Lehn dich an: Unsere Lieblingsasanas an der Wand

Von Dana Pukowski

Bitte ich meine Yogastudent:innen an die Wand, fühlt sich das häufig an wie eine Flugzeug-Evakuierung. Das Entsetzen in den Gesichtern lässt mich dann oft an meinem Plan zweifeln. Haben aber alle ihre Yogamatte über die Notrutsche verlassen und das ungewohnte Terrain betreten, wird die Wand oft zum besten Yoga-Buddy!

Ich jedenfalls bin überzeugte Wand-Liebhaberin und setze sie unglaublich gerne als Hilfsmittel in meinen Yogastunden ein. Auch wenn es ein wenig Überwindung kostet, von der geliebten Matten-Insel ins Freie zu schwimmen – nach diesem Artikel wirst du nicht mehr ohne Wand praktizieren wollen.

Ein Plädoyer für die Wand als Hilfsmittel

Mit der Wand als Hilfsmittel kann sich die Qualität deiner Yoga-Praxis verändern. Natürlich nur zum Guten. Denn eine Wand bietet dir nicht nur Stabilität und Halt, sondern auch den nötigen Widerstand, um loszulassen. 

Die Wand …

  • als Widerstand: Unverrückbar bietet dir die Wand die Stirn! Widerstand ist Gold wert, wenn du etwa in Asanas wie der halben Pyramide, Ardha Parsvottanasana, oder im Krieger III, Virabhadrasana C, mit ausgestreckten Armen gegen die Wand drückst – um dich optimal auszurichten und an der Länge im Rücken zu arbeiten. Du kannst so kraftvoll drücken und schieben wie du möchtest, die Wand bleibt vollkommen unbeeindruckt. 
  • zur Sicherheit: Armbalancen sind für viele von uns eine Herausforderung. Die Angst vor unschönen Purzelbäumen und unkontrollierten Flick-Flacks ist manchmal übermächtig. Allein der Gedanke, dass dort eine stabile Wand dich vor dem Auf-die-Nase-Fallen schützt, wirkt Wunder. 
  • als Stütze: Slowly slowly, warum immer alles auf einmal? Balance-Standhaltungen sind komplex und alleine das Gleichgewicht zu halten, kostet an Bad-Balance-Tagen unsere gesamte Aufmerksamkeit. Alleine den Halbmond, Ardha Chandrasana, kannst du in zwei Varianten an der Wand feiern. Hier darfst du dich in aller Ruhe ausrichten, die Hüfte sortieren und dein Herz öffnen.
  • zum Loslassen: Eine Wand ist die ultimative Entspannungshelferin. Nicht selten ermöglicht sie dir erst Gelenkstellungen, die vielleicht schwer umsetzbar sind. Insbesondere beim Yin Yoga an der Wand werden Libellen auf einmal zu Lieblingsasanas und Schmetterlinge zu beliebten Hüftöffnern. Ganz nebenbei verwandelst du dich in eine lebende Quarktasche. Einfach anlehnen, nichtstun und die Schwerkraft walten lassen. 
  • als Boden-Fake: Manchmal ist der Boden keine Option. Entweder du bist zu schick gekleidet oder der Boden zu schmaddelig. Vielleicht bist du schwanger oder es fühlt sich nicht gut an, die Asana auf dem Bauch zu praktizieren. Warum nicht die Asana einfach an der Wand fingieren, um die Form nachzuahmen und trotzdem die Funktion zu spüren? Egal ob Sphinx, Ardha Bhujangasana, oder der halbe Bogen, Ardha Dhanurasana, die Wand ist deine Option zum Boden. 

Die Wand als Hilfsmittel: Yoga-Batik oder einfach nur dreckig?

