Green Yoga: Yoga und Umweltschutz

Von Janine Schneider

Yoga ist Verbindung

Ich erinnere mich noch genau daran, wie kläglich meine ersten Versuche Vegetarierin zu werden scheiterten. Damals, vor etwa 15 Jahren, war eines meiner liebsten Gerichte Spaghetti Bolo. Jeden Sonntag traf ich mich mit meiner besten Freundin Julia zum Filmabend, wir kochten, sprachen über das Wochenende, lachten und aßen unser Hackfleisch. Doch dann erfuhr ich immer mehr darüber, wie Tiere gehalten und getötet werden, um auf meinem Teller zu landen. Ich war schockiert und fasste den Entschluss, meine Kauf- und Essgewohnheiten umzukrempeln, damit kein Tier mehr wegen mir leiden musste. Doch obwohl ich einiges an Disziplin aufwendete, dauerte es etliche Jahre bis ich meine Finger von der Bolo lassen konnte.

Wahrscheinlich fragst du dich gerade, was meine Sonntagabend-Gestaltung mit Yoga zu tun hat. Die Antwort: Am Ende waren nicht die schlimmen Bilder, die vielen Gespräche mit meinen veganen Freund:innen oder die harten Fakten über das Tierleid ausschlaggebend für meine Wandlung zur Vegetarierin – sondern meine Yogapraxis. Je tiefer ich mit Yoga in Kontakt kam und dadurch mit mir selbst, umso natürlicher und leichter wurde es für mich, kein Fleisch mehr zu essen. Plötzlich brauchte ich dazu keine Disziplin mehr – das Verlangen nach Fleisch war einfach weg.

Das war meine erste Erfahrung mit dem „Green-Yoga-Effekt”. 

Veränderung beginnt immer in dir

Innerer Wandel löst Veränderung im Außen aus. Vielleicht hast auch du schon erlebt, wie sehr eine regelmäßige Yogapraxis Entwicklung und Veränderung initiieren und begleiten kann. Damit meine ich nicht, dass du wieder deine Zehen aus dem Stand berühren kannst. Sondern von einem neuen Zugang zu dir selbst, der dir hilft mit deiner Umwelt in Kontakt zu kommen: Unsere Beziehungen zu Mitmenschen verändern sich, wir schauen mit wacheren Augen in die Außenwelt, nehmen die Natur anders wahr, und – Achtung, jetzt kommt das Schlüsselwort – spüren plötzlich die Verbundenheit von allem und allen.

Green Yoga bedeutet für mich, aus erfahrener Verbundenheit heraus im Einklang mit der Natur zu leben. Dazu gehört ein inneres Wissen, dass ich in einem Netzwerk eingebettet bin, in dem jede Handlung Wellen bis in die äußerste Peripherie schlägt. „Indem wir selbst uns in Richtung stärkerer Selbst-Transzendenz verändern – Ausdruck findend in Achtsamkeit, Ehrfurcht vor dem Leben und aktivem Mitgefühl für alle Wesen – werden wir zunehmend fähig, diese Welt zum Guten zu verändern“, schreibt Georg Feuerstein, dessen Buch „Green Yoga” ein Plädoyer für die Untrennbarkeit von Yoga und Umweltbewusstsein ist. 

Green Yoga als spiritueller Aktivismus

Jeden Tag sterben etwa 150 Pflanzen- und Tierarten aus. Jeder Mensch nimmt laut WWF-Bericht aufgrund der Verschmutzung der Erde, der Meere und des Grundwassers durch Müll durchschnittlich etwa fünf Gramm Plastik pro Woche in seinen Körper auf – das Äquivalent einer Kreditkarte. Zwei Millionen Tiere enden in Deutschland täglich auf der Schlachtbank. Gleichzeitig sterben laut UNICEF jährlich mehr als eine Million Kinder an Mangelernährung

Wenn wir ehrlich sind, kennen wir diese und andere eklatante Missstände schon lange, und es ist nicht so, dass es keine Alternativen gäbe. Diese Beispiele zeigen: Wir müssen handeln. Es braucht politisches Umdenken und Umlenken und ein neues Wirtschaftssystems, das den Menschen und die Umwelt im Zentrum verortet – und nicht Profite. Grundlage dafür ist eine Rückbesinnung auf nachhaltige Werte – Respekt (vor allem für das Leben), Empathie (mit anderen Lebewesen und der Umwelt), Dankbarkeit (für das, was ich habe), Verantwortungsbewusstsein (für mein Handeln und meinen Impact) und Mut (andere Wege zu gehen, als es mir eine kapitalistische Gesellschaft diktiert).

