Naturverbundenheit im Yoga: Die Kraft der Erde
Felix Mittermeier auf Pexels, Lucie Beyer

Naturverbundenheit im Yoga: Die Kraft der Erde

Von Janine Schneider

Natur: Ort der Verbindung

Sie ist Ort der Stille, Schönheit und Simplizität. Ein Platz, den wir aufsuchen, um raus- und gleichzeitig anzukommen: Die Natur ist für uns Menschen Sehnsuchtsort und Lebensgrundlage gleichermaßen. Gerade wir Yoginis und Yogis spüren oft einen starken inneren Sog zur Natur – denn je mehr wir uns (wieder) mit unserer inneren Natur verbinden, desto klarer wird auch der Wunsch nach Verbindung mit der äußeren Natur. 

In einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Systeme folgt die Natur klaren Gesetzen, die immer darauf ausgerichtet sind, ein sensibles Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Dabei kooperiert alles mit allem, nichts ist getrennt. Auch wir Menschen nicht – obwohl wenn es manchmal scheint, als hätten wir das kollektiv vergessen. So kann ein „tantrischer” Waldspaziergang, bei dem du ganz verbunden mit allen deinen Sinnen bist, manchmal eine Stunde auf dem Meditationskissen ersetzen.

Naturverbundenheit Yoga Erde„Du bist nicht ein Tropfen im Ozean. Du bist der gesamte Ozean in einem Tropfen”, schrieb der Sufi-Mystiker und Poet Rumi und reiht sich damit in die non-dualistische Spiritualität alter Yogatraditionen ein. Gerade heute – in Zeiten von fortschreitender Urbanisierung, Technologisierung, dem Klimawandel und der Entfremdung von unseren Wurzeln – kann die Natur zu unserem Guru werden, zur Lehrerin auf unserem Yogaweg.  

Wie im Innen so im Außen

Ist es nicht spannend, dass wir in Bezug auf unsere Essenz von der „menschlichen Natur” sprechen? Der Yoga benennt unsere wahre Natur als die Einheit mit allem, was existiert: Alles, was ich mit meinen Sinnen im sogenannten Außen wahrnehmen kann, ist intrinsischer Teil von mir.

Ein einfaches Beispiel, das dieses Prinzip verdeutlicht, ist unsere Abhängigkeit und Verbindung zum Essen:

Jeden einzelnen Tag nehmen wir Nahrung auf – idealerweise nah an ihrem natürlichen Zustand – die durch Mund und Speiseröhre in den Magen-Darm-Trakt wandert und weiterverarbeitet wird. Lebensnotwendige Nährstoffe gelangen über die Blutbahn in die Zellen. Außerdem ziehen wir aus der Nahrung Prana, die subtile Lebensenergie, die uns Vitalität verleiht. Reststoffe werden aus dem Körper ausgeschieden und können nach Umwandlung sogar als Dünger dienen. Die Energie wiederum, die wir aus der Nahrung ziehen, nutzen wir, um in der Welt aktiv zu sein – vielleicht sogar, um in unserem eigenen Garten Lebens-Mittel anzubauen.

Es zeigt sich: Die Natur ist in uns, nicht nur wir in ihr. Nichts geht jemals verloren, sondern wandelt immer wieder die Form. 

Der Ayurveda, die Schwesterwissenschaft des Yoga, die einer lebendigen Ernährung als Grundlage von Gesundheit und Zufriedenheit eine entscheidende Bedeutung zuordnet, lehrt sogar, der Mensch sei aus den fünf Elementen geschaffen. Diese finden wir von der Aufteilung in die drei Doshas oder Grundkonstitutionstypen: Das Vata-Dosha entspricht Luft und Raum, Pitta vereint Feuer- und Wasserqualitäten und Kapha setzt sich aus Erde und Wasser zusammen.


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In vielen indigenen Kulturen ist es selbstverständlich, im Einklang mit der Erde zu leben. Die Menschen spüren ihre symbiotische Beziehung mit der Natur, sind synchronisiert mit den Rhythmen, die sie umgeben. Erst wenn wir uns von uns selbst entfernen, nehmen wir unsere Umwelt als „das Außen” wahr. In unserem – im wahrsten Sinne des Wortes – natürlichen Zustand dagegen fühlen wir uns mit uns selbst und der Erde verbunden. 

Wie aber kommen wir zurück in diese Einheit, wenn wir plötzlich von außen auf die Welt schauen?