Erfahrungsgemäß haben Yogastudio-Inhaber:innen das Reinweiß an ihren Wänden in dem Moment aufgegeben, als sie eröffnet haben. Das Kuscheln, Anlehnen und Festhalten fordert nämlich seinen Tribut. Liebevoll gesagt, entwickelt sich eine einzigartige Yoga-Batik. Was im Yogastudio fast eine Auszeichnung ist, wird – um es vorsichtig auszudrücken – zu Hause selten gefeiert. Da kann schon ein einziges Mal mit schwarzer, blauer, roter Yoga-Legging den gesamten Beziehungsstatus verändern. Wie du böse Überraschungen vermeiden kannst - meine Tipps für eine saubere Wand und maximale Sicherheit: 

  • Lieber ins Yogastudio: Letztlich macht es am meisten Spaß, sich auf den Wänden der Yoga-Studios zu verewigen. Nach dem Motto: „Ich war hier“
  • Helle Yogaklamotten: Weniger Farbe, weniger Drama. Je heller deine Klamotten, desto besser. Aber Vorsicht, vor allem Hände und Füße hinterlassen auf Dauer unschöne Abdrücke. Lieber Socken in der Farbe der Wand tragen. 
  • Radiergummi: Für übersichtliche Verschmutzungen kannst du die weiße Wand immer noch mit einem Schmutzradierer bearbeiten. Gibt es in Drogerien.
  • Yoga-Batik: Und natürlich kannst du dich auch einfach locker machen und deine ganz persönliche Yoga-Batik kreieren. Ist Geschmackssache...
  • Keine Türen als Wand: Obacht, Türen als Wand sind weniger stabil und vor allem nicht sicher. Wenn du sie benutzt, unbedingt abschließen, damit niemand überraschend reinkommt.

TOP 10: Unsere Lieblingsasanas an der Wand

Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich mit der Wand zu Hause oder im Yoga-Studio anzufreunden. Wir haben dir ein Potpourri aus Vorübungen, Balancen und Yin-Positionen zusammengestellt.

1. L an der Wand als Vorübung für den Handstand

Handstand an der Wand

  1. Starte im herabschauenden Hund mit den Füßen direkt an der Wand. 
  2. Stelle einen Fuß auf Höhe der Hüfte an die Wand (nicht höher, nicht tiefer). 
  3. Gib Druck auf den Fuß bis sich der untere Fuß löst, die Hüfte über den Schultern ist. 
  4. Bringe jetzt beide Beine an die Wand. 
  5. Beuge deine Beine, drehe die Oberschenkel nach innen und strecke deine Beine.
  6. Ziehe deinen Bauchnabel nach innen und oben (Keine Banane im Oberkörper!)
  7. Option: Fühlt sich das stabil an, löse ein Bein und strecke es hoch zur Decke.

Dein Benefit: Beste Vorbereitung für Handstand-Süchtige. Erst die Stabilität in der Körpermitte erarbeiten, die Welt auf den Kopf drehen und die Kraftübertragung aus den Schultern trainieren. Klappt das, ist Zeit für die Kür – die Balance. 

2. L mit Händen an der Wand als Vorübung für den herabschauenden Hund

  1. Stelle dich mit dem Blick zur Wand und bring die Hände auf Hüfthöhe an die Wand. 
  2. Lauf zurück, bis dein Oberkörper parallel zum Boden ausgerichtet ist. 
  3. Schiebe deine Hände kraftvoll gegen die Wand, aktiviere Uddiyana Bandha, bleibe stark in den Armen (keine Hängematte) und schaffe Weite im unteren Rücken. 
  4. Optional kannst du deine Beine beugen.

Dein Benefit: Freiheit für deine Handgelenke, die längste Wirbelsäule der Welt und einladende Stabilität. So wird der herabschauende Hund zum Freund. 


Bandhas: Entschlüssele deine Energie


3. Krieger III mit den Händen an der Wand als Widerstand

  1. Starte direkt aus dem stabilen L mit den Händen an der Wand.
  2. Während du weiter kraftvoll mit den Händen gegen die Wand schiebst, hebst du ein Bein zusätzlich parallel zum Boden für den Krieger III, Virabhadrasana C.
  3. Schiebe aktiv durch deine Ferse nach hinten, level deine Hüfte und drücke zusätzlich deinen Standfuß bewusst in die Erde. 
  4. Optional: Beuge dein Standbein.

Dein Benefit: Starke Schultern und ein Widerstand, der dir gleichzeitig Halt gibt, um dich gegen die Schwerkraft auszudehnen.