Wir leben in einer anderen Zeit als noch vor 100 oder 1.000 Jahren und sind mit multiplen Krisen konfrontiert, die unsere menschliche Existenz hier auf der Erde bedrohen. Es macht Mut zu sehen, wie viele Yoginis und Yogis eine Brücke Brücke zwischen Yoga und Umweltschutz schlagen – für die Nachhaltigkeit nicht nur ein Wort, sondern eine echte Lebensphilosophie ist.


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Was sind die philosophischen Grundlagen von Green Yoga?

Auch wenn die Welt, in der wir leben, komplexer ist als jemals zuvor, werden Politik und Wirtschaft von Individuen bestimmt – und jede Handlung von jedem dieser Individuen hat Folgen. 

Yoga gründet im System des achtgliedrigen Pfades von Patanjali auf den Yamas und Niyamas, fünf Richtlinien im Umgang mit der Umwelt und fünf ethischen Grundsätzen im Umgang mit uns selbst. Das erste Yama etwa, Ahimsa, übersetzt: Gewaltlosigkeit oder Nicht-Verletzen, ist im Kontext von Yoga und Umweltbewusstsein wohl am griffigsten und spielte damals bei meiner Intention, Vegetarierin zu werden, eine große Rolle. Aber auch Asteya, Nicht-Stehlen, gehört zum Green Yoga: Jeden Tag stehlen wir von der Erde, wenn wir mehr Ressourcen verbrauchen, als wir benötigen. Damit zusammen hängt auch Aparigraha, Nicht-Horten oder Mäßigung. Santosha, die Zufriedenheit, ist das absolute Gegenmittel zu Überkonsum und Svadhyaya, das Selbststudium, macht es uns überhaupt erst möglich, eigene destruktive Verhaltensweisen aufzudecken und dann jenseits von rigiden Selbstoptimierungsansätzen oder Schuldzuweisungen die richtigen Schritte zu gehen.

Apropos richtige Schritte: Was heißt es dann konkret, ein:e Green Yogi:ni zu sein?

Wie setze ich Green Yoga im Alltag um?

Absolutheitsansprüche und erhobene Zeigefinger sind selten hilfreich, wenn es um nachhaltige Veränderung und positiven Wandel geht. Den einen richtigen Weg gibt es nicht. Wir leben in unterschiedlichen Kulturen und Strukturen, sind verschieden geprägt aus der Kindheit und haben einen anderen Wissenstand – und außerdem unser ganz eigenes Karma im Gepäck.

Wenn wir diese unterschiedlichen Ausgangslagen im Hinterkopf behalten, kann all das Green Yoga sein:

