Inklusiv und barrierefrei Yoga unterrichten

Von Dianne Bondy

Inklusives Unterrichten

Egal, ob du dir eine Übungsfolge fürs Yoga zu Hause ausdenkst oder ob du für Kursteilnehmende planst, am Anfang steht der Grundgedanke: Wie wir uns selbst und unsere Schülerinnen und Schüler auf der Matte willkommen heißen, ist entscheidend. Entscheidend ist auch, welche Worte wir wählen, um mit uns selbst und mit unseren Schülerinnen und Schülern zu sprechen. Und Yoga besteht aus so viel mehr als nur aus Asanas. Entscheidend ist, welche Möglichkeiten wir schaffen, um uns mit uns
selbst, unseren Schülerinnen und Schülern und der Welt zu verbinden.

Wir hoffen, dass dieser Artikel nicht nur für Lehrende (und diejenigen, die Lehrende ausbilden) hilfreich ist, sondern auch für all diejenigen, die ihre eigene, häusliche Yoga-Praxis vertiefen und verbessern möchten. Zuerst sprechen wir darüber, wie wir uns unserer Matte, unserem Unterricht und unseren Lernenden nähern. Dann behandeln wir, wie wir mit uns selbst und miteinander reden. Und schließlich gehen wir zur Kunst der Übungsgestaltung über.

Komm, wie du bist

Beim Yoga geht es nicht darum, sich selbst zu verbessern. Es geht darum, bei sich selbst zu sein und etwas über sich selbst zu lernen. Es geht darum, dass man in seinem momentanen Ist-Zustand vollkommen in Ordnung ist. Yoga wächst und verändert sich mit dem Üben. Nur weil man gestern etwas geschafft hat, heißt das nicht, dass man es heute schaffen kann oder muss. Und dass man heute etwas nicht schafft, bedeutet nicht, dass man es nie schaffen wird. Jede Übung und jede Haltung ist einzigartig.
Du kommst nach langer Zeit zum ersten Mal wieder auf die Matte? Großartig! Willkommen zurück.

Egal, wie lange deine Auszeit war, Yoga ist immer für dich da.

Alle Lernenden willkommen heißen

Es ist gar nicht so leicht, einen dauerhaft geschützten Raum zu schaffen, in dem Lernende das Yogaüben genießen und sich dadurch auch verwandeln können. Lehrende müssen dafür sorgen, dass die Yogastunde nicht nur körperlich, sondern ebenfalls emotional keine Gefahr darstellt. Menschen mit größerem Körper, mit fortgeschrittenem Alter, mit Migrationshintergrund, mit unterschiedlichen körperlichen Fähigkeiten – eigentlich alle Lernenden – können in Yogakursen stark verunsichert sein. Das Gefühl, nicht dazuzugehören, kann beängstigend sein. Deshalb besteht der erste Schritt darin, alle willkommen zu heißen! Begrüße jede Schülerin und jeden Schüler, unterstütze sie und ermutige sie, den Unterricht zu besuchen. Willkommenskultur schafft die Voraussetzung dafür, dass im Kurs eine Atmosphäre des Verständnisses und der Wertschätzung für unterschiedliche Körpertypen und Fähigkeiten entsteht.


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Zehn Maßnahmen, um einen geschützten Raum zu schaffen

1. Falls du vorhast, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe anzusprechen, solltest du spezielle Kurse für diese Bevölkerungsgruppe anbieten (Yoga für größere Körper, Queer Yoga, Senioren-Yoga und dergleichen). Kursangebote für bestimmte Zielgruppen gewährleisten, dass sich alle Lernenden gesehen, einbezogen, willkommen geheißen, gefeiert, repräsentiert und zum Üben ermutigt fühlen.

2. Praktiziere Swadhyaya, das heißt, widme dich dem Studium des eigenen Selbst. Übe dich in Selbstreflexion, um deine eigenen Vorurteile gegenüber Körpern aufzuspüren, die sich von deinem eigenen unterscheiden. Wie wirken sich deine persönlichen Vorurteile in Bezug auf Geschlecht, Körpergröße oder ethnische Zugehörigkeit auf deinen Unterricht und das aus, was du über Yoga vermittelst? Was kannst du ändern, wenn du bei dir Vorurteile feststellst?

3. Plane den Unterricht. Erscheine vorbereitet zur Yogastunde. Du weißt nicht, wer möglicherweise kommt, und du musst vielleicht vom Plan abweichen. Aber es ist immer gut, einen Plan haben – und oft auch ein Thema. Für die Lernenden ist es schön, eine Botschaft mitnehmen zu können, die sich auf ihr Leben bezieht und die ihnen den Geist der „Selbsterkenntnis” durch Körperarbeit nahebringt. Das erinnert sie daran, dass Yoga mehr ist als nur die Haltungen.