Yoga bringt dich zurück zu dir – und zur Natur

Die Yogapraxis ist einer der Wege, uns wieder als das Leben selbst zu erfahren. In der Yogatradition ist der Respekt und die Wertschätzung für die Natur tief verankert. So fördert der Sonnengruß, Surya Namaskar, zwar deine Kraft und Flexibilität – er kann aber viel mehr sein: ein Gebet mit dem Körper, um die Sonne zu ehren und ihr für ihre lebenserhaltende Kraft zu danken. Und auch in vielen vedischen Ritualen werden die Elemente wie das Feuer oder das Wasser genutzt, um in Verbindung zu kommen.


Hier zeigt dir Christiane Wolff den Sonnengruß A: 


Beim Hatha-Yoga kultivieren wir unsere Fähigkeit einfach zu fühlen, ohne Wertung wahrzunehmen, innezuhalten und uns jenseits des Körpers und außerhalb der starren Grenzen des Geistes zu erleben. Dank dieser Sensibilisierung erfahren wir uns wieder als grenzenlose Wesen, als Bewusstsein, Leben, Natur – jenseits der Form, mit der wir uns so gerne identifizieren, und die uns in einen Materialismus abdriften lässt, durch den die Natur zum „Anderen” wird, zu einem Objekt, das wir uns zunutze machen, sogar ausbeuten. Dabei wird uns die paradoxe Selbstzerstörung, die wir durch die Umweltzerstörung betreiben, plötzlich erschreckend bewusst. 

Vielleicht willst du bei deinem nächsten Ausflug die wilden Weiten der Natur als eine große, grüne Yogamatte betrachten. Denn in der Natur werden wir eingeladen, einfach zu sein – genau wie bei der Hatha-Yogapraxis. Die Natur hat keine Agenda und keinen Zeitdruck, alles entfaltet sich im perfekten Rhythmus, alles zu seiner Zeit. Sie lehrt uns Annahme, Hingabe und Präsenz. Unsere Sinne sind dabei die Tore in die Welt.

Natur: Balsam für den Monkey Mind

Yoga ist das zur Ruhe bringen der Bewegungen des Geistes, schrieb Patanjali in seinen Yogasutra (yogaś citta-vṛtti-nirodhaḥ, 1.2). Den Monkey Mind zu beruhigen und den Geist zu fokussieren gelingt uns gerade in der Natur wunderbar, oft sogar mühelos. Es ist Balsam für die Augen, mit dem Blick in die Weite zu schweifen. Es beruhigt unser Nervensystem, dem Wellenrauschen zuzuhören. Probleme, die wir wochenlang wälzen, erscheinen auf dem Gipfel eines Berges plötzlich weniger dramatisch und rücken sich in Perspektive – wie in dem bekannten Sprichwort: „Verliere dich in der Natur und du findest dich selbst.”

Naturverbundenheit Yoga Erde

Je feiner wir in unserem Wahrnehmen werden, umso deutlicher wird auch die Verbindung zur Natur für uns erlebbar: Wir spüren eine stabilisierende Kraft, wenn wir barfuß auf der Erde stehen, kommen am Ufer eines Flusses selbst in den Flow oder nehmen die transformierende Kraft des Feuers wahr, wenn wir in die Flammen schauen. Mutter Natur ist die große Heilerin – sie hilft uns in unserer hektischen Welt, wieder in die Ruhe zu kommen. Und das auf ganz unterschiedliche Art und Weise.

Die Natur als Heilerin

Gehen wir von der Grundlage aus, dass wir Teil der Natur sind, dürfen wir sie durch uns hindurch wirken lassen, um in den Zustand des Gleichgewichts zu kommen – denn sie ist konstant damit beschäftigt, Balance herzustellen.

So viele Geschenke der Natur helfen uns, unsere Selbstheilungskräfte zu aktivieren, Stress zu reduzieren und unsere Gesundheit zu stärken:

  • Dass Waldbaden das Immunsystem stärkt, Stresshormone senkt und die Vitalität steigert, ist mittlerweile wissenschaftlich belegt.
  • Rosenquarz, Jade, Obsidian: Edelsteine werden seit Urzeiten als energetische Kraftpakete betrachtet, die auf Körper und Geist einwirken können.
  • Räucherstäbchen oder ätherische Öle schaffen nicht nur ein angenehmes Raumklima, sondern wirken auch stark auf unsere Psyche, wie die Aromatherapie belegt.
  • Pflanzenmedizin wie Ayahuasca oder psychoaktive Pilze werden von indigenen Kulturen seit Jahrtausenden genutzt, um zu heilen und das Bewusstsein zu erweitern.
  • Bestimmte Kraftorte haben eine hohe energetische Schwingung und helfen uns, aufzutanken und einen Fokus zu finden.