  • Der Natur mit Respekt begegnen: Mit offenen Augen durch die Welt gehen, langsam und bewusst. Innehalten und Bäume und Pflanzen wirklich wahrnehmen, die Elemente spüren, mit Tieren in Kontakt gehen. Eine Blume nicht einfach achtlos pflücken oder eine Spinne töten, sondern alle Lebewesen achten.
  • Genügsam und dankbar für die Natur sein: Die Erde ist kein Ressourcenlager, von dem wir uns maßlos bedienen können. Überkonsum ist ein klassisches Symptom einer Gesellschaft, die ihren Wert an materiellen Dingen misst. Dankbarkeit macht aus wenig mehr.
  • Kapitalistische Auswüchse der Yogaszene kritisch reflektieren: Wie viele Yogaleggins brauche ich wirklich? Konsumiere ich ein Retreat nach dem anderen, um mich darüber zu definieren? Achtung vor Spiritual Bypassing.  
  • Die eigene Ernährung hinterfragen: Ein wichtiges Nachhaltigkeitsthema ist die Ernährung. Im Yoga wissen wir, dass unsere Nahrung riesigen Einfluss auf unseren Energiehaushalt und unseren körperlichen und mental-emotionalen Zustand hat. Unsere Kaufentscheidungen beim Essen haben außerdem erstaunlich große Auswirkungen auf das Klima und die Umwelt. Biologisch, lokal, saisonal, fair, vegetarisch und achtsam zu essen, ist ein entscheidender Faktor nicht nur in Hinblick auf das Tierwohl, sondern auch für gesunde Böden, faire Arbeitsbedingungen, und Ressourcenschonung.  
  • Nachhaltig einkaufen: Gerade bei Waren wie Yogamatten, Meditationskissen oder Kleidung, die du bei der Yogapraxis trägst, macht es Sinn, auf ökologische und faire Produktion und Rohstoffe zu schauen. Es ist paradox, auf einer Yogamatte „Lokah Samastah Sukhino Bhavantu” (übersetzt: Mögen alle Wesen glücklich sein) zu chanten, die unter ausbeuterischen Bedingungen gefertigt wurde. Jeder Kassenzettel ist ein politisches Statement.
  • Projekte unterstützen, die Umweltschutz und Spiritualität zusammenbringen: Immer mehr Menschen, Communities oder Unternehmen wollen aktiv dazu beitragen, den grünen Wandel auch in der spirituellen Szene umzusetzen und mit gutem Beispiel voranzugehen. Dazu gehören grüne Yogastudios mit Fokus auf Nachhaltigkeit im Business, Yoga-Modelabels, die ökologische und fair produzierte Kleidung und nachhaltiges Yoga-Zubehör verkaufen oder Initiativen, die in verschiedenen Projekten und durch Bildungsarbeit Dinge anpacken – etwa die „Conscious Planet Initiative“ von Sadhguru, die Off the mat into the world-Initiative von der US-amerikanischen Yogini Seane Corn oder auch das Projekt „Navdanya“ für biologsche und kulturelle Diversität von Aktivistin Vandana Shivas.
  • Das eigene Wissen teilen: Wenn du Yoga unterrichtest, kannst du in deinen Kursen und Stunden mit einfließen lassen, wie Yoga und Umweltbewusstsein zusammengehören. Dafür gibt es unzählige Wege: Zum Beispiel über die Verbindung mit den Elementen bewusst werden zu lassen, dass der Mensch mit der Natur untrennbar verbunden ist. Wissen teilen geht natürlich auch ohne Zertifikat. Sharing is Caring.

Was heißt es für dich, ein:e Green Yogi:ni zu sein? Welche Projekte kennst du, die Nachhaltigkeit und Achtsamkeit zusammenbringen? Wir freuen uns über deine Kommentare, um diese Ideenliste wachsen zu lassen.

Ökologisches Bewusst-Sein 

Du und ich – wir gestalten durch unser Tun und unsere Gedanken jeden Tag das Morgen. Wir tragen Verantwortung für unsere Mitmenschen, Tiere, Pflanzen, Böden, Meere und Luft. Green Yoga, eine integrative Yogapraxis, stärkt unser ökologisches Bewusstsein, indem es unser Herz weit macht und uns wieder spüren lässt, dass wir mit allem verbunden sind, was uns umgibt. Auch wenn wir alle in unserem eigenen Tempo gehen (dürfen) – als Yogins und Yogis kommen wir in diesen ökologischen Krisenzeiten nicht drum herum, das zu leben, woran wir glauben.


In diesem Sinne: Om Shanti.


Lese-Tipps:

  • Georg und Brenda Feuerstein: Green Yoga. Traditional Yoga Studies 2007.
  • Joanna Macy: Greening of the Self. Parallax Press 2013.

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Janine Schneider
Janine Schneider

Janine Schneider ist freie Journalistin und Yoga-Lehrerin verwurzelt im Grünen bei Berlin. Sie liebt Themen rund um weibliche Spiritualität, ganzheitliche Gesundheit, emotionale Intelligenz und achtsame Nachhaltigkeit. In ihren Texten und Yogastunden versucht sie Brücken zu bauen zwischen den Tantra- und Yogatraditionen und modern gelebter Spiritualität.
Mehr über Janine erfährst du unter www.yoursoulspace.org und www.wortschaetze.org.

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