
So modifizierst du Schulteröffner
Dein Yoga ist so individuell wie du selbst: Es gibt gute und nicht so gute Tage, um deine Schultern zu dehnen und die Vorzüge von diversen schulteröffnenden Asanas zu spüren. Jedoch gilt es an jedem Tag, achtsam zu sein und die Signale des eigenen Körpers ohne Wertung zu deuten und dann die passende Modifikation der Übung zu wählen.
Warum sind offene und gesunde Schultern so wichtig?
Sind deine Schultern nach einem langen Tag am Schreibtisch oft steif und verkrampft? Dann lass doch einfach mal sanft den Kopf einige Minuten lang kreisen. Und dann nimm auch die Schultern mit in den Flow, um sie mit aufzulockern.
Vielleicht willst du mal alle Bewegungsmöglichkeiten des Schultergelenks (Glenohumeralgelenk) ausprobieren:
- Beugung – nach vorne
- Extension – Rückkehr zur Ausgangsposition
- Abduktion – zur Seite
- Adduktion – Rückkehr in die Ausgangsposition
- Rotation – Verdrehung um die Oberarm-Achse
- und zu guter Letzt: Zirkumduktion – kombinierte Bewegungen
Und, atmest du schon tiefer, lösen sich die verspannten Stellen?
Gezieltes Dehnen in der Körperregion rund um die Schultern, Schulterblätter und den oberen Rücken kräftigt effektiv die Muskulatur und wirkt sich positiv auf den Bewegungsspielraum des gesamten Schulterbereichs aus. Mit entspannten, starken Schultern können wir uns nicht nur in alle Richtungen frei bewegen, sondern auch den Alltag voller Kraft „schultern”.
Der Schulter mangelt es nicht an Komplexität, im Gegenteil: Die Beweglichkeit und Kraft kommt aus der Rotatorenmanschette. Das sind viele kleine Muskeln, die das Schultergelenk stabilisieren und unterstützen. Das macht unsere Schultern zu wahren Superheldinnen – die auch trainiert werden möchten, um zu zeigen, was sie alles draufhaben.
Das Zitat „Yoga is not about touching your toes, it’s about what you learn on the way down” (Herkunft unbekannt) lässt sich von Vorwärtsbeugen einfach zu jeder anderen Asana-Gruppe umdeuten. Während das Ego am liebsten im Handumdrehen in den tiefsten schulteröffnenden Haltungen wäre, gilt es innezuhalten und die Yoga-Praxis als Reise zu betrachten. Mit einer guten Ausrichtung, jeder Menge Geduld, Achtsamkeit und Ahimsa dem eigenen Körper und dem Geist gegenüber kommt man dem Ziel der geöffneten Schultern genau im richtigen Tempo näher.
Schulteröffner-Modifizieren: Don't be shy – modify!
Hier kommen die zwei Hauptgründe, warum Modifizieren im Yoga nicht bedeutet, dass du die „schlechtere” Variante einer Asana machst:
Yoga ist so viel mehr als Asana
Egal mit welcher körperlichen oder geistigen Verfassung du auf deine Matte kommst, die Community empfängt dich stets mit offenen Armen und Herzen. Menschen mit Behinderungen, dicke Körper, aber auch High-Performance-Athlet:innen können Yoga machen. Obwohl mit „Yoga” meist nur die körperliche Praxis assoziiert wird, bildet Asana nur die Spitze des Eisbergs im Yoga. Das zeigt sich nicht nur darin, dass eine runde Yogastunde nicht nur Asana bietet, sondern auch Meditation, die yogischen Atemübungen Pranayama und Entspannungselemente wie Shavasana. Sondern auch in der Tatsache, dass in der wohl wichtigsten Schrift des Yoga, der Yoga Sutra von Patanjali, der Begriff „Asana” nur ein Mal auftaucht, und Patanjali primär Hinweise gibt, wie wir innere Ruhe und Klarheit finden können und wie wir uns verhalten sollten, wenn wir glücklich und gesund sein wollen auf allen Ebenen.
Natürlich ist nichts falsch damit, Asana für die Fitness zu machen, aber einen Blick hinter die Kulissen und in das Herzstück – die Philosophie des Yoga – zu werfen, ermöglicht es erst, Yoga ganzheitlich zu betrachten.
Die Asana-Praxis kann davon profitieren
Der eine Yoga-Neuling gleitet ohne mit der Wimper zu zucken in Hanumanasana, den Spagat, die andere kommt in der Vorbeuge kaum mit den Fingerspitzen an die Knie.
Wenn du Asanas nicht in ihrer klassischen Form ausführen kannst, kann das viele Gründe haben: Die Arme sind anatomisch zu kurz, vielleicht sind Sehnen verhärtet, Bauch oder Brüste im Weg oder vielleicht bist du heute (innerlich oder äußerlich) einfach sehr verhärtet. Egal, was auf dich zutrifft: Du musst dich in keinem Fall rechtfertigen und darfst ohne Wenn und Aber eine Modifikation wählen, die sich für deinen Körper gut und passend anfühlt. Statt in der „korrekten” Version einer Asana zu leiden und nicht auf die Ausrichtung zu achten, hörst du auf deinen Körper und kannst ganz genau beobachten, wo und wann du einen Stretch in deinem Körper spürst. Du kannst dich auf dein Alignment konzentrieren und tief in deinem Atem verankern, der dich stets begleitet und auch in fordernden Asanas fließen darf und soll.