4. Sorge dafür, dass sich die Lernenden willkommen fühlen – besonders die Neuen. Lächle sie an und beginne das Gespräch, indem du dich vorstellst. Lade sie in den Übungsraum ein. Versichere ihnen, dass sie bereits alles richtig gemacht haben, indem sie einfach zum Unterricht erschienen sind.

5. Merke dir die Namen aller Lernenden und zeige, dass du angemessenen Wert darauf legst, ihre Namen richtig auszusprechen. Das ist wichtig für die Schülerinnen und Schüler. Es ist auch wichtig, sich über ihre Pronomen kundig zu machen und sie zu verwenden (zum Beispiel sie/er, er/er, sie/sie).

6. Lies die Anmeldeformulare der Lernenden, sei freundlich und offen und gib ihnen den Raum, um über Schwierigkeiten oder Bedenken zu sprechen. Lege dabei den Fokus immer darauf, was der Betreffende kann.

7. Pflege Beziehungen. Eine neue Schülerin oder einen neuen Schüler kannst du einer etwas erfahreneren Person oder gleich dem ganzen Kurs vorstellen. Lasse die erfahrenere Person Hilfsmittel für die neue Schülerin oder den neuen Schüler holen, ihr oder ihm das Studio oder den Weg zur Toilette zeigen. Ziel ist es, eine warme, einladende Atmosphäre zu schaffen und die Lernenden zum Erfahrungsaustausch zu ermutigen.

8. Vorverurteile niemals Teilnehmende oder ihre Situation. Das ist zugegebenermaßen schwer. Urteile zu fällen gehört zu unserer Natur. Deshalb musst du auf dich selbst achten. Finde heraus, was dich an anderen stört, und mache diese Selbsterforschung zu einem wesentlichen Teil deiner Yoga-Praxis. Du kannst anhand der körperlichen Erscheinung überhaupt nicht erkennen, wozu jemand fähig ist. Nur weil ein Mensch umfangreicher, älter oder körperlich anders ist, heißt das nicht, dass er oder sie eine Übung nicht machen kann.

9. Sage, was du meinst. Sprich deutlich, laut und langsam.

10. Fasse deine Anweisungen in einfache Worte. Wir raten davon ab, Anweisungen zu verkomplizieren. Und lasse Lernenden lieber etwas Raum, um eigene Erfahrungen zu machen.


In dieser Episode des YogaEasy-Podcasts „Besser Leben mit Yoga“ spricht Kristin Rübesamen mit den Yogalehrerinnen Isabelle Rivera und Elisa Braun über geschützte Räume für BIPoC in der Yogawelt, fehlende Selbstreflexion der Weißen und warum Yoga immer auch politisch ist. 


Die Wirksamkeit bewusster Sprache

Bei der Frage, wie du dich selbst und andere auf der Matte begrüßen kannst, empfehlen wir dir, besonders auf die verwendete Sprache zu achten. Achte deinen Körper und dein Yoga und achte deine Schülerinnen und Schüler.

Manche Yogalehrende sprechen von der „vollen Haltung”, wenn sie die „klassische” oder „typische” Variante einer Haltung meinen – also die am häufigsten fotografierte. Diese Ansicht und die Wortwahl dafür ist sehr irreführend und gilt zunehmend als veraltet. Wir finden, dass dieser Ausdruck den Blick darauf verengt, wie eine Haltung am eigenen Körper aussehen müsste. Der innere Monolog im Kopf des Übenden kann dadurch von Selbstzweifeln, Selbstkritik und Selbstverurteilung befallen werden, wenn sich Gedanken wie „Das schaffe ich nie” einschleichen. Wie wäre es, wenn wir die Perspektive wechseln und anerkennen, dass „der vollkommene Ausdruck der Haltung” nur der eigene, einzigartige, perfekte Ausdruck an diesem einen Tag sein kann?

Statt auf einengende Formulierungen wie den „vollkommenen Ausdruck der Haltung” zurückzugreifen, solltest du lieber vom „individuellen Ausdruck der Haltung” sprechen. Verschaffe dir selbst oder anderen Lernenden die Freiheit, diese Vorstellung zu erkunden. Ermutige sie, sich selbst kennenzulernen, indem du positive Wörter verwendest: die Haltung erfühlen, erkunden oder sich aneignen. Lasse alle das tun, was sich in ihrem Körper gut anfühlt.

