
Die Upanishaden: 108 alte Weisheiten für heute
„Komm näher und setze dich zu mir” – so lautet die Übersetzung des Sanskritbegriffs „Upanishad”. Zusammengesetzt aus „upa”, was „nahe bei” bedeutet, „ni” gleich „nieder” sowie „shad” für "„sitzen”. Riefen die weisen Brahmanen etwa ihre Schüler mit diesen Begiff zum geheimen Philosophie-Unterricht? Wir wissen es nicht.
Die Philosophie des Brahmanismus, niedergeschrieben in 108 Schriften
Tatsache jedoch ist, das in dem Zeitraum von etwa 700 bis 200 vor Christus (in der indischen Kulturepoche des Brahmanismus) eine hochentwickelte Philosophie über die Welt, das Leben und das persönliche Sein für die nachfolgenden Generationen auf Palmblätter niedergeschrieben wurde. Die daraus resultierenden 108 Schriften, die zur vedischen Kulturepoche gehören, werden als Upanishaden bezeichnet.
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Diese Wissenssammlung war bereits in den Jahrhunderten zuvor mündlich von Brahmanen an Eingeweihte weitergegeben worden. Als „heiliges” Wissen, das in Form von Liedern, rituellen Handlungen und Zaubersprüchen von Generation zu Generation übermittelt wurde. Das Ergebnis ist keine einheitliche Philosophie oder gar dogmatische Religionlehre, sondern ein nahezu freiheitlicher Gedankenaustausch zwischen Lehrer und Schülern, zwischen Weisen und Einzuweihenden. Als thematische Dauerbrenner tauchen in den Textsammlungen der Upanishaden allerdings immer wieder Erläuterungen zu den schöpferischen Prinzipien „Atman” und „Brahman” sowie zur heiligen Silbe OM auf.
Die wichtigsten Upanishaden (kurz vorgestellt)
Stammbaum der Yoga-Schriften: Die Upanishaden in guter Gesellschaft
Eigentlich könnte man über jede der 108 Upanishaden einen ganzen Artikel schreiben, denn sie repräsentieren als vedische Schriften das höchste Wissen und spirituelle Erkenntnisse, die nach traditioneller Auffassung nicht von Menschen erdacht, sondern von der Urquelle selbst der Menschheit geschenkt wurden. Wer sich die Mühe macht, sich in die Verse der Upanishaden zu versenken, findet einen Schatz an Weisheit und Heilsamkeit. Der heutzutage besonders wertvoll und wohltuend ist, weil es sich um zeitlose Wahrheiten handelt. Denn ist es nicht genau das, was wir in dieser Welt voller moderner Technik, voller fortschrittlicher Errungenschaften und trotz allem Kopfwissen verloren haben – die Wahrhaftigkeit des Seins, die Weisheit des Lebens im Herzen zu fühlen?
„Der Yoga führt zum Aufgeben des alles begrenzenden
Ego-Bewusstseins und der daraus folgenden Handlungen.
Yoga ist die freie Entfaltung der in jedem innewohnenden göttlichen Natur.”
Im Folgenden stellen wir einige bekannte Upanishaden kurz vor, samt ihrer bedeutendsten Zitate.
1. Isha-Upanishad
„Isha” bedeutet Meister:in und ist als „Ishvara” im übersetzten modernen Sprachgebrauch das Synonym für Göttlichkeit, Schöpfung oder Urquelle. In dieser Isa-Upanisahd wird in nur 18 Versen auf die Wertlosigkeit von Werken (Tun und Handeln), die Wichtigkeit der Erkenntnis des Selbst und die Einheit des Selbst mit allen Wesen verwiesen. Sehr weise!