Ist die Natur nicht fantastisch? Und dafür will sie nicht einmal etwas von uns zurück. Die Sonne geht jeden Morgen auf, egal ob wir sie grüßen oder nicht. Aber was Gaia, die Erde, braucht, ist genau der Respekt, den indigene Kulturen ihr schon immer entgegengebracht haben – Ehrfurcht vor dem Leben, wie es Albert Schweitzer nannte. Diese Ehrfurcht ist fest verankert in der Yogatradition, durch die Ethik der Gewaltlosigkeit, Ahimsa, oder in der Bhakti-Tradition, bei der es um Liebe und Mitgefühl für alle Wesen geht. Die moderne Gesellschaft legt darauf nach wie vor zu wenig Fokus – auch wenn das Bewusstsein für die Bedeutung von Umweltschutz zum Glück immer weiter wächst.

Yoga und Naturschutz gehören zusammen

Ansätze wie „Green Yoga” oder „Green Dharma” stimmen in vielen Ideen mit der Bewegung der „Deep Ecology” (Tiefenökologie) überein. Dabei geht es um mehr als Umweltschutz mit dem Ziel, die Erde weiter als Ressource nutzen können. Vielmehr wollen diese Strömungen eine Rückbesinnung, durch die wir uns wieder als Teil des Netzwerks allen Lebens verstehen und entsprechend handeln.

Wenn wir die Umwelt zerstören, zerstören wir uns selbst. Dass das keine esoterische Dramatisierung ist, zeigt sich heute so deutlich wie noch nie zuvor: Der menschengemachte Klimawandel, die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden, die Abholzung der Wälder und das damit einhergehende Artensterben fällt direkt auf uns selbst zurück. 

Für die Umweltaktivistin Joanna Macy, die fest im Buddhismus verankert ist, steht dieses destruktive Verhalten in untrennbarem Zusammenhang mit einer Identitätskrise des Menschen: „Die Krise, die unseren Planeten bedroht […], hat ihren Ursprung in einer dysfunktionalen und pathologischen Vorstellung vom Selbst. Diese entsteht durch ein Missverständnis über unseren Platz in der Ordnung der Dinge”, schreibt sie in ihrem Buch „Greening of the Self”: „Es ist der Irrglaube, dass das Selbst so getrennt und fragil ist, dass wir seine Grenzen setzen und beschützen müssen; dass es so klein und bedürftig ist, dass wir endlos Dinge erreichen und konsumieren müssen; und dass wir als Individuen, Firmen, Nationen oder als Spezies immun dagegen sein können, was wir anderen Wesen antun.” (eigene Übersetzung) Für Macy ist es die Rückbesinnung auf unsere Essenz, als Teil eines kosmischen Netzwerkes, die nachhaltiges Handeln möglich macht. 

Unsere Yogapraxis kann uns die Kraft geben, mit den Herausforderungen der Zeit umzugehen – wenn wir sie nicht allein als Feel-Good-Praxis verstehen, sondern sie nutzen, um unsere Herzen für die Dinge zu öffnen, die in der Welt geschehen, und dann aktiv werden. 

Naturverbundene Yogapraxis

Vielleicht ist es an der Zeit, die achtsame Hinwendung zur Natur als eigenen Yogaweg zu betrachten, sozusagen eine Gaia-Yogapraxis. Das kann sich durch den Einbezug der Elemente in der Yogapraxis äußern oder durch Hatha-Yoga draußen in der Natur. Es kann durch Rituale zum Ausdruck kommen, die die Erde ehren oder durch achtsam verbrachte Zeit an Kraftorten. Es kann sich zeigen, indem wir für die Umwelt aktiv werden oder uns in der Stille auf unsere innere Natur besinnen.

Jeden Moment können wir unsere Verbundenheit mit der Natur lebendig werden lassen, denn das ist unser natürlicher Zustand. Lass dich vom Wind, von der Sonne oder vom Rascheln der Blätter berühren. Du bist der Ozean in einem Tropfen.

Janine Schneider
Janine Schneider

Janine Schneider ist freie Journalistin und Yoga-Lehrerin verwurzelt im Grünen bei Berlin. Sie liebt Themen rund um weibliche Spiritualität, ganzheitliche Gesundheit, emotionale Intelligenz und achtsame Nachhaltigkeit. In ihren Texten und Yogastunden versucht sie Brücken zu bauen zwischen den Tantra- und Yogatraditionen und modern gelebter Spiritualität.
Mehr über Janine erfährst du unter www.yoursoulspace.org und www.wortschaetze.org.

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