Tipps für die Sprache im Unterricht

  • Vorsicht vor geschlechtsspezifischen Ausdrücken wie „liebe Freunde”. Verwende lieber inklusive Sprache wie „liebe Leute” oder „ihr Lieben”. Wenn du spezielle Varianten für Schwangere anbietest, solltest du bedenken, dass sich nicht alle Schwangeren als Frauen identifizieren. Meide Stereotype wie „Frauen sind tendenziell intuitiver...” oder „Männer sind tendenziell ehrgeiziger...”.
  • Bezeichne abgewandelte Haltungen als Haltungsvarianten, die für alle vorteilhaft sein können, nicht als zweitrangige Versionen.
  • Nicht vergessen: Die Worte, die wir als Lehrende verwenden, können Lernende ermächtigen oder auch demütigen. Verwende keine Befehle, sondern einladende Formulierungen, um Haltungen durchzugehen. Im Zweifelsfall ist mehr Freundlichkeit das Richtige.

Mit Körper-Positivität gegen Körperscham
Inklusiv und barrierefrei Yoga unterrichten

Viele Menschen, darunter Seniorinnen und Senioren, Anfangende, People of Color, Menschen mit Behinderungen und beleibtere Menschen, empfinden möglicherweise Scham, wenn sie mit Yoga beginnen. Dem begegnen Lehrende idealtypisch dadurch, dass sie das betonen, was die Personen können – und nicht das, was sie nicht können. Indem wir das Bewusstsein wieder auf das lenken, was in der Yogastunde geschafft werden kann, und uns auf die Idee des „Erkenne dich selbst” konzentrieren, unterstützen wir die Lernenden, daran zu denken, dass jeder Mensch sein eigener bester Yogalehrer ist.

Dazu gehört auch, die Lernenden daran zu erinnern, dass sowohl die Bilder, die sie in den Medien sehen, als auch die anderen Übenden um sie herum keinesfalls das widerspiegeln, was sie selbst beim Yoga erreichen oder nicht erreichen können. Um eine diverse Lerngruppe zu unterrichten, müssen wir möglichst mit allen Personen im Raum Kontakt aufnehmen, und zwar so, wie sie sind. Nicht alle werden darauf eingehen, aber unserer Erfahrung nach machen mehr und mehr Leute mit, wenn man offen, ehrlich und authentisch bleibt.

Inklusiver, barrierefreier, progressiver Unterricht

Als Lehrende wollen wir die Lernenden dort abholen, wo sie sind – aber wir wollen sie nicht dort lassen! Als Yogalehrende dürfen wir nicht vor körperlich herausgeforderten Lernenden zurückschrecken. Stattdessen sollten wir jede solche Erfahrung als Gelegenheit nutzen, mehr über Yoga, über die Übenden und mehr über uns selbst zu erfahren. Wir sollten auch bedenken, dass Kurse, die für alle offen sind, nicht für alle gut sind. Mit kleineren privaten oder halbprivaten Kursen ist manchen Interessierten besser gedient. Um wirklich mit allen Lernenden arbeiten zu können, müssen wir die häufig auftretenden Hindernisse verstehen, mit denen es Lernende in einem gemischten, inklusiven Yogakurs zu tun haben.

Zu diesen Barrieren gehören:

  • Der Zugang zu bestimmten Haltungen ist durch Brust, Po, Oberschenkel und andere größere Körperteile eingeschränkt
  • Gehemmtheit und Angst vor Bloßstellung
  • Furcht davor, die Haltungen nicht einnehmen zu können
  • Bewertung des eigenen Könnens (durch sich selbst, andere Lernende oder Lehrende)
  • unangemessene Kommentare über Geschlecht und Kultur, einschließlich geschlechtsspezifischer Anleitungen
  • Musiktexte (mit Schimpfwörtern, zwielichtigen kulturellen Anspielungen oder sexistischen Ausdrücken)

Um diese Hürden umschiffen zu können, kannst du das Yogaüben nutzen, um eine bewusstere Lehrerin oder ein bewussterer Lehrer zu werden. Schaue dir die Lernenden an und achte darauf, was du von ihnen verlangst und wie du sie dazu aufforderst. Versetze dich in ihre Lage. Auch solche Erfahrungen, die sich von deinen eigenen unterscheiden, sind real und gültig. Es ist einfach, in den „Lehrendenmodus” zu wechseln oder den Autopiloten einzuschalten. Aber eine richtig gute Lehrerin oder ein richtig guter Lehrer wirst du, indem du dich erdest und selbst präsent bist.