4. Halbmond angelehnt an der Wand

  1. Stelle dich mit deiner linken Körperseite zur Wand in Tadasana. Deine Schulter zeigt zur Wand (ca. eine Faust Abstand).
  2. Lehne dich nach vorne und bringe die Fingerspitzen deiner linken Hand zum Boden oder auf einen Block. 
  3. Verlagere dein Gewichtg auf dein linkes Bein, hebe dein rechtes Bein nach hinten an.
  4. Stapel deine Hüften und deine Schultern. Dein Gesäß berührt dabei die Wand. 
  5. Strecke deinen rechten Arm senkrecht nach oben.
  6. Erlaube dir, dich weiter anzulehnen, die Rückseite deines Oberkörpers an die Wand zu schmiegen.

Dein Benefit: Die Wand schützt deine Herzrückseite und erleichtert dir, dich mutig im Halbmond zu öffnen und von der Körpermitte aus in alle Himmelsrichtungen mit Leichtigkeit zu expandieren. Herrlich!

5. Die Pyramide an der Wand

  1. Starte in Tadasana hüftschmal mit dem Blick zur Wand.
  2. Finde den passenden Abstand zur Wand: Strecke dafür deine Arme aus und berühre die Wand mit deinen Handflächen. 
  3. Bringe deine Hände zum Becken und mache einen beherzten Schritt – wie auf Schienen – mit dem rechten Fuß zurück. Drehe und erde den hinteren Fuß 45 Grad auswärts. 
  4. Richte dein Becken auf, strecke beide Beine und aktiviere Uddiyana Bandha.
  5. Strecke deine Körpervorderseite länger als deine Rückseite und bringe deinen Oberkörper parallel zum Boden.
  6. Strecke deine Arme nach vorne aus, bring die Handflächen gegen die Wand.
  7. Schieb mit den Händen gegen die Wand und arbeite an der Länge im Rücken.

Dein Benefit: Die Pyramide an der Wand ist besonders zu empfehlen, wenn durch deine Hüften noch nicht so viel Honig fließt oder deine Beinrückseiten noch stur sind. 

6. Das große Rad mit schräg aufgestellten Blöcken an der Wand

  1. Stelle zwei Blöcke schräg (ca. 45 Grad) und schulterbreit an eine Wand. 
  2. Lege dich in Rückenlage mit dem Kopf zwischen die Blöcke nahe zur Wand.
  3. Stelle deine Füße zum Gesäß auf und bringe deine Hände auf die Blöcke. Deine Ellbogen zeigen in Richtung Decke. 
  4. Hebe dein Becken, hebe dein Herz, schiebe die Hände in die Blöcke und komme auf deine Kopfkrone. 
  5. Drücke dich hoch, strecke deine Arme, schiebe dein Herz und deine Achseln zur Wand. 

Dein Benefit: Blöcke an der Wand verändern den Winkel im Handgelenk. Du kannst so deutlich einfacher die Kraft mobilisieren, um dich hochzudrücken. Ein Gamechanger, wenn du noch nicht mit Urdhva Dhanurasana warm geworden bist. 

7. Anjaneyasana Variation „Fuß zum Gesäß“ an der Wand

  1. Starte im Vierfüßlerstand mit den Füßen zur an der Wand.
  2. Ziehe die rechte Ferse zum Gesäß und gleite mit dem rechten Knie (auf einer Decke) zurück, bis dein Fußrücken und dein Schienbein an der Wand liegen.
  3. Stütze dich mit den Händen auf, um deinen linken Fuß für einen Ausfallschritt nach vorne zwischen die Füße zu bringen (etwas ruckelig ;).
  4. Bleibe hier, aktiviere Uddiyana Bandha und entspanne dein Becken zum Boden.
  5. Optional: Komme eine Stufe höher. Stütze dich mit deinen Händen auf deinen Oberschenkel und richte dich auf. Hebe dein Brustbein, richte dein Becken auf, halte Uddiyana Bandha und schiebe deine Hände aktiv gegen deine Oberschenkel. 
  6. Optional: Richte dich weiter mit dem Rücken auf.  

