es entsteht die berühmte Fettleber, die – gerade weil sie lange unbemerkt bleibt – bei chronischem Missbrauch von Alkohol irgendwann zu Entzündungen, Vernarbungen und schließlich Zirrhose führen kann. Wird sie hingegen rechtzeitig erkannt, und auf Alkohol komplett verzichtet, kann sich die Leber zügig regenerieren. 


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Die ganze Chemie

Warum sollte uns die ganze Chemie überhaupt interessieren, wenn wir Yogi:nis doch sowieso berüchtigt sind als Spaßverderber, die keinen Alkohol vertragen? Weil Alkohol neben seinem gesundheitsschädlichen Potential noch eine weitere Eigenschaft besitzt: Er bringt Menschen zusammen, hat rituelle Funktion, ist tief in der DNA unserer Kultur eingebettet, einer Kultur, in der auch wir, sofern wir in keiner Höhle leben, zu Hause sind. 

Warum also über Alkohol nachdenken? Weil es zu den unmittelbaren Nebenwirkungen von Yoga gehört, erst weniger und irgendwann kaum noch oder gar nicht mehr zu trinken. Eigentlich kein Wunder. Wir werden durch unsere Yoga-Praxis empfindlicher in vielerlei Hinsicht, geruchsempfindlicher, geräuschempfindlicher, kritischer, wie und mit wem wir unsere Zeit verbringen, vorsichtiger mit dem, was wir konsumieren, egal, ob Essen, Kleider oder Reisen.

Sozial auffällig 

Das Risiko, durch diese wachsende Empfindsamkeit sozial „auffällig“ zu werden, sich von seinen alten Freund:innen und der Familie zurückzuziehen, ist nicht absolut, gehört aber auf die Packungsbeilage bei Yoga. Toleranz, Humor und jede Menge Großzügigkeit sind notwendig, um Beziehungen, die uns was bedeuten, nicht zu verlieren, nur weil wir immer die Doofen sind, die mit Wasser anstoßen. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht zu sehr isolieren und zu säuerlichen Besserwisser:innen werden. Andererseits liegt es an uns, den gesellschaftlichen Konsens, dass wir nur angetrunken Spaß haben können, in Frage zu stellen und den Spieß umzudrehen. Meine persische Freundin ist das größte Unterhaltungstalent, das ich kenne. Trinkt sie? Nein. (Allerdings raucht sie Kette).

Tatendrang statt Held:in spielen

Yoga hat ein besseres Rauschpotential als Alkohol, lautet meine steile These. Wenn Alkohol uns hilft, unsere Hemmungen für die Dauer des Abends abzulegen, dann tut es Yoga für unser ganzes Leben. Wenn Alkohol uns vorgaukelt, Held:in zu sein, aktiviert Yoga unseren Tatendrang substanziell. Wenn Alkohol uns dazu bringt, lustigen Unsinn zu reden, dann macht uns Yoga bewusst, dass es viel cooler ist, zu sagen, was wir denken, und nicht drumherum zu reden. Wenn uns Alkohol dabei hilft, auf der Tanzfläche mitzugrölen, tanzen wir im Yoga zu jeder Tageszeit, weil es uns so gefällt. 

Lasst uns rausgehen und tanzen und es allen zeigen, die sich an ihrem Rum Cola festhalten, um in Stimmung zu kommen, und uns für Spielverderber:innen halten. Auch Yoga kann abhängig machen, das wollen wir nicht verschweigen. Auch Yoga kann dich in einen Rausch versetzen, als seist du frisch verliebt. Auch Yoga macht süchtig. Auch Yoga kann dir, wie Patanjali behauptet, vormachen, du habest übermenschliche Kräfte, sogenannte Siddhis.

Es gibt sicher eine Schnittmenge zwischen Spirituosen und Spiritualität, zugegeben. Aber dein Bewusstsein erweitern, ohne dass es deine Leber ausbaden muss, das kann nur Yoga. 

Kristin Rübesamen
Kristin Rübesamen

Kristin Rübesamen ist zertifizierte Jivamukti- und Om-Yoga-Lehrerin. Sie hat über ein Jahrzehnt in New York und London gelebt und ihre Ausbildungen noch bei Sharon Gannon und David Life (Jivamukti) und Cyndi Lee (Om Yoga) persönlich gemacht. Als Yoga-Aktivistin, Chefredakteurin von YogaEasy und Yogalehrerin unterrichtet sie seit fast 20 Jahren einen sehr konzentrierten, gleichwohl herausfordernden Stil. Sie ist Autorin von „Alle sind erleuchtet” und „Das Yoga-ABC” .

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