Die Macht der Hilfsmittel
Inklusiv und barrierefrei Yoga unterrichten – Trikonasana Variante mit Stuhl

Hilfsmittel können das Yogaüben für alle Beteiligten gleichzeitig leichter und intensiver gestalten. Sie können aus exklusiven Kursen inklusive machen. Bringe deinem Kurs bei, dass man sich mit Hilfsmitteln eine Haltung erschließen kann, dass sie den Körper stützen und letztendlich das Wohlbefinden während der gesamten Yogastunde verbessern können. Du wirst staunen, wie vielfältiger und inklusiver ein Asana-Kurs mithilfe von Hilfsmitteln werden kann – besonders im Hinblick auf die Bedürfnisse verschiedener Körpertypen.

Hier sind unsere vier Lieblingstipps zum wirkungsvollen Einsatz von Hilfsmitteln:

1. Etabliere und normalisiere die Verwendung von Hilfsmitteln. Bitte alle Teilnehmenden, sich vor Unterrichtsbeginn mit Hilfsmitteln auszustatten – auch die, die glauben, dass sie keine brauchen. Schlage ihnen vor, die Haltungen auch mit Hilfsmittel auszuprobieren und zu sehen, wie sich das anfühlt. Bringe dem ganzen Kurs bei, dass Hilfsmittel Erweiterungen sind und keine „Krücken”.

2. Bringe allen den Umgang mit unterschiedlichen Hilfsmitteln bei, damit sie sie auch in anderen Kursen oder zu Hause sicher verwenden können.

3. Experimentiere am eigenen Leib mit neuen und innovativen Einsatzmöglichkeiten für Hilfsmittel, während du den Unterricht planst.

4. Unterrichte als Erstes die mit Hilfsmitteln „modifizierte” Variante der Haltung. So normalisierst du den Hilfsmitteleinsatz und schließt niemanden aus.
Inklusiv und barrierefrei Yoga unterrichten – Taube mit Bolster

Übergänge

Unerfahrene, ältere oder mehrgewichtige Menschen können Probleme mit dem ständigen „Rauf und Runter” des Yogaübens haben. Indem man diese Übergänge im Unterricht minimiert, macht man ihn für alle zugänglicher und angenehmer.

Einer der schwierigsten Übergänge für beleibtere und neue Übende ist der, bei dem man, meist aus dem herabschauenden Hund heraus, einen Fuß zwischen den aufgestützten Händen nach vorn setzt, um in den Ausfallschritt oder in den Stand zu kommen. Menschen mit steifen Hüften und/oder größerem Bauch, Oberschenkeln oder Brüsten haben oft Mühe, diesen Übergang reibungslos durchzuführen. Die beste Lösung ist hier die „Schritt-nach-hinten-Methode”, bei der den Lernenden die Möglichkeit gegeben wird, in die Vorbeuge zu gehen und dann einen Fuß nach hinten zu setzen, anstatt im herabschauenden Hund einen Fuß nach vorn zu holen.

Ähnlich wie beim „Schritt-nach-hinten-Übergang” kann man auch in eine breitbeinige Vorbeuge übergehen, mit zur Längsseite der Matte zeigenden Zehen. Von dieser standfesten, leicht zugänglichen Basis aus können Lehrende und Lernende gut in seitlich ausgerichtete Haltungen (wie Krieger II, seitlicher Winkel, Dreieck oder Halbmond) gelangen.


Yoga Programm X-Large für Füllige


Zusammenfassung: Die wichtigsten Tipps

Hier unsere drei wichtigsten Tipps für großartigen Unterricht auf jedem Niveau:

1. Stelle deine Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt.
2. Sei mitfühlend.
3. Achte auf deine Sprache.


Inklusiv und barrierefrei Yoga unterrichten Buchcover Every Body`s Yoga

 

 

 

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem wunderbaren Buch „Every Body's Yoga” von Dianne Bondy, erschienen im riva Verlag.

 

 

 

Dianne Bondy
Dianne Bondy

Dianne Bondy ist Yogalehrerin mit Herz und Seele. Sie unterrichtet nicht nur, sondern gibt auch Aus- und Fortbildungen in Yoga. Zudem setzt sie sich für soziale Gerechtigkeit und Inklusion ein und überträgt ihr Credo „Yoga ist für alle da” auch in ihre Yogapraxis. Sie ist Mitbegründerin der Yoga-for-all-Bewegung und schreibt regelmäßig Beiträge für namhafte Fachjournale und Magazine.

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