„Gott wohnt im Herzen aller Dinge, als Das was ohne
Veränderung ist .... darum suche das Selbst (die göttliche
Natur) in allen Wesen zu erkennen. Verbinde das Leben in
der Welt mit dem spirituellen Leben, arbeite in dieser Welt,
doch hänge nicht an deiner Arbeit – bleibe unverhaftet.“
2. Talavakara-Upanishad
Auch Kena-Upanishad genannt, weil das erste Wort „Kena” die Frage eines Zuhörers an den Vortragenden einleitet, denn „Kena” bedeutet „Wodurch” oder „Durch Wen”. Die erste Frage lautet: „Wer hat oder wodurch wurden Geist, Odem, Rede und die Sinnesorgane ausgesendet?” Die Talavakara-Upanishad ist ein Dialog zwischen Weisen und Wissbegierigen über die Herkunft des Sein und Begriffe wie Brahman-Wissen, was als höheres Wissen oder Erweckung (Erleuchtung) bezeichnet wird. Auch das Nicht-Wissen wird erläutert, womit die im Selbst noch nicht herangereifte Erkenntnis gemeint ist, also die Selbstkenntnis im Menschen, die noch nicht vollends erwacht ist. Die Talavakara-Upanishad könnte man als Motivationskurs zur Erlangung von Samadhi (Erleuchtung) bezeichnen. Sehr nützlich!
Frage:
„Wer hat oder wodurch wurden Geist, Odem, Rede und die Sinnesorgane ausgesendet?”
Antwort:
„Wer von uns das weiß, weiß es nicht.
Nicht weiß er, dass er es nicht weiß.
Wer es nicht denkt, der denkt es.
Wer es denkt, der weiß es nicht.
Wem es durch Erweckung bekannt geworden,
der gewinnt Unsterblichkeit.”
3. Kathaka-Upanishad
In der Kathaka-Upanishad wird ein Gespräch zwischen dem jungen Naciketa und Yama wiedergegeben – ein Dialog zu Fragen nach Lebensziel, Tod, Wiedergeburt und Unsterblichkeit. Dabei werden unter anderem der Weg zum Heil (zur Erleuchtung) dargestellt und erste Ratschläge gegeben, die auf den Weg des Yoga hinweisen (Wiedervereinigung des Ichs mit dem Göttlichen, Erwachen von Bewusstheit). Auch die Bedeutung von „OM” wird erläutert. Sehr praktisch!
„Wer unter Versenkung (Meditation) in das Selbst seine
Gedanken auf den schwer zu schauenden, in die
Verborgenheit eingedrungenen, in einer Höhle wohnenden,
in der Tiefe befindlichen Gott gerichtet hat ... dieser Weise
lässt Freude und Leid hinter sich.“
„Das Wort, das alle Veden überliefern und alle Bußen
verkünden, das den Wunsch derer ausmacht, die in den
heiligen Schülerstand treten, das sage ich kurz: Es lautet
OM. Diese Silbe ist das höchste.
Wer OM begriffen hat, erreicht jeglichen Wunsch.“
4. Prashna-Upanishad
Diese Schriftsammlung beschreibt die Entstehung und Erhaltung der Schöpfung und erläutert die zwei Prinzipien, die die Urquelle geschaffen hat, um Sein zu ermöglichen: „Prana” (der göttliche Hauch, Lebensenergie, Feinstofflichkeit) und „Rayi” (Stoff, Materie, Feststofflichkeit) und wie diese beiden Prinzipien den Kosmos, die Welt durchweben, die wie sie in der Natur der Welt und im Menschen wirken. Sehr aufschlussreich!
„Wer die Entstehung von Prana kennt und dem die
Eintrittsstellen des Prana in den Körper bekannt sind,
erreicht Unsterblichkeit.”
5. Taittiriya-Upanishad
Hier wird die Entstehung der Welt erläutert:
„Die ersten Weltenschöpfer hielten eine Opfersitzung ab, die
tausend Jahre währte, in der sie Soma pressten. Daraus
wurde der Hüter der Welt geboren: Der goldene Vogel,
Brahman mit Namen. Durch ihn brennt die Sonne, von seiner
Macht entzündet.”
Außerdem werden konkrete Verhaltensweisen für den Alltag vermittelt, um das höhere Wissen, eben das Brahman-Wissen zu erlangen. Diese finden wir in den von Patanjali um 400 vor Christus formulierten „Yamas” und „Niyamas” seines achtstufigen Pfad des Yoga (Yoga Sutra) wieder: Rechtschaffenheit, Wahrhaftigkeit, Selbstdisziplin, Studium der heiligen Schriften, Ego-Freiheit, Pflichterfüllung, Respekt, Freigiebigkeit, Tugendhaftigkeit und Liebe.