Dein Benefit: Intensives Dehnungserlebnis deiner Oberschenkelvorderseite (Quadrizeps und Hüftbeuger). Ideal, um mit der Beckenkippung zu arbeiten und dein Steißbein nach unten zu verlängern.

8. Viparita Karani an der Wand

Viparita Karani an der Wand

  1. Setze dich seitlich an eine Wand, lege dich auf dem Rücken ab und lehne die Beine gegen die Wand. Gesäß und Beinrückseiten haben Kontakt mit der Wand.
  2. Deine Arme kannst du zum Körper, auf Schulterhöhe oder über den Kopf ablegen. 
  3. Erlaube dir, in dieser Haltung deine Muskulatur von Kopf bis Fuß zu entspannen. Schließe deine Augen und sinke in die Stille.
  4. Optional: Lass dir von einer helfenden Hand ein Yoga-Bolster unter dein Gesäß schieben. Mit dieser Erhöhung erfährst du die Effekte einer klassischen Umkehrhaltung (das Herz liegt höher als dein Kopf).

Dein Benefit: Viparita Karani an der Wand wirkt regenerierend und ist das Pausenbrot im Yoga. Wunderbar am Ende des Tages und wohltuend bei Rückenschmerzen. Der beruhigende Effekt der Umkehrhaltung wird verstärkt, deine Beine können nach einem langen Tag leicht werden. 

9. Schmetterling an der Wand

  1. Starte in Viparita Karani an der Wand mit oder ohne Erhöhung unter deinem Gesäß.
  2. Bring deine Fußsohlen zusammen und lasse sie entlang der Wand nach unten rutschen.
  3. Schiebe mit deinen Händen sanft deine Knie auseinander. 
  4. Erlaube dir, im Körper still zu werden und deine Gedankenpausen auszudehnen.

Dein Benefit: Der physische Fokus liegt auf der Öffnung in deiner Hüfte. Du lässt die Schwerkraft deiner Beine für dich arbeiten. Dein Nervensystem folgt von ganz alleine der Ruhe in deinem Körper, verstärkt durch die Umkehr.

10. Libelle an der Wand

  1. Starte in Viparita Karani an der Wand mit oder ohne Erhöhung unter deinem Gesäß.
  2. Erlaube dir, deine Beine zu grätschen, bis du eine Stimulation in deinen Beininnenseiten spürst.  
  3. Optional: Ist die Stimulation zu intensiv, lege dir jeweils Kissen/ Bolster unter deine Oberschenkel. 

Dein Benefit: Deine Beininnenseiten genießen eine Dehnung, die von selbst geschieht. Verstärkt durch die Umkehr beruhigt sich dein gesamtes System spürbar. 

Die Wand als Yoga-Hilfsmittel – unterschätzt, zu wenig genutzt und unterrichtet, dabei so vielfältig einsetzbar und unterstützend. Viel zu oft höre ich in Yogastunden: „Stell dir vor, da wäre eine Wand!”. Warum nur vorstellen? Warum nicht einfach ausprobieren, wie sich das mit einer echten Wand anfühlt? Lasst uns die Wand umarmen, als Stütze, als Halt, als Widerstand, als Katalysator, als Schutz. Probiere es aus – wir wünschen viel Spaß mit deinem neuen Yoga-Buddy!

Dana Pukowski
Dana Pukowski

Dana Pukowski ist Yogalehrerin, Weltenbummlerin, Projektmanagerin und war 6 Jahre Teil der YogaEasy Familie. Sie unterrichtet Meditation, Vinyasa und Yin Yoga seit mehr als 7 Jahren in Hamburg. Als Unternehmensberaterin fand sie im Yoga das wieder, was sie heute in ihren Yogastunden und Retreats teilt, den Mut zur Pause, das Nichtstun als kreative unerschöpfliche Quelle für Inspiration und Visionen. Dana bummelt um die Welt, liebt Herausforderungen als Projektmanagerin und bereichert unser YogaMag auch heute noch mit ihren yogischen Wortzaubereien.