Tipp für Lehrende: Sprich gerne von „Varianten” oder „Variationen” anstatt von „weiter“ oder „tiefer“. Diese einfachen Formulierungen kreieren einen sicheren Raum für alle Teilnehmenden und nehmen den Druck, performen zu müssen.
So modifizierst du deine liebsten Schulter- und Herzöffner
Regel #1 beim Modifizieren lautet: Greife immer zu Hilfsmitteln, wenn du sie brauchst!
- Blöcke bringen den Boden näher zu dir heran, beispielsweise bei kurzen Armen in Vorwärtsbeugen.
- Dein Yogagurt hilft dir dabei, Positionen zu vertiefen und länger zu halten, ohne deine Muskeln und Bänder zu überstrapazieren.
- Mit einer zusammengefalteten Decke verminderst du den Druck deines Körpers auf der Matte und unterstützt dich genau da, wo dein Körper es braucht.
Urdhva Dhanurasana, das Rad
In klassisch aufgebauten Yogastunden drückst du dich gegen Ende der Praxis in dein Rad. Urdhva Dhanurasana ist nicht nur eine starke Rückbeuge, sondern dehnt und beansprucht auch die Schultern ordentlich.
Modifikation 1: Wenn die Knie ganz automatisch auseinanderdriften und es dir schwerfällt, deine Bein- und Pomuskulatur anzuspannen, kannst du dir einen Block zwischen die Knie klemmen. Dadurch baust du automatisch Spannung bis in den unteren Rücken auf, der wiederum den Rumpf entlastet und es dir ermöglicht, in deine Schultern zu atmen und zu spüren. Spiele mit deinem Blick: Schaue zu den Fingern und versuche dann, die Halswirbel in die Verlängerung der Rückbeuge gehen zu lassen.
Modifikation 2: Dein Blick ist ebenfalls auf die Fingerspitzen gerichtet, wenn du mit dem Rücken in Richtung Wand schauend die Arme zurückstreckst und dich behutsam von einer stehenden Rückbeuge an der Wand weiter nach unten gen geöffneten Bogen bewegst. Essentiell dabei: Die Handinnen- und -außenkanten liegen fest auf der Wand auf und du drückst dich mit der ganzen Handflächen von der Wand ab. Versuche dabei, die Schultern locker zu lassen.
Halte deine Variante für ein paar Atemzüge, aber auch nur so lange, wie du die dafür benötigte Kraft aufbringen kannst.
Natarajasana, der Tänzer
Kaum eine Asana ist so „instagrammable” wie Natarajasana. In der fortgeschrittenen Variante greifen beide Arme nach hinten – eine tiefe Öffnung der Schultern – und sie greifen das Bein, das sukzessive ausgestreckt wird. Aber auch mit der einarmigen Variante, in der der Fußspann fest in die Hand gedrückt wird, sind gesunde Schultern von Vorteil, um dich in der Balance zu stabilisieren.
Warm-Up: Eine meiner Lieblingsmobilisierungsübungen für die Schultern ist das sogenannte Shoulder Flossing. Dabei greifst du einen Yogagurt, ein Handtuch oder irgendein anderes langes Stück Stoff und streckst die Arme vor dir aus. Ohne den Gurt loszulassen oder umzugreifen, kreist du die Schultern nach hinten. Es hakt? Dann lasse mehr Abstand zwischen deinen Händen. Kreise nach hinten und wieder nach vorne, bis sich die Schultern richtig schön warm und geschmeidig anfühlen.
Modifikation 1: Beim Tänzer kannst du in eine aktive Variante gehen: Flexe deinen Fuß und drücke mit gebeugtem Knie nach hinten. Die Schultern rollen nach hinten unten und die Arme ziehen in der Verlängerung in Richtung Fußgelenk. Wackeln und neu ausrichten ist völlig normal, mit regelmäßiger Übung kommt dann mehr Stabilität.
Modfikation 2: Der Gegensatz dazu ist der reguläre Tänzer, für den du auch einen Gurt nutzen kannst. Das nimmt anfangs sehr viel Druck aus den Schultern und entlastet diese, da du den Fußspann in den Gurt drückst statt in die Handfläche.
Anahatasana oder Puppy Pose/ Melting Heart Pose
In Anahatasana lässt du dein Herz in Richtung Matte schmelzen. Der Po bleibt dabei in der Luft und du legst entweder deine Stirn oder deine Brust und Kinn auf der Matte ab.
Modifikation 1: Beginne hier gerne mit einem Block unter der Stirn und halte diese Position für ein paar Atemzüge. Presse die Handflächen und alle Finger fest in die Matte, um tief in deine Schultern zu spüren. Wenn du deine Puppy Pose restorativer gestalten möchtest, kannst du auch einen Bolster zwischen deine Beine nehmen und wie bei der Variante mit dem Block deine Stirn ablegen und den Oberkörper weich werden lassen.
Modifikation 2: Für einen intensiveren Schulterstretch bringst du die Ellenbögen zusammen und dann deine Hände in Anjali Mudra. Durch die Gewichtsverlagerung nach vorne in deine Arme steuerst du zu jedem Zeitpunkt, wie tief du gehen möchtest.
Vergiss nicht: Yoga soll sich dem Menschen anpassen, und nicht der Mensch dem Yoga!