Weiter werden die fünf „Verhüllungen“ (Verdichtungen) Brahmans in der sichtbaren, materiellen Natur dargestellt und wie Mensch diese durch Meditation erkennen und durchdringen kann, vom Groben (Materiellen) zum Feinstofflichen. Diese Verhüllungen müssen erkannt, durchdrungen und abgelegt werden, um höheres Wissen, um Erleuchtung zu erlangen:
„Brahman verhüllt sich im Leib, der aus Nahrung gebildet wird”.
To-do: Körperempfinden erkennen und beobachten.„Brahman verhüllt sich in Prana.”
To-do: Atembewusstsein entwickeln und Lebensenergie lenken (Pranayama, die yogischen Atemübungen)„Brahman verhüllt sich im Denken.”
To-do: Gedanken beobachten und Konzentration (Dharana) üben.„Brahman verhüllt sich in Erkenntnisfähigkeit.”
To-do: Gedankenfreie Beobachtung praktizieren (Meditation)„Brahman verhüllt sich in unbewusster Erfahrung von Wonne.”
To-do: Aufhebung des Ego, des Ich-Bewusstseins und Loslösung, um zu Erleuchtung (wahrhaftige Wonne) zu erlangen.
6. Shvetashvatara-Upanishad
Shvetashvatara zählt zu den schönsten und bis heute tiefgründigsten Texten der Upanishadenliteratur.
Hier werden die großen Fragen des menschlichen Daseins erörtert:
- Was ist die Ursache des Weltalls?
- Woher kommen wir?
- Wozu leben wir?
- Wo werden wir am Ende ruhen?
- Warum sind wir Zyklen von Glück und Leid unterworfen?
Es werden sogar ganz konkret Anleitungen „über den Yoga” gegeben – natürlich nicht so, wie wir heute oft Yoga verstehen, als Körperertüchtigung mittels Asanas, sondern als Yoga der Versenkung, der Meditation, deren Praxis zum Erwachen führt.
„Bringe den Körper in eine ebene Lage, an drei Stellen Brust, Hals und
Kopf ihn herausstraffend, konzentriere die Sinne im Inneren mit dem
Willen und so, der Versenkung kundig, wirst du dich über alle Furcht
einflößende Ströme hinwegsetzen.”„Hemme die Atemzüge, reguliere die Bewegung und wenn der Atem
geschwunden ist, hauche durch die Nase. Nun lenke deinen Wagen,
zuvor von ungezügelten Rossen gelenkt, kundig und aufmerksam.”„Wenn in dem Körper, der aus Erde, Wasser, Feuer, Wind und Äther
besteht, in fünffacher Weise die Anzeichen des Yoga eingetreten sind,
dann quält den, der einen Leib aus Yogafeuer erlangt hat, weder
Krankheit noch Alter noch Tod.”
Fazit: Nützliche Erkenntnisse für das moderne Leben
Die existentiellen Erkenntnisse und Wahrheiten machen die Upanishaden auch heute noch lesenswert für alle Wahrheits- und Bewusstheitssuchenden Yogi:nis, die begierig darauf sind, zu erfahren und erfühlen, was der Sinn hinter dem Leben hier auf Erden ist und wie die kosmischen Zusammenhänge sind.
Allerdings sind sie alles andere als leichte Lektüre. Es gibt Sätze, die sich leicht erschließen – an manchen Stellen mag man kaum glauben, dass die Texte schon mehr als 2.500 Jahre alt sind. Die Übersetzung aus der komplexen Sprache Sanskrit lässt allerdings vieles kompliziert erscheinen. Mein Tipp: Lass die Verse einfach auf dich wirken, statt sie mit dem Verstand erfassen zu wollen. Und wenn du dann doch noch Fragen hast, kannst du immer noch in den kommentierten Publikationen zu den Upanishaden schmökern (s. Quellen).
Love and light,
Birgit Feliz Carrasco
Quellen:
- Die Upanishaden: Eingeleitet und übersetzt von Eknath Easwaran. Erschienen bei Goldmann Arkana.
- Upanischaden: Arkanum des Veda von Walter Slaje. Erschienen im Verlag der Weltreligionen.
- Yoga Wiki